Autor Thema: Lebenswege  (Gelesen 1074 mal)

Aspasia

  • Gast
Lebenswege
« am: September 05, 2014, 22:09:17 »
Wir sind nicht mehr, was wir einst waren,
die Zeiten sind veränderlich,
ich lieb dich nicht mehr wie vor Jahren,
da kannten wir das Leben nicht.

Wir weigerten, uns anzusehen
den Film, "Realität" genannt,
die Prüfungen, die zu bestehen,
den Kampf um unser Liebesband.

Wir mussten weite Wege gehen,
ein gutes Stück steht noch bevor,
gemeinsam werden wir bestehen:
Ich lieb dich mehr als je zuvor.

gummibaum

Re:Lebenswege
« Antwort #1 am: September 06, 2014, 00:35:08 »
Hallo Aspasia,

das Ende kommt überraschend anders, als man denkt. Aber dann klärt sich auf, dass die langen Wege der Erkenntnis nicht in zur Ernüchterung, sondern in zur Wertschätzung geführt haben.
Das bricht beim Leser ein eingeschliffenes  Denkmuster auf.

Gern gelesen.
LG gummibaum

Erich Kykal

Re:Lebenswege
« Antwort #2 am: September 06, 2014, 14:48:37 »
Hi, Aspasia!

Ein schönes Gedicht über die Prüfungen in einer Beziehung und deren Bestehen.

In S1 fällt der unreine Reim auf (veränderlich/nicht).

S2 mit einer Inversion ("anzusehen den Film"), das Komma in Z1 ist zudem falsch gesetzt, es müsste, wenn überhaupt, NACH dem "uns" kommen. In diesem Falle aber denke ich, dass da überhaupt keines hingehört.
Die Weglassung des HZW in Z3 ("die zu bestehen waren") ist ebenfalls unschön, wenn nicht gar unrichtig. Sprachlich schöner, den Satz in Z4 direkt weiterzuführen.

S3Z2 würde ich mit einem Punkt beenden, denn danach beginnt die Sinneinheit der Conclusio mit der "Moral von der Geschicht".

Die Verkürzung "lieb" in der letzten Zeile von S3 wirkt gemessen am sonstigen lyrischen Duktus etwas emotional verharmlosend, will sagen es passt nicht zur avisierten Tiefe der zu vermittelnden Emotion.

Vorschläge:


Wir sind nicht mehr, was wir einst waren,
die Zeiten sind veränderlich,
und heute anders als vor Jahren
erkenne und versteh ich dich.

Wir weigerten uns anzusehen
den Film, "Realität" genannt,
und Prüfungen, die zu bestehen
uns täglich neu das Leben fand.

Wir mussten weite Wege gehen,
ein gutes Stück steht noch bevor.
Gemeinsam werden wir bestehen:
Ich liebe mehr dich als zuvor.


Nimm, was dir brauchbar erscheint. Sehr gern gelesen und bearbeitet! :)

LG, eKy
« Letzte Änderung: September 06, 2014, 14:51:18 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Lebenswege
« Antwort #3 am: September 06, 2014, 21:39:27 »
Liebe Aspasia -


der letzte Vers ist betörend schön!
Ich stimme Gummibaum zu:
Ich war auf ein ganz andres Ende gefaßt - und dann diese innig-tiefe Verbundenheit ...
eine wirkliche Krönung der Strophen!

Zu Erichs Anmerkungen wage ich nicht viel zu sagen, denn im Grunde finde ich die Ursprungsfassung vielleicht weniger glatt, dafür aber kräftiger, packender.
Und "metrummäßig" bin ich eh nicht sehr hell.



Freundlichen Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Thomas

Re:Lebenswege
« Antwort #4 am: September 08, 2014, 19:37:28 »
Liebe Aspasia,

ich finde dein Gedicht sehr schön, und gerade die positive Wendung in der letzten Strophe gefällt mir.

Cyparis würde ich bezüglich des Rhythmus zustimmen, der mir in deiner Version gut gefällt. Erichs Vorschläge sind alle sehr gut, er liebt halt den fließenden Rhythmus, doch man kann es bisweilen auch etwas dynamischer schätzen. Das kann ich doch so sagen, lieber Erich, ohne dass du böse bist? Ich würde jedoch empfehlen, Erichs Vorschlag für die zweite Strophe zu übernehmen, nicht wegen des Rhythmus, sondern weil meiner Meinung die letzte Zeile diese Strophe (durch das "Liebesband") etwa zu viel Pathos hat und bei Erich so schön schlicht klingt.

Liebe Grüße
Thomas
S p r i c h t die Seele so spricht ach! schon die S e e l e nicht mehr

(Friedricht Schiller)

Aspasia

  • Gast
Re:Lebenswege
« Antwort #5 am: September 08, 2014, 22:03:38 »
Danke an euch alle fürs Lesen und Kommentieren, und dir Erich besonders für die ausführliche Auseinandersetzung.

Also:

Die Änderung in der ersten Strophe kann ich nicht annehmen, weil sie von dem, was ich sagen wollte (nämlich der Einfluss der Alltagswidrigkeiten = "das Leben"), sang- und klanglos verschwindet und ich auch mit keinem Wort behaupten wollte, dass das lyrische Ich das lyrische Du zu verstehen gelernt hat. Es geht um Akzeptanz aus Liebe. Da finde ich mich lieber mit dem etwas vermurksten Reim ab.

Mit dem "und" in der zweiten Strophe kann ich leben, mit der Inversion im letzten Vers jedoch nicht.

In Strophe drei kann ich auch den Punkt und Satzneuanfang akzeptieren, die Inversion im letzten Vers jedoch nicht.

Deine Verbesserungsvorschläge lassen das Gedicht perfekter erscheinen, was die Regeln angeht, daran besteht kein Zweifel, aber es sagt nicht mehr das aus, was ich sagen wollte. Außerdem verliert es an Rhythmus und Lebendigkeit. Ich willl auch gar keine Gedichte schreiben, an die man die Schablone ansetzt und dann abhakt, ob etwas falsch oder richtig ist, sondern ich will schreiben, was ich sehe und fühle. Und um das auszudrücken, breche ich durchaus die Regeln.

Das ist mein Stil. Aber dennoch sind Verbesserungsvorschläge immer willkommen, denn sie laden dazu ein, sich mit den eigenen Texten auseinanderzusetzen.

Einen lieben Gruß und schönen Abend,
Aspasia