Autor Thema: Für immer auf Papier  (Gelesen 3593 mal)

Koollook

Für immer auf Papier
« am: Juli 29, 2014, 02:05:57 »
https://soundcloud.com/koollook_poesie/kapitel-4-gedicht-9-f-r-immer



Für immer auf Papier

Auch wenn die Zeit uns langsam schleift,
und uns von uns nur Gestern bleibt,
verwahr ich Worte auf Papier,
in ihnen sind wir immer wir.

Vielleicht vergesse ich ja mal,
wie wunderbar dein Wesen war,
wie leicht und schwebend, endlos rein,
bei Tag und Nacht dein Sonnenschein,
mir unbeirrt und unverzagt
ein Licht, das alles überragt,
verständnisvoll erfunden hat.
Das alles bleibt auf diesem Blatt.

Allein die Schatten lass ich weg,
denn kein Gedicht ist je perfekt.
Wir reimten uns die meiste Zeit,
das ist was zählt und immer bleibt.

In vielen Jahren les' ich hier,
von dir und mir, von unsrem wir,
und sehe lächelnd davon ab,
dass es ein wir nie wirklich gab.


Auf dem Soundcloudkanal sind viele weitere Gedichte, die sich über jeden Hörer freuen. ;)

Erich Kykal

Re:Für immer auf Papier
« Antwort #1 am: Juli 29, 2014, 08:09:27 »
Hallo, Koollook!

Ein inhaltlich sehr schönes Gedicht, das ein Wunschdenken des Dichters beschreibt, der eine Beziehung bedichtet, die seinerseitig blieb. Dennoch ein ergreifendes, weil zutiefst menschliches Verhalten, in teils sehr langen, komplexen Sätzen niedergelegt.

Das Reimschema ist simpel: AABB. Eigentlich sind Paarreime wenig geeignet, eine kontemplative, emotionale Stimmung zu generieren, aber deine akzelerierte Sprachhabung gleicht das völlig aus. Auch die Metrik ist untadelig.

Zwischen den Strophen 2 und 3 könntest du ruhig eine Leerzeile setzen, das verliehe der Optik ein harmonisches Gleichmaß. Strophenübergreifende Enjambements (das ist, wenn ein Satz sich über mehr als eine Strophe erstreckt) sind durchaus gängig und verlangen nicht, dass man die trennende Leerzeile weglässt.

Allerdings gibt es leider - und da hapert es leider mit der Kunst - einige Stellen, die sich eben nicht Reimen, bestenfalls ähnlich klingen. Diese Schlamperei ist in den letzten Jahren mit einigen deutschen Liedermachern "modern" geworden, ich kann dem nichts abgewinnen. Die deutsche Sprache weiß wahrlich genug Möglichkeiten, saubere Reime zu schaffen, mit solchem Geschluder kann ich mich nicht anfreunden:

S1Z1,2 - "schleift/bleibt" Einzig das "ei" verbindet diese Worte.
S2Z1,2 - "mal/war" Das reimt sich nichtmal annähernd!
S4Z1,2 - "weg/perfekt" Ein "e" ist zuwenig, um ein Reim nennen zu dürfen.
S4Z3,4 - "Zeit/bleibt" Wieder nicht das "ei" des Kolumbus!
S5Z3,4 - "ab/gab" ist unrein, weil einmal kurzes, einmal langes "a".

Wenn diese Reimpatzer vom "Haus am See" usw... singen, steigen mir jedesmal die Zornesadern in die Stirn! Können die's nicht besser oder tun sie der deutschen Sprache das zufleiß an???
Mich wundert, dass jemand mit deiner offensichtlichen Sprachbegabung diese Reimschnitzer nicht bemerkt haben sollte - das führte mich zu der Ansicht, du könntest wohl wie diese - oder wegen dieser - Reimbanausen glauben, es reiche schon, wenn es "irgendwie ein wenig ähnlich" klinge! - Sorry, weit gefehlt!

