Autor Thema: Entflogen  (Gelesen 1779 mal)

Daisy

Entflogen
« am: Oktober 18, 2014, 17:20:54 »
Er liebte das Gefühl verliebt zu sein
und träumte sich in himmelnahe Sphären.
Er wollte fliegen, doch er flog allein,
beflügelt nur von eigenem Begehren.

Oft saßen sie zusammen, tranken Wein,
und er erzählte ihr von seinem Leben.
Sie lauschte seinen Worten, tauchte ein
in seine Welt, ihm freundschaftlich ergeben.

Sie liebte das Gefühl beliebt zu sein,
doch Freiheit war ihr einziges Begehren.
Sie war sich selbst genug und flog allein
in unabhängig losgelösten Sphären.

gummibaum

Re:Entflogen
« Antwort #1 am: Oktober 18, 2014, 18:24:14 »
Hallo Daisy,

da haben sich zwei Egoisten zusammengefunden, denen jeweils das Geben oder Nehmen reicht, weil es ihnen diese Freiheit sichert, die nichts als eine Fixierung an die Einseitigkeit ist.

Sehr gern gelesen
LG gummibaum 

cyparis

Re:Entflogen
« Antwort #2 am: Oktober 18, 2014, 20:46:49 »
Das hast Du wunderschön beschrieben, liebe Daisy!




Herzlichen Wochenendgruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

charis

  • Gast
Re:Entflogen
« Antwort #3 am: Oktober 19, 2014, 12:16:57 »
Liebe Daisy,
Das gefällt mir sehr, vor allem auch deine schönen, klaren Verse.
Im Rahmen der S1 und 3, scheint selbst die "freundschaftliche Verbundenheit" in S2 nur ein Lippenbekenntnis zu sein. Diese beiden selbstverliebten Egoisten gefallen sich offensichtlich auch im Zuhören und Erzählen nur selbst.
Lieben Gruß
charis

cyparis

Re:Entflogen
« Antwort #4 am: Oktober 19, 2014, 13:57:25 »
Diese beiden selbstverliebten Egoisten gefallen sich offensichtlich auch im Zuhören und Erzählen nur selbst.

Da wäre ich nicht so sicher, denn ich sehe sie mehr als Gebende und Nehmende im gewägten Gleichgewicht.
Reine Ego(t)isten hören nur sich selbst, niemals anderen Erzählern zu - das Zuhören ist nur vorgetäuscht und leicht durchschaubar als Stichwortlieferant.

Egoisten fühlen sich als Zuhörer nicht wohl.


Na denn - bei mir hält es sich die Waage. :)


Cyparis
mit Gruß in die Runde


Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
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Erich Kykal

Re:Entflogen
« Antwort #5 am: Oktober 19, 2014, 16:48:24 »
Hat jemand was erzählt? - Ich hab nicht zugehört... ;)

Hi, Daisy!

Habe lang mit meinem Kommi gezögert, denn in der ersten Strophe fand ich mich selbst leider nur allzu treffend beschrieben! Es geht mir oft so, dass ich lieber selbst rede als zuzuhören. Was sag ich, oft - eigentlich dauernd! (Schäm!)

Cypi's Satz: "Egoisten fühlen sich als Zuhörer nicht wohl." trifft mich also mitten ins Mark. (Ich weiß schon, dass sie es nicht auf mich bezogen hat) Ich habe mir in langen Jahren beigebracht, mich zeitweise zurückzunehmen, so fällt es nicht (sofort) auf, aber der Satz trifft auf mich zu.

Der Rest des Gedichtes zeigt sehr treffend, was die Folge ist: Wer sich nicht von anderen berühren lässt, berührt auch andere nicht. Verdientes Schicksal.

Beklommen gelesen.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Entflogen
« Antwort #6 am: Oktober 19, 2014, 17:06:56 »
Lieber Erich,


das stimmt haargenau:
Mein Kommentar war eher auf mich als auf andre Personen gemünzt, auf meine Freunde schon gar nicht.
Daß Du Dich betroffen fühlst - hat das nicht eher mit Deinem Berufsleben als mit Deinem Privatleben zu tun?
Und warum beklommen?


