in deren samtnem Brunnendunkel
der Seele Leid wie Nebel schwindet,
wo immer mich dein Schauen findet
gleich klarer Nächte Sterngefunkel.
Alternative 3. Strophe:
in deren samtnen Brunnenschatten
der Seele Qual wie Nebel schwindet,
wo immer mich dein Schauen findet
im Einverständnis, das wir hatten.
Ich habe die Strophe wegen der zeitlichen Diskrepanz zwischen den Zeilen 1,2 und 3 und der vierten Zeile geändert, die mir irgendwie störend schien. Aber ginge es, das so zu schrieben?
Die Alternativstrophe ist meinem Empfinden nach kein Gewinn. "... der Seele Qual ..." klingt so hart, als sei eine schwere physische oder psychische Erkrankung am Werk, man hört diese Qual beim Lesen dieses Verses förmlich schreien. "... der Seele Leid ..." klingt dagegen zart, wie eine stille Trauer, was auch wesentlich besser zu dem Nebel passt, bei dem man bei dieser Kombination automatisch an einen Schleier denkt. Es passt auch besser zur Weichheit der vorhergehenden Verse: das zarte Glück, die Pfoten, die Tiefe der Blicke. Auch reicht der letzte Vers der Alternativstufe poetisch nicht an den Vers der Originalstrophe heran; genau gesagt: sie klingt banal.
Fazit: Der erste Gedanke ist durchaus nicht der schlechtere.
Nebenbei bemerkt: Nach meiner Erfahrung kann ein Dichter im Bestreben, das allzu perfekte Gedicht zu schaffen, das Gegenteil erreichen. Bei meiner Beschäftigung mit der Frankfurter Anthologie, deren Bände 1 bis 6 ich durch habe, habe ich aus den Interpretationen und Kommentierungen gelernt, dass es nicht immer darum geht, inhaltsschwere, grammatikalisch und logisch korrekte (was ist schon logisch korrekt?) und formstrenge Gedichte zu schreiben. In der Sammlung fand ich so manches Gedicht, bei dem sich der Dichter nicht an die Regeln hielt, weil ihm andere Aspekte wichtiger waren oder weil er gerade einen impulsiven Moment hatte. Solche auf den ersten Blick "fehlerhafte" oder gar "schlechte" Gedichte erwiesen sich bei näherer Betrachtung aber doch als kleine Goldgruben. Und wie wunderbar, dass die Interpreten dieser Gedichte dies aufzuspüren wussten!
An der 3. Strophe - der Originalstrophe - deines Gedichts habe ich nichts auszusetzen, ganz im Gegenteil: Sie strömt Zauber, Phantasie und vor allem Liebe aus. Was die zeitliche Abfolge der Verse angeht, konnte ich bei mir kein Störgefühl feststellen.
Einen lieben Abendgruß
schickt dir
Aspasia
(im früheren Nebenberuf Katzenhalterin, "aufgegeben" am 23. Mai 2008)