Fazit: Gern gelesen, weil sprachlich gut und inhaltlich einfallsreich, aber klare Abstriche für fehlende und unreine Reime.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Fridolin

Re:Für immer auf Papier
« Antwort #2 am: August 03, 2014, 20:47:59 »
Hallo Koolook,

Ich wundere mich ein wenig, dass du zu Erichs doch recht umfangreichem Kommentar nichts erwiderst. Auch mir gefällt der Wechsel zwischen normalen Reimen und bloßen Assonanzen, die bei bleibt/schleift; mal/war in dem Gleichklang der Vokale besteht. Die Assonanz ist in der Zeit der Romantik als bewusstes Stilmittel gepflegt worden, und zwar lernten sie die deutschen Romantiker aus dem Spanischen kennen, wo sie in den alten Romanzen die Stelle des Endreims vertritt. Herder, der sich als einer der ersten an spanischen Romanzen begeisterte, hat in seinen Romanzen auf Assonanzen verzichtet und ihre Verwendung verspottet. Im Grunde hat Herder recht behalten.   Die Assonanz ist uns Deutschen als Bindemittel der Verse nicht vertraut geworden und wird kaum noch als Reim empfunden; deshalb wohl auch die Reaktion von eKy.

S5Z3,4 - "ab/gab" ist unrein, weil einmal kurzes, einmal langes "a".

Dies würde ich nicht so kritisch sehen, denn solche Reime kommen in der Lyrik häufig vor, selbst bei Rilke, sogar bei dir, lieber eky, habe ich ein Beispiel beim Blättern in den "Weltenwegen" gefunden: ruft/Luft.

Zu der Kernaussage:

"verwahr ich Worte auf Papier,
in ihnen sind wir immer wir."

Diese Passage leuchtet mir nicht ein. Sind wir weniger "Wir", wenn wir unsere Texte mit den modernen Techniken schreiben? Ich z.B. kann wegen einer Behinderung überhaupt nicht mehr mit der Hand schreiben. Selbst am PC schreibe ich die Texte nicht selbst, sondern diktiere sie einer Schreibsoftware, weil ich eben nur mit der linken Hand tippen kann. Sind meine Texte dadurch weniger wert? Das fände ich absurd.  

Noch eine Bemerkung  zu der Soundcloud. Ich habe mich dort umgesehen und die Beiträge zum Teil auch angehört. Was ich da zu lesen und zu hören bekam, hat mich nicht vom Hocker gerissen. Da wäre reichlich Sprach- und Sprechunterricht angesagt.

LG Fridolin


« Letzte Änderung: August 04, 2014, 07:58:36 von Fridolin »

Koollook

Re:Für immer auf Papier
« Antwort #3 am: August 08, 2014, 14:21:45 »
Hallo Erich,

vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar.

Auf deine Reimkritik habe ich eine Frage: Wieso muss es 2014 noch der reine Reim sein? Ist es keine Beschränkung und Dezimierung, der Möglichkeiten, die die deutsche Sprache bietet? Wenn zwei Worte ähnlich klingen, also harmonieren, wieso darf man sie nicht zusammen klingen lassen? In Gedichten geht es doch um Harmonien, klanglich wie inhaltlich. Natürlich geht es um viel mehr als nur um das, aber ich finde diese Öffnung hin zu alternativen Formen des Reims (ja, strenggenommen ist es kein Reim) sollte erlaubt sein.

Goethe und Schiller werden wir damit eh nicht mehr beeindrucken.^^

@Fridolin:

Hallo,

danke für deinen aufmerksamen Kommentar.
Ich habe Erichs Kommentar übersehen, weil diese Rubrik weiter unten in der Liste ist und ich das Forum nicht so genau durchforste.
Dank deinem geschichtlichen Exkurs weiß ich jetzt auch auf welche Tradition ich unbewusst bezug nehme.^^ Ich habe nichts mit Spanien zu tun.

Ob wir weniger wir sind, wenn wir mit der modernen Technik schreiben? Ich weiß nicht, ob diese Frage durch den Inhalt meines Gedichts motiviert ist. EIgentlich ist es "nur" ein Liebesgedicht. Aber meine Antwort auf deine Frage ist folgende. Nein, wir sind genauso wir, egal mit was wir schreiben, in bezug auf die Gedichte. Was die moderne Technik mit uns als Menschen macht, ist eine andere Baustelle. Aber ihre Wirkung ist unleugbar; wenn ich Teenager und auch manche Erwachsenen an ihrem Smartphone kleben sehe, dann kommt es mir vor, als ob wir nicht mehr die Technik, sondern sie uns entwickeln würde. Wohin das alles führt ...

