Autor Thema: Es wurde hell  (Gelesen 1378 mal)

Jana

Es wurde hell
« am: November 15, 2014, 10:15:28 »
Die Dunkelheit schlingt sich um das Geäst,
der Tag darb still dahin, die Nacht blüht auf.
Die Wärme, die den Erdengrund verlässt,
sie wandert zu der Ursprungsquelle rauf.
Es dunkelt in den hellsten Ecken,
der Wald beugt sich dem Lied vom Wind.
Und Nebelschwaden strecken, recken,
sich uns entgegen, schau, geschwind.
Spürst du das leise, laue Hauchen
gleich Flüstern sacht auf deiner Haut?
Das lüstern in die Tiefen tauchend
nur dich umfängt - ein bisschen laut.

Die Dunkelheit zieht ihre Schatten fort,
so gehe nicht, bleib mir erhalten, Lieb!
Der eine waldumgebne, dunkle Ort,
der immerfort auch nur der unsre blieb,
weicht, Lebensfäden malen ihre Schatten,
doch sind sie keine Bilder dunkler Nacht,
es sind nicht diese tiefenschwarzen, satten,
nur Abbilder der starken, treuen Macht.
So fliehe nicht vor mir, ich harre hier,
so weiche nicht so flüchtend schnell.
Erstarrend bleibe ich bei dir,
denn Nacht zog fort, es wurde hell.

Erich Kykal

Re:Es wurde hell
« Antwort #1 am: November 15, 2014, 12:45:17 »
Hi, Jana!

Meine Tipps:

Die Dunkelheit schlingt sich um das Geäst,
der Tag darb still dahin, die Nacht blüht auf. "der Tag verdarb" oder "der Tag darbt..." oder "der Tag starb...".
Die Wärme, die den Erdengrund verlässt,
sie wandert zu der Ursprungsquelle rauf. "rauf" klingt flapsig, gemeinsprachlich - in so einer getragenen Sprache wie hier wie die Faust auf's Auge!
Es dunkelt in den hellsten Ecken, Klarer: "Es dunkelt selbst in...". Zeile um einen Heber zu kurz! Altern.: "... es dunkelt mählich in ...". In "Ecken" ist es grundsätzlich selten am hellsten - ich rate zu "Flecken".
der Wald beugt sich dem Lied vom Wind. Plump wirkt der Dativ! Das "vom" klingt unlyrisch - schön wäre "des Windes". Zeile hat nur 4 Heber! Altern.: "... dem kühlen Lied ...".
Und Nebelschwaden strecken, recken, Ab hier alle Zeilen der Strophe nur noch vierhebig! Solltest du (soweit ich es nicht tat) korrigieren und wie die 5 ersten Zeilen fünfhebig gestalten.
sich uns entgegen, schau, geschwind.
Spürst du das leise, laue Hauchen Betonter Auftakt! Altern. für reinen Reim und ubbetonten Auftakt: "Verspürst du leise, zärtlich hauchend"
gleich Flüstern sacht auf deiner Haut? Betonter Auftakt! Anpassung an Vorzeile mit unbet. Auft.: "und einem Flüstern gleich auf deiner Haut," Statt Fragezeichen Komma.
Das lüstern in die Tiefen tauchend "Hauchen/tauchend" ist natürlich kein reiner Reim. Altern. siehe obere Reimzeile.
nur dich umfängt - ein bisschen laut. 5-hebige Altern.: "nur einzig dich umfängt - ein bisschen laut?" Fragezeichen besser hier.

