Autor Thema: Dem Satz  (Gelesen 906 mal)

Meishere

  • Gast
Dem Satz
« am: September 28, 2014, 15:58:02 »
Ein Satz, er ward geschrieben wohl zum Zwecke der Verwirrung,
denn wer ihn las, der fühlt' sich hohl, vergaß jedwed' Entzückung,
die teilzuwerden diesem Satz so eigentlich gebührte,
denn war er doch ein wahrer Schatz, der Leseraugen führte

auf langen Pfaden voller Staben in das Labyrinth,
in welchem sich die Worte laben, weil sie Worte sind,
in welchem sich Vokale paaren, purer Lust zu Willen,
die gegenseitig sich erfahren und mit Sinn erfüllen,

auf leisen Schwingen in die Lüfte, immer hoch hinaus,
wo Freiheit atmet wilde Düfte täglich ein und aus
und Striche sich zu Formen formen, die ein jeder kennt,
wo Fantasie vertreibt die Normen und der Himmel brennt,

den las ich, und am Ende dann ist so viel Zeit verronnen,
dass ich mich nicht erinnern kann, wie dieser Satz begonnen.
« Letzte Änderung: September 28, 2014, 22:59:34 von Meishere »

gummibaum

Re:Dem Satz
« Antwort #1 am: September 28, 2014, 19:29:46 »
Hallo Meishere,

das ist lustig und erinnert mich an einen meiner Kommentare heute morgen. Aber hier geht es wohl um einen anderen Satz mit Stabreim, den ich allerdings kaum finde (S3/V3: formen Formen). Und am ehesten geht es um deinen Satz hier, der sich durch das ganze Gedicht windet. Kunstvoll ist er allein durch den Binnenreim, aber für mich nicht allzu zu schwer zu verstehen. Allerdings ist zwischen "führte" (S1V4) und "hinaus" ein Abstand, der dem trennbaren Verb "hinausführen" eine wahrhaft brutale Trennung aufbrummt. Ein schönes Ende bereitet der letzte Vers dem Ganzen.

S1/V3: ihm zuteilzuwerden
S2/V3: purer Lust zu Willen

Gern gelesen
LG gummibaum






« Letzte Änderung: September 28, 2014, 22:36:58 von gummibaum »

Meishere

  • Gast
Re:Dem Satz
« Antwort #2 am: September 28, 2014, 20:02:44 »
Hallo gummibaum,

freut mich, dass es gefällt :)

Sei dir mal nicht zu sicher, dass nicht eben dieser Kommentar ein Teil der Inspiration war ;)
Falls du dann auf einen bestimmten Satz mit Stabreim hinauswillst, dann muss ich dich wohl enttäuschen, ich wüsste nicht welcher.

Dass das Gedicht ein einziger Satz ist, ist natürlich Absicht, aber wie gesagt, das Gedicht ist sich nicht selbst Inspiration gewesen.
Allerdings war ich von langen Sätzen schon immer sehr angetan (Man beachte so einige Philosophen) und wenn sich hier zeigt, dass ein langer Satz nicht zwingend zur totalen Verständnislosigkeit führt, so freut es mich umso mehr! :D

Die Trennung von hinaus und führen hat sich recht spontan ergeben, ich hätte beide natürlich auch direkt S2 zusammenführen können, aber so ist es doch viel hübscher ;)

Deine Vorschläge übernehme ich gerne. Wobei es in diesem Fall ja "Pflichtübernahmen", danke dir :)
In S1/V3 muss ich allerdings "schummeln", erlaubt?

LG,
Meishere
« Letzte Änderung: September 28, 2014, 20:06:19 von Meishere »

Erich Kykal

Re:Dem Satz
« Antwort #3 am: September 28, 2014, 20:22:16 »
Hi, Mei!


Ein Satz, er ward geschrieben wohl zum Zwecke der Verwirrung,
denn wer ihn las, der fühlt' sich hohl, vergaß jedwed' Entzückung, Verwirrung und Entzückung reimen sich nicht wirklich, weil kein betonter Vokal übereinstimmt. Richtig wären zB "Verwirrung/Verirrung" oder "Verzückung/Entrückung". Das "jedwed'" klingt geschnörkelt und gezwungen.
die teilzuwerden diesem Satz so eigentlich gebührte,
denn war er doch ein wahrer Schatz, der Leseraugen führte

auf langen Pfaden voller Staben in das Labyrinth,
in welchem sich die Worte laben, weil sie Worte sind, Woran laben sie sich denn? Hast du das Wort wegen der Ähnlichkeit mit "Labyrinth" gewählt? Vorschlag: "in welchem sich die Worte freuen, dass sie Worte sind,"
in welchem sich Vokale paaren, purer Lust zu Willen,
die gegenseitig sich erfahren und mit Sinn erfüllen,

