Autor Thema: Der Keltenstein  (Gelesen 1002 mal)

Erich Kykal

Der Keltenstein
« am: Dezember 14, 2014, 11:05:46 »
Im Herz des Waldes ragt ein Stein
in grüne Düsternis hinein,
vermählt sich mit den Schatten.
Dort findest deine Sorgen du,
doch auch den Mut, die tiefe Ruh,
im Stein sie zu bestatten.

Gar viele fanden jenen Ort
und gaben ihren Kummer fort
wie du an dieser Stelle.
So wächst wie in ein Schattenkleid
der Stein in seine Dunkelheit
und meidet alles Helle.

Und hat er einst erfüllt sein Soll
und ist von Weh und Tränen voll,
versinkt er im Gelände.
Dort nährt er einen klaren Quell,
der rieselt licht und silberhell
den Menschen in die Hände.
« Letzte Änderung: Dezember 14, 2014, 11:14:51 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re:Der Keltenstein
« Antwort #1 am: Dezember 14, 2014, 11:19:50 »
Von diesem Stein zu lesen, Erich, nimmt mir sofort die Sorgen. Eine schöne Mär, die man jedoch erleben und bestätigt finden kann, wenn man mit Steinen, wie du, in freundschaftlich-magischem Verhältnis steht.

Ein erfrischender Lesegenuss.

LG gummibaum

charis

  • Gast
Re:Der Keltenstein
« Antwort #2 am: Dezember 14, 2014, 13:13:31 »
Lieber Eky,
Was für ein großartiges Gedicht!
(Es ist mir schön langsam peinlich, dauernd in Begeisterungsstürme auszubrechen  8))
Es berührt mich auch deshalb zutiefst, weil ich auch eine ganz besondere Beziehung zu Steinen habe.
Auf meiner Terrasse befindet sich ein kleine "Kletterpark" und ich pilgere auch noch heute noch hin und wieder zu
meinem magischen Felsenfreund in meinem Heimatort, wo ich das Fliegen gelernt habe  ;D
Lieben Gruß
charis

cyparis

Re:Der Keltenstein
« Antwort #3 am: Dezember 14, 2014, 15:06:36 »
Lieber Erich,


wie schön, eindrucksvoll und verlockend hast Du diese Sage geschildert.
Ja, dort möchte ich auch sein!
(Bin ich nicht gar schon dort gewesen?).

Ganz lieben Sonntagsgruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re:Der Keltenstein
« Antwort #4 am: Dezember 14, 2014, 15:39:02 »
Hi, Gum, charis, Cypi!

Vielen Dank für Lob und Gedanken!

Das Gedicht bezieht sich auf keinen Stein im Speziellen - es könnte jeder Waldmonolith sein, die von der Bevölkerung ja gern mit Sagen umrankt und geschmückt werden. Im dunklen Gedächtnis der Vergangenheit ruht in uns noch das Wissen darum, dass wir an solchen Orten einst anderen Göttern und Geistern gehuldigt haben ...

Es stimmt, dass meine Heimatlande (Mühl- und Waldviertel) reich an solchen Waldsteinen sind, und viele davon gelten bis heute als "heilige Orte".
Manche davon haben wir auf unseren Ausflügen beim sommerlichen Dichtertreffen schob besucht.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Aspasia

  • Gast
Re:Der Keltenstein
« Antwort #5 am: Dezember 14, 2014, 18:29:33 »
Lieber Erich,

für dieses Gedicht gebührt dir ein XXL-Lob. Es ist nicht nur inhaltlich und technisch rund, sondern geht mit dem Erhabenen, das du sonst bevorzugst (und das mir oft Probleme bereitet), zurückhaltend um. Was mir am meisten gefällt: Du bist bei deinen 24 Versen mit einigen wenigen Adjektiven ausgekommen: grün, tief, klar, licht, silberhell (die Adverbialbestimmung im 10. Vers rechne ich nicht mit). Fast alle Attribute stecken in den Substantiven drin und müssen nicht extra erwähnt werden, und/oder sie kommen durch Ergänzung oder Gegensätzlichkeit zum Ausdruck: Düsternis/Schatten/Sorgen, Kummer/Schattenkleid, Dunkelheit/Helle, Weh/Tränen. Die Verben sind ebenfalls überlegt gewählt, weder zu banal noch zu prätentiös, sondern kurz, griffig und ausdrucksstark.

