Autor Thema: So manche Nächte...  (Gelesen 1390 mal)

Erich Kykal

So manche Nächte...
« am: August 14, 2014, 23:59:49 »
So manche Nächte ging ich durch die Straßen,
wenn all die Menschen schon zu Hause waren,
sah dort sie älter werden mit den Jahren,
und wie sie immer noch beisammen saßen.

So manche Nächte fand ich mich im Lauschen,
verspürte Leben, das ich nie besaß,
war sein Verschweigen und sein Übermaß
und wollte meine Nacht mit keinem tauschen.

So manche Nächte sprachen mir von Wunden,
von kleinen Kriegen in der großen Stille,
dem süßen Kuchen mit der bittren Pille,
daran nicht Zeit noch Lebensglück gesunden.

So manche Nächte stöhnten unter Schmerzen:
Ein Kind war krank, eins wurde krank gemacht,
und beide weinten leise in die Nacht:
Das eine starb. Das andre starb im Herzen.

So manche Nächte waren unbescholten,
so manche andre aber tauschten Küsse,
als ob die Liebe dämmernd enden müsse -
und beides hat dem Morgen nichts gegolten.

So manche Nächte fand ich kein Erbarmen,
in vielen aber wuchs die Seele groß
und wusste endlich wieder sich im Schoß
der ganzen Menschheit und in ihren Armen.

So manche Nächte klärt sich unser Leben
in goldnen Bildern aus erhellten Räumen,
die durch das Glas mit allen ihren Träumen
dem Träumer draußen erst den seinen geben.
« Letzte Änderung: August 15, 2014, 00:03:16 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Jana

Re:So manche Nächte...
« Antwort #1 am: August 15, 2014, 16:12:49 »
Lieber eKy,

es tut mir irgendwie immer leid, dass ich Deine Gedichte nicht so fachkundig kommentieren kann, wie Du es bei denen der anderen tust.
Mir gefällt Dein Gedicht wirklich sehr gut, es fesselt den Leser (also zumindest mich) und zeigt ihm verschiedene wunderschöne Bilder.

Sehr gern gelesen und liebe Grüße,
Jana

Meishere

  • Gast
Re:So manche Nächte...
« Antwort #2 am: August 15, 2014, 16:27:46 »
Lieber Erich,

dieses Gedicht beschreibt so vieles und dann doch wieder etwas ganz spezielles.
Für mich liest es sich ersteinmal geradezu wie ein Rückblick auf ein Leben, mit allem was dazu gehört, Liebe, Freude, Trauer...
Nicht aber wie ein endgültiger Rückblick, nein, eher ein Resümee nach einigen Jahren Erfahrung.

Zum anderen eine kleine Ode an die Nacht.
Für mich war es schon immer so, dass die Nacht eine viel intensiverre Zeit darstellt als der Tag.
Es kreisen Gedanken, und es gehen Gedanken verloren, die Liebe wird gefeiert, das Leben ebenso oder beendet.
Menschen, die tagsüber professionell im Leben stehen, lassen nachts die Hüllen fallen und sind, wie sie sind.

Das führt dann wundervoll in deiner letzten Strophe zusammen.
Das Leben, dass erst in der Nacht dem Lebenden seine eigentliche Bedeutung zeigt.
So können Erinnerungen die dunkelsten Nächte erhellen.
Und Hoffnungen wachsen.


Bewundernde Grüße,
Meishere
« Letzte Änderung: August 15, 2014, 16:29:51 von Meishere »

cyparis

Re:So manche Nächte...
« Antwort #3 am: August 15, 2014, 17:29:45 »
Lieber Erich,


wieder ein Meisterwerk!

Im Übrigen schließe ich mich Meisheres Ausführungen an.
Was hast Du geändert?


Einmal mehr auf den Knieen:
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re:So manche Nächte...
« Antwort #4 am: August 15, 2014, 19:15:50 »
Hi, Jana, Meishere, Cypi!

Cypi, was soll ich geändert haben?

Das Gedicht beschreibt einen scheuen Menschen, der immer nur nachts spazieren geht und das Leben der Menschen in den erleuchteten Fenstern mitbekommt: Die hässliche, aber auch die schöne Seite menschlichen Miteinanders. Daran reift er und fühlt sich dadurch endlich mit seinem eigenen Menschsein versöhnt.

