Autor Thema: Der Schein  (Gelesen 1272 mal)

charis

  • Gast
Der Schein
« am: Februar 06, 2015, 21:51:59 »
Am Rande des Tages noch pflügt
er Furchen in gräulichen Matsch.
Es gäbe nur dieses, er lügt,
und redet wie immer nur Quatsch.

Verschlungen von zigtausend Pflichten,
zerschlissen vom täglichen Kampf
zusammenzukleben die Schichten
zerbröckelnden Wollens mit Krampf,

das Mögliche hebt er zur Fülle,
die Ehrlichkeit hat er verzockt.
Sein Dasein nur wandelbar, Hülle,
denn zwischen den Rippen dort bockt

kein Fühlen, das mache verrückt.
Verschüttet, was Freude ihm schuf,
zersplittert im Schein, der entzückt,
ist Selbstherrlichkeit sein Behuf.
« Letzte Änderung: Februar 09, 2015, 19:03:59 von charis »

Erich Kykal

Re:Im Schein
« Antwort #1 am: Februar 07, 2015, 00:10:55 »
Hi, Charis!

Ein Gedicht von guter Basis - die Grundkonstruktion ist gefällig, der Inhalt tragfähig und gut verdichtet.

Mit einigen Bedeutungszusammenhängen tu ich mich schwer, und auch sprachmelodisch holpert es hie und da. Einige Worte wirken recht unlyrisch (Matsch/Quatsch, Krampf, verzockt, zighundert), harte Worte stören den Duktus.

S1Z1 - Das "da pflügt" wirkt sprachlich ungelenk.

S1Z3 - Die Teilsätze sind kaum verknüpft, wirken gewaltsam zusammengepresst.

S2Z2 - Hier beginnt ein Teilsatzmoloch, dem zu folgen schwer fällt. Nach "zusammenzukleben" müsste in S3Z1 die korrekte Formulierung übrigens "hebt er das Mögliche zur Fülle" lauten. Das geht aber schon wegen des betonten Auftaktes nicht.

S3Z4 - Erneut ein sprachlicher Homunkulus: "da bockt".

S4Z1 - Hier fehlt dem 2. Satzteil ein erklärendes "er sagt", "er meint" oder Ähnliches. Es ist auch so verständlich, aber man verliest sich so leicht: Zuerst las ich: "..., das manches verrückt."

S4Z4 - Das "ward" wirkt etwas antiquiert, ebenso der Ausdruck "Behuf" (der allerdings gefällt mir!). Zusammen etwas zuviel des Guten.

Insgesamt fällt es schwer, der roten Linie zu folgen und die sprachlich teils stark "veredelten" Bilder zu deuten (da werfe ich wohl mit Steinen aus dem eigenen Glashaus! :-\). Die Mischung aus lyrischem Konstrukt und einigen recht unlyrischen Ausdrücken darin wirkt unausgeglichen. Die wechselnden Kadenzen tun ein Übriges: S1 - m-m-m-m, S2 - w-m-w-m, S3 - w-m-w-m. S4 - m-m-m-m

Ich versuche eine sprachmelodisch weichere Version:

Am Rande des Täglichen pflügt
er Furchen in gräulichen Sand,
verschließt sich dem Leben und lügt
sich größer am eiternden Rand,

belagert von hunderten Pflichten.
Zerschlissen vom täglichen Reiben
an undurchdringlichen Schichten,
die seine Verluste beschreiben.

Das Mögliche hebt er zur Fülle
und Ehrlichkeit hat er verspielt.
Sein Dasein nur schlotternde Hülle,
und hinter das Zeitliche zielt

kein Fühlen nach höherem Streben.
Verloren, was Freude ihm schuf,
zersplittert im scheinbaren Leben
wird Selbstherrlichkeit sein Behuf.


Die Kadenzen konnte ich auch nicht vereinheitlichen, ohne deine Basis allzu sehr zu verzerren, aber ich legte den Schwerpunkt auf sprachliche Flüssigkeit, Versmelodie und harmonischen Duktus.
Nimm davon, was dir geeignet erscheint. Ich will hier nicht schulmeistern, bloß ein Beispiel geben, um zu verdeutlichen, was ich meine. Vergleiche selbst.

Sehr gern gelesen und bearbeitet! :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

charis

  • Gast
Re:Der Schein
« Antwort #2 am: Februar 07, 2015, 09:24:29 »
Lieber Eky,

Vielen Dank für deine intensive Auseinandersetzung mit diesem Gedicht. Ich habe nicht damit gerechnet, dass es einen Kommentar bekommt - außer vielleicht ein einfaches: Mist! :)

Alles was du sagst, stimmt natürlich: inhomogen, schwer zu lesen, gekünstelt, verstiegen, ungelenk, hart, sperrig, Gossenworte, gewaltsam zusammengepresst, Satzmoloche, Sprachhomukulen,  "(fehl)veredelte" Bilder...

