Autor Thema: Nebel  (Gelesen 1451 mal)

cyparis

Nebel
« am: September 02, 2014, 17:41:28 »
Wie der Nebel sank. Und wie er wieder steigt!
Ich habe diese unsre Nacht verwacht; bedacht
des Fährmanns lockendes Gebot verlacht,
und dennoch meine Münzen abgezweigt.

Der halbe Mond: Ich habe kindlich mich verneigt.
Das Boot, das Boot: Es trägt die dunkle Fracht.
Allerletztes ward vor Jahren schon vollbracht.
Dämmernd und verdämmernd hat es sich gezeigt.

Gnädig hat der blasse Nebel mir gewaltet.
An seinem Mantel haften kaum Konturen.
Diffuses und Geahntes wird aufs Neu gestaltet.

Ich folge zögernd unwach seinen Spuren.
Ich wünsche Euch, daß Ihr für Euch behaltet,
was ich verlor: Des Lebens wahre Fluren.








02. September 2014
ad hoc



Erich Kykals geschliffne Fassung:



Hier eine "bereinigte" Version mit durchgehend unbetonten Auftakten und fünfhebigen Zeilen:

Der Nebel sank. Und wie er wieder steigt!
Ich habe unsre Nacht verwacht; bedacht
des Fährmanns lockendes Gebot verlacht,
und dennoch meine Münzen abgezweigt.

Der Mond: Ich habe kindlich mich verneigt.
Das schwanke Boot: Es trägt die dunkle Fracht.
Ein Letztes ward vor Jahren schon vollbracht.
Verdämmernd, vage hat es sich gezeigt.

So gnädig hat der Nebel mir gewaltet.
An seinem Mantel haften kaum Konturen.
Diffuses und Geahntes wird gestaltet.

Ich folge zögernd unwach seinen Spuren.
Ich wünsche Euch, daß Ihr für Euch behaltet,
was ich verlor: Des Lebens wahre Fluren.


« Letzte Änderung: September 02, 2014, 23:08:14 von cyparis »
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

gummibaum

Re:Nebel
« Antwort #1 am: September 02, 2014, 19:43:20 »
Lieber Cyparis,

das Gedicht, äußerlich Sonett und innerlich sehr gut (ich komme darauf zurück), hat formale Brüche: So wird in den Versen 1,9,10 und 11 auf der ersten Silbe betont, Verse 2,5,9 haben 12, Vers 11 sogar 13 Silben. Ist das beabsichtigt?

LG gummibaum


Erich Kykal

Re:Nebel
« Antwort #2 am: September 02, 2014, 21:06:26 »
Hi, Cypi!

 Ups, Gum hat es auch bemerkt! Seltsam, bei manchen deiner Gedichte gibt es metrisch nichts zu beanstanden (oder kaum was ;)), andere sind komplett querbeet! Wie kommt's? Sprachlich gediegen sind sie ja alle, aber der Rhythmus, der Rhythmus...

Hier eine "bereinigte" Version mit durchgehend unbetonten Auftakten und fünfhebigen Zeilen:

Der Nebel sank. Und wie er wieder steigt!
Ich habe unsre Nacht verwacht; bedacht
des Fährmanns lockendes Gebot verlacht,
und dennoch meine Münzen abgezweigt.

Der Mond: Ich habe kindlich mich verneigt.
Das schwanke Boot: Es trägt die dunkle Fracht.
Ein Letztes ward vor Jahren schon vollbracht.
Verdämmernd, vage hat es sich gezeigt.

So gnädig hat der Nebel mir gewaltet.
An seinem Mantel haften kaum Konturen.
Diffuses und Geahntes wird gestaltet.

Ich folge zögernd unwach seinen Spuren.
Ich wünsche Euch, daß Ihr für Euch behaltet,
was ich verlor: Des Lebens wahre Fluren.