Vielen Dank für soviel positives Feedback! :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Aspasia

  • Gast
Re:So manche Nächte...
« Antwort #5 am: August 15, 2014, 19:40:10 »
Lieber Erich,

meine Vorredner haben schon alles gesagt, und dem kann ich mich ohne Wenn und Aber anschließen.

Ein Gedanke ist mir noch gekommen: Das Gedicht hat für mich einen nostalgischen Touch, nicht, weil das lyrische Ich eine gewisse Lebenserfahrung hat, sondern weil dieses Wandeln durch bekannte Straßen und an Wohnungen vorbei, deren Bewohner der Wandernde kennt, mir heute gar nicht mehr machbar erscheint. Dein Gedicht erzählt eine Geschichte aus der Zeit, als die Menschen noch näher beisammen waren, nicht so anonym und abgekapselt wie heute. Die Leute wohnten anders (und auch länger in derselben Wohnstatt) und bewegten sich im Hof und auf der Straße anders, überhaupt waren sie viel mehr draußen. Aus meiner Kindheit ist mir diese Art, mit seiner Umgebung zu leben, noch bekannt. Es war die Zeit, in der noch romantische Werbung wie die mit dem Romika-Mann, der abends um acht Uhr durch die Straßen zog, um die Laternen zu löschen und die Menschen zur Ruhe zu mahnen, Jung und Alt Freude bereitete.

Lange vorbei. Aber wie auch immer, Erich, Dein Gedicht ist wundervoll.

Lieben Gruß
Aspasia


Erich Kykal

Re:So manche Nächte...
« Antwort #6 am: August 15, 2014, 20:12:29 »
Hi, Aspasia!

Mit dem nostalgischen Touch hast du durchaus recht: auch ich empfinde das so. Als Teenager ging ich oft im Dunklen spazieren (da hatte ich meine Ruhe und musste mich nicht ständig ungewollt und unangenehm mit Menschen auseinandersetzen - ich hatte damals nicht viele gute Erfahrungen mit zwischenmenschlichen Kontakten, die meisten waren unerquicklich oder sogar demütigend). Die Straßenbeleuchtung war damals noch nicht so grell, am Land gab es sie noch gar nicht. In der Stadt half, dass ich nicht direkt im Zentrum wohnte, sondern am Übergang zu einer Gegend mit Einfamilienhäusern mit Gärten - aus dem Dunkel der Gärten stachen erleuchtete ebenerdige Fenster gut heraus.
Nicht dass ich extra Leute ausgespäht hätte (zumindest nicht oft, hähä... :D), aber beim nächtlichen Gehen bekommt man doch ungewollt den einen oder anderen Einblick in das beleuchtete Leben anderer. Damals hat mich das berührt, ohne dass ich es bemerkt oder etwas damit anzufangen gewusst hätte. Erst heute, rückblickend, erkenne ich, dass soche Bilder damals zeitweise das einzige waren (abgesehen vom Elternhaus), was mich noch einigermaßen positiv mit der Menschheit verband.
Diese "Sozialkontakte" waren regulierbar, steuerbar und überschaubar. Und zu sehen, dass auch andere nicht immer "heile Welt" hatten, konnte meine eigenen Erniedrigungen teilweise heilen, so seltsam das klingen mag. Das hat mir letztlich mit geholfen, meine tiefgreifenden, durch jahrelanges Schulmobbing verursachten sozialen Hemmungen zu überwinden und wieder auf Menschen zuzugehen.

Ohne den Gedanken vorgefasst zu haben, geriet mir diese Erinnerung nun beim Schreiben auf's Papier...

Vielen Dank für deine freundlichen Worte! :)

LG, eKy
« Letzte Änderung: August 15, 2014, 20:16:42 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:So manche Nächte...
« Antwort #7 am: August 15, 2014, 20:30:32 »
Lieber Erich -

Ohne den Gedanken vorgefasst zu haben, geriet mir diese Erinnerung nun beim Schreiben auf's Papier...

Und bei mir wurden vielfältige Erinnerungen ähnlicher Art wach!
Dank dafür!


Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re:So manche Nächte...
« Antwort #8 am: August 15, 2014, 20:35:56 »
Gern geschehen! ;) :D
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.