Autor Thema: Seelchens Nachtlied  (Gelesen 2419 mal)

Erich Kykal

Seelchens Nachtlied
« am: Oktober 04, 2014, 09:40:52 »
Entuferter Augenblick,
fernes Erahnen
aus Dunkelheit:
Unter dem Sternenkleid
wachsende Ringe
am Webstuhl der Dinge.

Hoffe ein kleines Glück,
raunt ein Ermahnen
am Saume der Zeit.
Und über alles weit
fleht meine Ewigkeit,
dass ich sie singe...
« Letzte Änderung: Juni 17, 2021, 21:05:42 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

charis

  • Gast
Re:Seelchen's Nachtlied
« Antwort #1 am: Oktober 04, 2014, 13:46:38 »
Lieber Eky,
Ein feines Kleinod! Ganz meins.
Lieben Gruß
charis
(warum "im")

Erich Kykal

Re:Seelchen's Nachtlied
« Antwort #2 am: Oktober 04, 2014, 14:02:04 »
Hi, Charis!

"Im" Webstuhl (eingespannt), so mein Gedankenbild. Aber du hast recht - es ist schwierig nachvollziehbar. Diegängige Phrase lautet eben "am (auf dem) Webstuhl".

Danke dür den Tipp.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Thomas

Re:Seelchen's Nachtlied
« Antwort #3 am: Oktober 04, 2014, 15:10:24 »
Lieber Erich,

ein interessante Experiment. Versuchshalber habe ich mal die zweite Strophe metrisch genau wie die erste gemacht, wobei "Miniglück" nur da steht, weil mir nichts besserse eingefallen ist "kleines Glück" geht zur Not, aber der Ton auf der letzten Silbe ist halt deutlich stärker als bei "Augenblick".

Liebe Grüße
Thomas


Erhoffe ein Miniglück,
raunt ein Ermahnen
am Saum der Zeit.
Über den Sternen weit
fleht meine Ewigkeit,
dass ich sie singe...
S p r i c h t die Seele so spricht ach! schon die S e e l e nicht mehr

(Friedricht Schiller)

Erich Kykal

Re:Seelchen's Nachtlied
« Antwort #4 am: Oktober 04, 2014, 17:36:05 »
Hi, Thomas!

Gerade das war ja das Experiment - sich aus allen Zwängen zu lösen und nur der inneren Melodie, dem Takt der Sprache zu folgen. Zudem kommen die Sterne schon in S1 vor.

Was ich noch bedenke: Wäre in der vorletzten Zeile statt "Ewigkeit" vielleicht "Sterblichkeit" das tiefgreifendere Wort?  ??? - Was denkst du?

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Thomas

Re:Seelchen's Nachtlied
« Antwort #5 am: Oktober 04, 2014, 18:42:02 »
Lieber Erich,

ich ahnte ja nicht... Dann bin ich mal gespannt, was noch kommen wird.

Ich glaube dem Seelchen steht die Ewigkeit besser.

Liebe Grüße
Thomas
S p r i c h t die Seele so spricht ach! schon die S e e l e nicht mehr

(Friedricht Schiller)

Erich Kykal

Re:Seelchen's Nachtlied
« Antwort #6 am: Oktober 04, 2014, 18:52:11 »
Naja, ganz nachdem, was man glauben möchte... ;) Ich folge mal deinem Ratschlag und belasse es bei der Ewigkeit. Danke!

Inspiriert zu diesem Experiment hat mich - wer wohl sonst? - Rilke mit diesem Gedicht:
GEBET

Ernster Engel aus Ebenholz:
Du riesige Ruh.
Dein Schweigen schmolz
noch nie in den Bränden
von Büßerhänden.
Flammenumflehter!
Deine Beter
sind stolz:
wie du.

Der du versteinst,
du über den Blicken beginnender
König, erkiese
dir ein Geschlecht,
dem du gerecht
erscheinst,
saumsinnender
Riese.

Du, aller Matten
Furchteinflößer,
Einer ist größer
als du: dein Schatten.