Dein Gedicht ist ein Lehrbeispiel, wie man in einen Text mit gut gewählter Sprache eine Atmosphäre heineinbringt, die dem Leser Genuss bereitet, statt ihn mit Adjektiven zu überfrachten oder mit gedrechselten Verben zu malträtieren, die man eher als Silbenprozessionen bezeichnen sollte.

Zum Bild: Düsternis und Sorgen leiten das Gedicht ein, aber noch in dieser ersten Strophe federn der Mut und die stille Ruhe das Leid des Menschen ab. Es gibt Hoffnung, denn es gibt einen Stein, der sich erweichen lässt und die Sorgen auf sich nimmt, wie aus der zweiten Strophe zu erfahren ist. Aber nicht genug damit: Er verarbeitet diese Sorgen zu einer reinigenden Substanz, die eine Quelle beim Rieseln über den Stein aufnimmt und von Menschenhänden geschöpft wird: frisches Wasser, frischer Mut, neues Leben.

Eigentlich ist dies ein Ostergedicht. Ein Stein, der das Leid der Menschen absorbiert, in Dunkelheit versinkt (stirbt), doch das gesammelte Leid als gewandelte Kraft in einer Quelle den Menschen zurückbringt - ist das nicht dem Leben Jesu vergleichbar?

Aber egal, welche Interpretationen möglich sind - das Gedicht ist eine Meisterleistung.

Lieben Gruß und einen schönen Sonntagsausklang,
Aspasia


Erich Kykal

Re:Der Keltenstein
« Antwort #6 am: Dezember 14, 2014, 18:41:40 »
Hi, Aspasia!

Ich könnte ja versuchen, das Werk in die Bibel aufnehmen zu lassen ... ;) :D (Achtung - Ironie!)
Natürlich müsste man den Titel ändern, aber die uralte Metapher bleibt bestehen: Vergebung, Läuterung, Wiedergeburt. Der göttlich-mystische Mittler (hier der Stein, da ein Gott) dieser Destillation mag wechseln, die Funktion an sich scheint etwas tief im Menschsein Begründetes zu sein, eine tiefe Sehnsucht zu erfüllen. Das christliche Pendant der Beichte hat mich immer zutiefst verstört, da man sein Innerstes vor einem nur zu fehlbaren Menschen (und sei er auch Priester - oder grade ebendrum!) offenbaren sollte - da fehlte mir als Kind einfach die nötige Intimität zwischen mir und dem hypothetisch Göttlichen.

Dein Lob zum Stilistischen nehme ich gern an und leite es an meine "hypothetische Poetendrüse" weiter, denn ich selbst mache mir beim Schreiben (oder davor) keinerlei Gedanken in dieser Richtung. Ich schreibe einfach drauflos, meiner Stimmung entsprechend und der Inspiration folgend. Weder Inhalt noch Sprachfindung noch Reimschema und sonstige Struktur sind zuvor festgelegt oder geplant. So gesehen habe ich immer irgendwie das Gefühl, ein Lob zu bestimmten Elementen der Wortkunst gar nicht so recht verdient zu haben, habe ich mich doch nie bewusst dafür entschieden, sie einzusetzen. Sie geschehen mir sozusagen vielmehr einfach beim Schreiben, weil etwas Unbestimmbares in mir das Gefühl hat, dass "es so sein sollte und nicht anders".

Dennoch freue ich mich natürlich - der Jahreszeit entsprechend wie ein Schneekönig ;D - über so ein großes Lob! :)

LG, eKy
« Letzte Änderung: Dezember 14, 2014, 18:46:35 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Aspasia

  • Gast
Re:Der Keltenstein
« Antwort #7 am: Dezember 14, 2014, 18:49:35 »
Das beweist doch nur dein sprachliches Genie. Wenn es aus der Feder fließt und gut ist, dann ist der Zenith erreicht.