Zu Soundcloud: Das ist natürlich schade, dass du keinen Gefallen an meinen Beiträgen gefunden hast. Ich bin kein professioneller Sprecher (das könnte dir aufgefallen sein) und Deutsch ist nicht meine Muttersprache. Was ich aufnehme, hat nicht den Anspruch, perfekt zu sein. Aber ich hatte schon die Überlegung auf diesem Gebiet professionelle Hilfe zu beanspruchen. Bis jetzt fehlte mir aber das Geld und die Motivation dazu.

Thomas

Re:Für immer auf Papier
« Antwort #4 am: September 29, 2014, 17:22:50 »
Lieber Koollock,

insgesamt finde ich das Gedicht gut.

Ich bin bezüglich der Reime etwas liberaler als Erich, aber dennoch stört mich deine Antwort auf seinen Hinweis, weil meiner Meinung darin zum Ausdruck kommt, dass du die von ihm angesprochene Frage nicht ernst genug nimmst, insbesondere durch den flotten Hinweis auf Schiller und Goethe erhalte ich diesen Eindruck.

Hast du dir wirklich ernsthaft angesehen, was Goethe "reimtechnisch" so alles trieb? Er hat Dinge gemacht, die kein Moderner schafft, z.B. Worte des Reimes und Klanges wegen verändert, "genung" satt "genug" gesagt und "was" statt "war" etc. Er hatte ein derart gutes Sprachgefühlt, dass das beim Lesen kaum auffällt oder nicht unpassend wirkt. Ich halte das für einen interessanteren Weg, als den Reim einfach wegzuwerfen, der jedoch Könnerschaft voraussetzt.

Es geht ja gar nicht darum die Alten zu beeindrucken, oder abzulehnen, sondern einzig darum, von ihnen zu lernen.

Konkret in deinem Gedicht wäre es z.B. sehr geschickt, wenn du in der dritten Strophe (eigentlich der vierten, da die von Erich vorgeschlagene Teilung der zweiten Strophe sinnvoll ist), wo es darum geht, dass kein Gedicht perfekt ist, auf reine Reime verzichten würdest (was du ja tust), aber im Kontrast dazu in der erste und zweiten Strophe den ersten Reim korrekt ausführen würdest. Die Aussage des Gedichts würde dann durch seine Form unterstützt.

Gedichte müssen nicht gereimt sein, der Reim wurde erst gegen 800 n.Chr. von den Arabern erfunden, aber wenn man Reime verwendet, dann muss die Art ihres Gebrauchs konsistent sein, genauso wie der Sprachstil in einem Gedicht konsistent sein muss und nicht Hochsprache mit Gossensprache vermischt werden kann. Harmonieren ist übrigens ein zu vager, fast nichtssagender Ausdruck.

Sieh das nicht als große Kritik an, mir ist es nur wichtig, diesen Punkt zu machen, wenn mich das Gedicht nicht ansprechen würde, hätte ich den Mund gehalten.

Liebe Grüße
Thomas
S p r i c h t die Seele so spricht ach! schon die S e e l e nicht mehr

(Friedricht Schiller)

Erich Kykal

Re:Für immer auf Papier
« Antwort #5 am: September 29, 2014, 17:42:31 »
Hi, Koollook!

Was an "2014" verbietet denn den reinen Reim? ;D

Ich kommentiere aus meinem persönlichen Blickwinkel und sage offen, was mir gefällt oder nicht, oder was nach meinem Dafürhalten noch ein Reim ist und was eben nicht. Andere dürfen da gern anderer Ansicht sein, ich sehe meine persönlichen Ansichten ja nicht als Doktrin an, an die es sich zu halten gilt. Ich sage nur: Wenn das Gedicht MIR gefallen soll, sollte dies oder das anders gemacht sein. Inwiefern du darauf eingehst oder mit meiner subjektiven Meinung konform gehst, bleibt ganz dir überlassen.