Die Dunkelheit zieht ihre Schatten fort, "Schatten" wiederhlt sich in Z5. Ich würde hier ein anderes Wort wählen, da hier kein Reim involviert ist. Vorschlag: "Die Dunkelheit zieht alle Farben fort,"
so gehe nicht, bleib mir erhalten, Lieb!
Der eine waldumgebne, dunkle Ort,
der immerfort auch nur der unsre blieb, Das "auch" stört hier. Altern.: "der immerwährend nur der..."
weicht, Lebensfäden malen ihre Schatten, Betonter - oder zumindest indifferenter - Auftakt. Altern.: "verliert wie Lebensfäden sich im Schatten,"
doch sind sie keine Bilder dunkler Nacht, Angleichung zur Vorzeile: "die keine Bilder sind aus dunkler Nacht,"
es sind nicht diese tiefenschwarzen, satten, "tiefenschwarz" klingt etwas bemüht, dem Takt geschuldet. Altern.: ".. grausam schwarzen, ..."
nur Abbilder der starken, treuen Macht. Diese Bild verstehe ich nicht - von welcher Macht ist die Rede? Das bleibt leider unerklärt.
So fliehe nicht vor mir, ich harre hier,
so weiche nicht so flüchtend schnell. Nur vier Heber in jeder Zeile ab hier - es sollten aber 5 sein.
Erstarrend bleibe ich bei dir,
denn Nacht zog fort, es wurde hell.


Hier eine durchgängig fünfhebige Version mit Korrekturen, Verfeinerungen, Klärungen:

Die Dunkelheit schlingt sich um das Geäst,
der Tag starb still dahin, die Nacht blüht auf.
Die Wärme, die den Erdengrund verlässt,
verliert sich in das Sternenzelt hinauf.
Es dunkelt mählich selbst auf hellsten Flecken,
der Wald beugt sich dem kühlen Lied der Winde.
Und zähe Nebelschwaden strecken, recken,
sich uns entgegen - schau nur wie geschwinde!
Verspürst du auch, so seltsam leise hauchend
und wie ein Flüstern sacht auf deiner Haut
ihr Wabern, das in alle Tiefen tauchend
dich nun umfängt, bis neu der Morgen graut?

Die Dunkelheit zieht alle Farben fort,
so gehe nicht, bleib mir erhalten, Lieb!
Der eine waldumgebne, dunkle Ort,
der immerwährend nur der unsre blieb,
verliert wie Lebensfäden sich im Schatten,
die keine Bilder sind aus dunkler Nacht -
es sind nicht diese grausam schwarzen, matten
und kalten Zeichen einer finstren Macht.
So fliehe nicht vor mir, verharre hier,
entweiche nicht so überängstlich schnell.
Dich zärtlich bergend bleibe ich bei dir -
auch tiefste Nacht wird endlich wieder hell.

Übernimm davon, was dir brauchbar erscheint, lerne aus den Schwachpunkten - du bist eindeutig auf dem richtigen Weg! :)

Sehr gern gelesen und bearbeitet!

LG, eKy
« Letzte Änderung: November 15, 2014, 12:48:02 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Es wurde hell
« Antwort #2 am: November 16, 2014, 20:14:22 »
Liebe Jana,


Erich kann das viel besser als ich: rezensieren.
Nimm Dir seine Worte zu Herzen, denn die Anregungen können Deinem schönen Gedicht nur gut tun! :)


Herzlichen Abendgruß
von
Cyparis
« Letzte Änderung: November 16, 2014, 21:27:24 von cyparis »
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

gummibaum

Re:Es wurde hell
« Antwort #3 am: November 16, 2014, 20:44:38 »
In der ursprünglichen Form schon sehr gut, in Erichs Bearbeitung super.

LG g

Thomas

Re:Es wurde hell
« Antwort #4 am: November 19, 2014, 21:14:33 »
Liebe Jana,

ich freue mich, dass es endlich hell wurde.

Dein Gedicht ist gut gelungen, Erichs Vorschläge sind mener Meinung nach sehr weitgehend, vielleicht kommst du sogar mit geringeren Korrekturen aus. Aber in beiden Strophen ist für ein Gedicht dieses Kalibers ein gleiches Metrum sicher angemessen.

Liebe Grüße
Thomas

P.S.: ich verstehe das Bild der Schatten einer starken, treuen Macht dahingehend, dass sich in der Dämmerung das Positive und Kommende erst noch dunkel abbildet, im Gegensatz zu dem Schwarz der Nacht, dass nun verlassen wird. Beides scheinbar noch scharz, aber von anderer Qualität. Ein sehr schönes Bild!
S p r i c h t die Seele so spricht ach! schon die S e e l e nicht mehr

(Friedricht Schiller)