Das ist wunderbar! Wenn du doch bloß zuweilen etwas mehr Obacht walten lassen könntest... :-\

Sehr gern gelesen und "bereinigt"! :)

LG, eKy







« Letzte Änderung: September 02, 2014, 22:04:51 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re:Nebel
« Antwort #3 am: September 02, 2014, 21:51:47 »
Du hast eine bezwingende Atmosphäre am Ufer des Styx gestaltetet und mit einer Aufforderung zum Schweigen abgeschlossen, der ich in meiner Begeisterung nur sehr schwer nachkommen kann. Ich flüstere: In der nun rhythmisch geläuterten Form: Berauschend gut ... danke.

LG gummibaum  

« Letzte Änderung: September 02, 2014, 22:04:10 von gummibaum »

cyparis

Re:Nebel
« Antwort #4 am: September 04, 2014, 11:03:08 »
Lieber Erich, lieber Gummibaum -


ich danke Euch sehr für die konstruktive Unterstützung.
Wenn ich mich recht erinnere, wurde ich vom Gummibaums Nebelgedicht inspiriert.


Ganz liebe Grüße
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
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wolfmozart

Re:Nebel
« Antwort #5 am: September 06, 2014, 15:47:17 »
Das scheint mir ein persönliches Gedicht zu sein, cyparis.
In jeder Hinsicht gelungen, und auch das Reim-Schema beeindruckt mich.
Aber allem voran leuchtet das Inhaltliche.

Liebe Grüße

wolfmozart

cyparis

Re:Nebel
« Antwort #6 am: September 06, 2014, 16:28:39 »
Lieber Wolfmozart ,

ja - das ist persönlich besetzt.
Aber der gute Wunsch an und für meine Freunde zum Ende des Gedichts:
Der sollte im Vordergrund stehen. :)

In diesem Sinne:
Frohes Schaffen!


Herzlichen Gruß
von
Cyparis
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Thomas

Re:Nebel
« Antwort #7 am: September 08, 2014, 19:51:00 »
Liebe cyparis,

dein Gedicht ist ergreifend. Die metrisch beruhigte Version von Erich macht noch deutlicher wieso. Beide Versionen sind sehr gut, sie wirken jedoch ganz unterschiedlich. Erichs Verison spiegelt abgeklärte Ruhe, während deine die Spannung vermittel, die zwischen dem Verlachen des Fährmanns und dem Abzweigen des Lohnes für die Überfahrt über den Styx liegt, noch nicht abgeklärt. Es ist sehr schön und von allgemein menschlicher Bedeutung.

Liebe Grüße
Thomas
S p r i c h t die Seele so spricht ach! schon die S e e l e nicht mehr

(Friedricht Schiller)

cyparis

Re:Nebel
« Antwort #8 am: September 09, 2014, 07:59:04 »
Lieber Thomas,


hab ganz herzlichen Dank für Deine lobenden Worte!
Du hast den Inhalt fein erfaßt.


Lieben Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
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charis

  • Gast
Re:Nebel
« Antwort #9 am: September 21, 2014, 10:11:12 »
Unglaublich ergreifende, schöne und traurige Bilder, Cyparis,
und eine wunderschöne Sprache, große Lyra!
Mir gefällt die erste Version persönlich besser,
ich finde sie lebendiger und eindringlicher.
Die "Unruhe" gehört hier einfach dazu!
Lieben Gruß
charis

Aspasia

  • Gast
Re:Nebel
« Antwort #10 am: September 21, 2014, 10:47:49 »
Großartig in Sprache, Bild und Inhalt. Würde ich sofort in eine Anthologie aufnehmen.

LG
Aspasia

cyparis

Re:Nebel
« Antwort #11 am: September 21, 2014, 19:52:23 »
Liebe charis, liebe Aspasia -


laßt Euch danken für das große, beinahe überschwängliche Lob!
Da muß ich fast erröten...
Und der Tag bekommt ein besonderes Licht.


Lieben Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
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