Ich mag eben nur reine Reime, alles andere hört sich für mich irgendwie schlampig gemacht an - oder da kann's jemand halt nicht besser. Aber wie gesagt, das gilt für MICH, und nichts anderes tue ich in meinen Kommenatren: Ich gebe meine Sicht der Dinge weiter - und nichts weiter! :D

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Fridolin

Re:Für immer auf Papier
« Antwort #6 am: September 30, 2014, 08:51:55 »
Erich Kykal hat geschrieben:


Ich mag eben nur reine Reime, alles andere hört sich für mich irgendwie schlampig gemacht an - oder da kann's jemand halt nicht besser. Aber wie gesagt, das gilt für MICH, und nichts anderes tue ich in meinen Kommenatren: Ich gebe meine Sicht der Dinge weiter - und nichts weiter


Lieber eKy,

danach wären zahlreiche deiner Gedichte schlampig gemacht! Denn unreine Reime nach dem Muster "ab/gab" (kurzer Vokal, langer Vokal) sind mir in deinen Werken schon öfter aufgefallen, was diese aber in meiner Wertschätzung keineswegs schmälert. Selbst die von dir kritisierte Kombination "ab/Grab" ist dabei. Beispiele:

Aus dem Buch "Weltenwege":

tot - Gott (Die Rosenkranzanbeter)
füllte - durchwühlte (Lebensspiel)
wollen - holen (Geschichten)
Ach - Ungemach (Seelenwanderungen)
Luft - ruft (Das unbewohnte Haus)
Luft - ruft (Nach dem Sommerregen)
Bach - nach (Wasserweg)
ruft - Luft (Sehnsucht)
Frucht - sucht (ICH)
Pose - Rosse (Statuen)
Schatten - baten (Waxenberg)
ab - Grab (Herbstgleichnis)

Aus Gedichten im Forum:

Wiesensamt - kramt (Katzenmorgen)
Gassen - Straßen (Winterfreuden)

Wie gesagt, das tut deinen Gedichten keinen Abbruch. Genauso wenig wie jenen anderer großer Dichter, bei denen sich solche unreinen Reime finden lassen, selbst bei Rilke! Zum Schluss noch ein Zitat mit der Kombination "ab/gab" aus Fontanes Ribbeck:

Und die Jahre gehen wohl auf und ab,
längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab.

LG Fridolin



cyparis

Re:Für immer auf Papier
« Antwort #7 am: Oktober 08, 2014, 20:30:11 »
Lieber Koollook,


ganz ohne Fachsimpelei:

eine schöne Vorstellung!
Mir gefällt das Gedicht, ob mit Reimen oder Assonanzen, richtig gut!
Es ist von so viel Optimismus getragen, daß mir warm ums Herz wird.


Lieben Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Koollook

Re:Für immer auf Papier
« Antwort #8 am: Oktober 13, 2014, 05:55:25 »
Danke für die rege Diskussion.

@Thomas: Ich nehme Ekys Kritik durchaus ernst, nur wollte ich auch meine Sichtweise dazu schreiben. Meine Anmerkung zu Goethe und Schiller war nicht ernst gemeint. Aber deine Ausführungen dazu sind sehr interessant. Dass Goethe so etwas mit der Sprache machte, klingt für mich, allein deinen Beispiele kennend, etwas albern. Ich bin kein großer Kenner klassischer Lyrik, aber mir scheint, dass die Dichterische Freiheit auch ihre Grenzen haben sollte. Wenn wir die Dadaisten betrachten, dann können wir auch feststellen, dass da Vieles getrieben wurde, was man selbst mit zwei zugedrückten Augen nicht als große Kunst bezeichnen kann. Experimente sind natürlich erlaubt, aber es muss sinnvoll bleiben. Wenn ich mit der Sprache spiele, dann mache ich das aus klangtechnischen Gründen. Mein Ziel ist es immer, dass das Gedicht gut klingt.

Die von Eky vorgeschlagene Teilung sehe ich als sinnvoll an. Ich kann mir jetzt noch nicht vorstellen, wie ich die Reime/Nicht-Reime ändern sollte. Da wäre ich für Vorschläge dankbar.

Vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar. Ich versuche natürlich immer, Perfektion anzustreben, aber bis jetzt blieb es oft nur beim Versuch. Ich muss und werde noch einiges lernen müssen.

@cyparis: Auch ganz ohne Fachsimpeln: Danke!

Schönen Gruß
koollook

Thomas

Re:Für immer auf Papier
« Antwort #9 am: Oktober 27, 2014, 15:01:31 »
Liebe Koollook,

ich habe mir dein Gedicht noch ein paarmal angehört und bin der Meinung NICHTS zu ändern. Es ist gut so. Insbesondere die Schlusszeilen zeigen, dass du ein guter Dichter bist.

Liebe Grüße
Thomas
S p r i c h t die Seele so spricht ach! schon die S e e l e nicht mehr

(Friedricht Schiller)