Auch wenn ich inhaltlich als Nichtgläubiger nicht übereinstimme, so hat mich der Text doch tief beeindruckt, folgt er doch ganz seiner eigenen Melodie - sozusagen atavistische Lyrik. Es ist kaum ein Schema zu erkennen, und doch rastet jedes Wort dort ein, wo es soll, bewegt dynamisch ein größeres Ganzes in einer ganz der Sprache selbst zugewandten Harmonie, die sich an den Inhalt schmiegt, ihm folgt, ihn hegt und befördert, ganz eins in allem, mit sich und dem frei fließenden, nur dem eigenen Rhythmus folgenden Strom der Worte. - Wunderbar...

LG, eKy
« Letzte Änderung: Oktober 04, 2014, 18:56:22 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re:Seelchen's Nachtlied
« Antwort #7 am: Oktober 04, 2014, 19:57:45 »
Hallo Erich, Nachtschwärmer!

Begegnung äußerer und innerer Unendlichkeit führt zur Entrückung. Sind Rilkes Ringe und Goethes/Erdgeistes Webstuhl bewusst im Bild vereint?

LG gummibaum

Erich Kykal

Re:Seelchen's Nachtlied
« Antwort #8 am: Oktober 04, 2014, 20:47:04 »
Hi, Gum!

"So schaff ich am sausenden Webstuhl der Zeit
und wirke der Gottheit lebendiges Kleid."

Klar, die Stelle ist mir geläufig. Allerdings habe ich hier beim Dichten nicht explizit daran gedacht. Webrahmen oder -stühle findet man ja auch bei den Schicksalsgöttinen, den Parzen oder Moiren, welche dort die Schicksale der Menschen verweben und - wenn die Zeit gekommen ist - den Lebensfaden durchtrennen.
Die Ringe sollen indes sehr wohl an meine Inspiration für dieses lyrische Experiment erinnern (siehe mein letzter Kommi oben).

LG, eKy
« Letzte Änderung: September 03, 2020, 13:27:57 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Thomas

Re:Seelchen's Nachtlied
« Antwort #9 am: Oktober 04, 2014, 23:00:28 »
Lieber Erich,

das Gedicht von Rilke kannte ich nicht. Das ist wirklich gut. Dank.

Liebe Grüße
Thomas
S p r i c h t die Seele so spricht ach! schon die S e e l e nicht mehr

(Friedricht Schiller)

cyparis

Re:Seelchen's Nachtlied
« Antwort #10 am: Oktober 05, 2014, 09:55:44 »
Lieber Erich,


ein gewagtes und gelungenes Experiment.
Aber was soll der falsche apostroph im Titel? ???

Ätherische Sonntagsgrüße
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re:Seelchens Nachtlied
« Antwort #11 am: Oktober 05, 2014, 11:07:38 »
Hi, Cypi!

Oh - ein Relikt meiner Englischlehrerausbildung: Manchmal schlägt der "Saxon Genitive" ins Deutsche durch... - Peinlich! :-[ ;D

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

charis

  • Gast
Re:Seelchens Nachtlied
« Antwort #12 am: Oktober 09, 2014, 22:33:08 »
Lieber Eky,
Mich hast du eigentlich nicht gefragt, aber angesichts dieser "Inspiration" - ich bin überrascht - würde ich es bei "Ewigkeit" belassen.  :)
Was heißt "erkiesen" und sind das diese Matten, die ich schon bei dir gelesen haben?
Lieben Gruß
charis

Erich Kykal

Re:Seelchens Nachtlied
« Antwort #13 am: Oktober 09, 2014, 23:03:18 »
Hi, charis!

Ja, die Matten sind ein lyrischer Euphemismus für Wiesen. Im normalen Sprachgebrauch wird der Begriff bei uns eher im Bergland (Gebirge) verwendet.

"Erkiesen" ist ein alter Begriff für "erwählen, küren". Kommt glaub ich ursprünglich aus dem Niederländischen...

LG, eKy

PS: Zitat: "Mich hast du eigentlich nicht gefragt,..." - Wieso? Muss ich hier jeden extra fragen, ob er mir einen Kommi schenkt oder seine Meinung kundtut? :D ;) Nönö, hier darf jeder absenfen, wie er lustig ist! ;D :-*
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

charis

  • Gast
Re:Seelchens Nachtlied
« Antwort #14 am: Oktober 09, 2014, 23:27:42 »
dijontouche! Das accent aigu hab ich leider nicht gefunden.  ;D
« Letzte Änderung: Oktober 09, 2014, 23:31:26 von charis »