auf leisen Schwingen in die Lüfte immer höher hinaus, "immer höher hinaus" = XxXxxX Eine männliche Kadenz nach einem Prall unbetonter Silben - das geht so nicht in einem Gedicht mit weiblichen Kadenzen.
wo Freiheit atmet wilde Düfte täglich ein und aus
und Striche sich zu Formen formen, die ein jeder kennt, Wortwiederholung "Formen formen" ist natürlich gewollt - ob schön, ist eine andere Frage. Vorschlag: "...zu Formen finden,"
wo Fantasie vertreibt die Normen und der Himmel brennt, Unschöne Inversion. Vorschlag: "wo Fantasie die Normen zügelt und ..."

den las ich und am Ende dann ist so viel Zeit verronnen, Komma nach "ich".
dass ich mich nicht erinnern kann, wie dieser Satz begonnen.


Ein interessantes "Experiment" mit augenzwinkernder Selbstironie - gern gelesen! ;D

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re:Dem Satz
« Antwort #4 am: September 28, 2014, 22:42:23 »
Ich muss nochmals auf den Stabreim zurückkommen. Du schreibst doch im Gedicht

"auf langen Pfaden voller Staben in das Labyrinth"

und nicht "voller Stäbe".

LG g

Meishere

  • Gast
Re:Dem Satz
« Antwort #5 am: September 28, 2014, 22:53:43 »
Lieber eKy, danke auch an dich :)
Vorweg: So lass mir doch meine Binnenreime! :D
S1: Ja, du hast schon recht. i auf ü ist recht gewagt! Das "jedwed" jedoch ist absichtlich deshalb gewählt ;)

S2: Zum einen der Ähnlichkeit wegen, zum anderen, weil sie sich laben. An ihrer Existenz.

S3: Selbstverständlich hast du recht! Die Kadenz ist ein Fehler, weil ich "hinaus" metrisch falsch eingeordnet habe. Hoffentlich finde ich eine Lösung.
höher wurde zu hoch. Für mich passt es, recht einfache Lösung!
Die Inversion, außerhalb jeder Norm ;)

S4: Kommata werden liebend gern angenommen. Irgendwann kriege ich das hoffentlich mal hin. Ist ja peinlich!

Genauso gern las ich deinen Kommentar :D


Und an dich, gummibaum:
Ich dachte mir schon, dass du darauf anspielst.
Gemeint sind aber viel allgemeinere "Staben", wie sie im Buche stehen sozusagen :D

Ich hoffe ich habe nichts ausgelassen,
LG,
Meishere
« Letzte Änderung: September 28, 2014, 23:01:01 von Meishere »

cyparis

Re:Dem Satz
« Antwort #6 am: Oktober 05, 2014, 10:32:10 »
Lieber Meishere,


das mit den Staben kenne ich von anderen Usern, die es aber in rein humoristischem Sinne gebrauchten.
Ich schließe mich Erichs Lob an, kann das aber nicht so vollendet ausdrücken wie er.
Auch ich liebe endlos lange Schachtelsätze, wenn sie denn nicht gewollt verdreht und zerdehnt sind.
Ich kenne sie v.a. bei Thomas Mann (z.B. "Der Zauberberg"), und mit fast diebischem Vergnügen lese ich sie wieder und wieder, um neue Finessen zu entdecken.

Deins find ich erster Klasse!


Lieben Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
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Meishere

  • Gast
Re:Dem Satz
« Antwort #7 am: Oktober 05, 2014, 20:06:54 »
Ich danke dir, liebe cyparis! :)

Genau wie dir geht es mir auch! Auch wenn ich gestehen muss, dass ich mir noch viel mehr Platz für das Studeiren von Literatur schaffen muss.
In letzter Zeit habe ich leider kaum gelesen. So kenne ich auch den Zauberberg nicht :)
Aber was nicht ist, das kann noch werden!

Was die Staben angeht: Ich fand die Kombination aus "Buch" und "Staben" schon immer so interessant. Schließlich eindeutig ein zusammengesetztes Nomen. Nur, dass das Wort "Staben" so nicht mehr (oder wenn sehr selten und mir nicht geläufig?) vorkommt/genutzt wird.
Inzwischen weiß ich, dass es sich wohl auf die Runenstäbe alter germanischer Stämme zurückführen lässt.
Interessant und "würdigbar" wie ich finde :)

LG,
Meishere