Lieben Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
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Erich Kykal

Re:Entflogen
« Antwort #7 am: Oktober 19, 2014, 17:54:12 »
Hi, Cypi!

Beklommen eben wegen der Parallelen zu meiner Person, die ich im Text fand.

Klar, als Lehrer muss man viel reden, und ich tu es gern. Berufskrankheit, könnte man sagen. Dazu gehört auch der Drang, alles gleich erklären zu wollen und auf jede kleine Unrichtigkeit hinzuweisen. Das tue ich nicht, um Überlegenheit zu demonstrieren, wie man es zuweilen auslegt, sondern stets fachspezifisch orientiert: Fehler oder Unrichtigkeiten stören mich einfach ganz immens.

Hier ist es aber mehr als dies: Der Text beschreibt meinen innersten Kern: Ich höre mich eben auch gerne selber reden, deklamieren, erklären. Ein Gutteil meines Selbstwertgefühls basiert auf der Tatsache, dass ich - gemessen am Durchschnitt - sehr viel weiß. Damit glänze ich gern, weil ich glaube, dass meine Person abseits davon nicht viel hergibt. Nicht viel, worauf ich stolz wäre, abgesehen von Zeichen- und Schreibtalent.

Deine Worte des Trostes sind lieb gemeint, und so nehme ich sie auch. Aber meine Komplexe kannst du leider nicht wegargumentieren...  ;)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Entflogen
« Antwort #8 am: Oktober 19, 2014, 18:04:28 »
Ich hatte überhaupt nicht argumentieren wollen -
ich nehme nur mal als Fazit:
Selbstbild und Fremdbild können unheimlich (!) und dramatisch divergieren.

Später mehr?
Der Schönheit treu ergeben
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charis

  • Gast
Re:Entflogen
« Antwort #9 am: Oktober 19, 2014, 19:11:57 »
Chapaeu Eky!
Aber du bist nicht der einzige, den Daisy da einen Spiegel vorgehalten hat.
Ich hab mich auch erkannt.
Lieben Gruß
charis

Daisy

Re:Entflogen
« Antwort #10 am: Oktober 19, 2014, 20:49:31 »
Guten Abend, ihr Lieben,

hier hat sich ja eine bewegte Diskussion ergeben und wenn einige von euch meinen ein klein bisschen von sich selbst erkannt zu haben, dann ist das wirklich nur reiner Zufall und keineswegs von mir beabsichtigt.

Cyparis liegt mit ihrer Einschätzung ganz richtig, der freundschaftliche Aspekt und das Zuhören sind aufrichtig gemeint, aber frei von Verliebtheit. Auch der Eindruck von gummibaum und charis den Egoismus betreffend ist nicht falsch, der ist auf jeden Fall vorhanden, denn ich glaube, dass es im Leben und in Beziehungen, um bestehen zu können, ohne ein gewisses Maß an Egoismus gar nicht geht. Bei mir ist es jedenfalls so und für mich stellt sich, wenn es um wichtige Entscheidungen geht, meistens die Frage was für mich richtig ist und was mir gut tut und nicht welche Vorteile der eine oder andere dadurch hat.

Es ist ganz einfach so in dieser Geschichte, dass diese beiden sich auf ganz unterschiedlichen Gefühlsebenen bewegten und sich deshalb keine Liebesbeziehung entwickeln konnte. Er träumte von trauter Zweisamkeit und war ganz in sein Verliebtsein verstrickt und sie wollte nur eine aufrichtige, tiefe Freundschaft ohne sich in die Abhängigkeit und Verpflichtung einer Liebesbeziehung zu begeben.

Es tut mir leid, Erich, wenn mein Gedicht einen wunden Punkt berührt hat, ich für meinen Teil sehe da wirklich keine Parallelen und denke, dass du dich selber viel zu streng beurteilst.  :)

Ein herzliches Dankeschön für eure interessanten und aufschlussreichen Gedanken zu meinem Text!

Ganz liebe Grüße
Daisy