Ich würde sagen, es ist mir daher im Grunde gelungen.  :)

Das Gedicht und sein Sprachgebrauch sollte den Menschen, den ich da beschreibe auf unangenehme Weise spiegeln, das war meine Intention - auch durch die nur drei Hebungen und dazwischen die vielen "Abgründe" der Senkungen.

Meine Intention war also, dass das Gedicht sich aus sich selbst heraus genauso belügt und verbiegt Lyrik zu sein,  wie dieser Mensch, sich selbst belügt, noch menschlich zu sein.

Ich wollte es aber schon löschen, weil ich fand, dass es einfach zu schräg ist, um es in die "Auslage" zu stellen und die Leser damit zu quälen. :o

Aber jetzt lass ich es stehen, da du ja Gott sei Dank eine perfekte Analyse und eine wirklich lyrische Version dazu geschrieben hast.

Ich finde es wirklich meisterhaft, was du aus dieser sperrigen Vorlage gezaubert hast.
 
Lieben Gruß
charis

Erich Kykal

Re:Der Schein
« Antwort #3 am: Februar 07, 2015, 17:09:22 »
Hi, Charis!

Solche Intentionen sind nur sinnvoll, wenn der Leser die Absicht erkennen kann. Wenn er einfach nur denkt: "Ein schlechtes Gedicht, weil es der Autor vielleicht nicht besser kann!" - hast du das Ziel verfehlt.
Dein Gedicht war zum einwandfreien Erkennen deiner Absicht vielleicht noch einen Tick zu wenig "schräg", und die lyrische Anmutung der Satzbauweise verstärkte die Verwirrung: Was will der Autor denn nun eigentlich!??

Für mich stehen Sprachmelodie und Sprachhabung immer im Vordergrund, ganz egal, welche Themen ich behandle. Mein Ehrgeiz besteht darin, dennoch die Botschaft zu vermitteln und das richtige Gefühl zu erzeugen. Von daher habe ich mit solch einem "Kunstgriff" wie von dir beschrieben auch gar nicht gerechnet. Mögest du mir dies vergeben! :-*

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Der Schein
« Antwort #4 am: Februar 08, 2015, 11:03:22 »
Liebe charis,


hätte ich nicht Erläuterungen in Deinem Antwortkommentar gelesen, wäre es mir sehr schwer gefallen, irgend etwas dazu zu schreiben, denn in meinen Augen ist es wirklich "verquer" (gewesen).
Jetzt kommt es bei mir unter die gedankliche Rubrik "morderne Lyrik" der nicht schlechten Art.
Also von allem ein bissel,
aber immerhin verständlich.
Aber ohne diese Handreichung wärs mir ein Rätsel geblieben.

Zumindest fehlt es Dir garantiert nicht an Wortreichtum!


Freundlichen Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

gummibaum

Re:Der Schein
« Antwort #5 am: Februar 08, 2015, 20:56:38 »
Hier gebührt charis für den Rohbau und Erich für die Innenausstattung des Hauses ein großes Lob.

LG gummibaum

charis

  • Gast
Re:Der Schein
« Antwort #6 am: Februar 09, 2015, 18:53:31 »

Keine Problem, lieber Eky, danke vielmehr fürs schön einrichten!  :)

Danke fürs Lesen, liebe Cyparis und lieber Gummibaum - wofür ein Lob für den Rohbau?

Nun, ich freu mich einfach, denn ich muss sagen, dass mir nach anfänglichen Zweifeln mein "Rohbau" tatsächlich immer besser gefällt, zb. die Reime verzockt - dort bockt, finde ich herrlich  ;D, aber auch schuf-Behuf, Matsch-Quatsch mag ich und diese ganzen Vorsilbenwortmonster (vor allem an den Versanfängen in S2), diese verstiegenen Satzkonstruktionen und auch die zischenden "Zs"; das liest sich laut herrlich schräg. :) Irgendwie mag ich also mein "unangepasstes oder/und  ungezogenes" Kind immer mehr.  ;D

Lieben Gruß
charis


 

cyparis

Re:Der Schein
« Antwort #7 am: Februar 09, 2015, 19:25:33 »
So soll es auch sein! :)


Liebe Grüße Dir, liebe charis,



von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Curd Belesos

Re:Der Schein
« Antwort #8 am: April 14, 2015, 12:57:34 »
Irgendwie mag ich also mein "unangepasstes oder/und  ungezogenes" Kind immer mehr.  ;D

moin moin charis,

manche Gedichte schreibe ich, um mich mitzuteilen, manche nur für mich und diese Kinder gebe ich nicht her  ;)

Lieben Gruß aus Lübeck von Curd.
Nur wenn du frei bist " IF " ....dann bist du ein Mensch

charis

  • Gast
Re: Der Schein
« Antwort #9 am: April 14, 2015, 20:23:50 »
Ja so ist es wohl, lieber Curd,  :)
Vielen Dank für deinen Kommentar!
Lieben Gruß
charis