Stroh-Sterne ( Sonettenkranz)
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Wie oft hat unsre Zeit sich selbst verlacht,
derweil wir sprangen wie die jungen Fohlen,
im Kindergarten auch mal wie befohlen,
wofür man uns mit lichtem Lob bedacht.
Wie oft hat man den Stern aus Stroh gefaltet
So wie man es uns damals beigebracht.
Wir wurden angeleitet und verwaltet.
So war es und wir haben es gemacht.
Was haben wir gelernt in jenen Tagen:
Wie man sich anpasst und das Leben meistert?
Was stetig doch durch unser Denken geistert,
ist das, was blieb an ungeklärten Fragen
zur Normerfüllung, Freiheit und zur Macht
in einer stillen, kalten Winternacht.
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In einer stillen, kalten Winternacht
wurd ich ins Schützen-Sternenbild geboren.
Dem Schützen, der die Pfeile spitzt. Das bracht
mir oft Querelen – dazu auserkoren
zu kämpfen, habe ich den Stern gefaltet
und doch dabei gesagt, was ich gedacht.
Hat mich die Rede glücklicher gemacht
als jenen, der sich nie im Wort entfaltet?
Der Stall war meine Burg und Lagerstatt,
ich fand mich von den Tieren zart umsorgt.
Hat mir ein andrer Stern sein Licht geborgt?
Vermisste nichts, war jeden Abend satt.
Ich hab gespielt, war glücklich, hab gelacht
im Stroh, das knisterte mir sanft und sacht.
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Im Stroh, das knisterte mir sanft und sacht,
hab ich die ersten Bücher ausgebreitet.
Ich habe manche Stunde zugebracht
zu lernen, dass mein Horizont sich weitet.
Ich las von Rittern, Helden und von Bösen,
die andren Menschen grobe Gitter bauten,
und nicht ein Stern konnt’ jemals die erlösen,
die sehnend zwischen Stäben Himmel schauten.
Ich lernte rasch, wer dumm ist, lässt sich fangen
und bleibt von da an immer fremd gelenkt.
In Sicht und Geist vom Gitterstab beschränkt,
muss er des nachts vorm frühen Morgen bangen.
Im Stroh, das raschelte mir ,knackte sacht,
hab ich erkannt: Viel Wissen gibt dir Macht.
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Hab ich erkannt: Viel Wissen gibt dir Macht,
sah ich doch immer Mutters fleissge Hände.
Sie wusch und buk stets tief bis in die Nacht
und faltete den Strohstern so behände.
Jedoch wollt mir das Falten nicht gelingen,
das Basteln war nicht meine große Gabe,
weshalb ich oft dabei geschummelt habe
und dennoch würd’ ich es zu etwas bringen!
Ach, Mutter lachte, als sie es bemerkte.
Sie meinte: “Bist wohl ein Gedankenkind.“,
derweil sie flink und munter weiter werkte
wie gute Mütter eben halt so sind.
Dann sagte sie im Flacker-Kerzenschein:
„ Nicht alles sollt im Leben Können sein.“
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Nicht alles sollt im Leben Können sein,
nicht darauf darf das Dasein sich beschränken.
Als ich zur Schule musste - fern, allein,
gab mir der Satz von Mutter oft zu denken.
Da fing das Hieben und das Stechen an
von denen, die in Zahlenreihen lebten.
Und doch nahm mich der Lehrer immer dran,
worauf sie Spott und Hohngesänge webten.
Doch war da meine Klassenlehrerin
- so jungfräulich wie mancher Sommermorgen.
Sie gab sich schönen Lyrikversen hin,
vertrieb sich damit ihre Alltagssorgen.
Sie strich mir sanft das Haar und sagte lieb:
„Ach, Wissen ist der Herzensgüte Dieb
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Ach, Wissen ist der Herzensgüte Dieb.
Das scharfe Auge wachte, sah zuviel
und wenn das Lebenskarussell auch blieb,
analysierte Geist das derbe Spiel.
Das Spiel, bei dem nur eines gilt: Gewinnen,
das leuchtet dem als einzger Stern wie Gold.
Doch ich wollt’ meinen Stern vom Stroh her spinnen
wie jene Lehrerin, die mir so hold.
Sie gab mir eines mit: die große Lieb
zu Worten, die das Leben sanfter formen.
Sie glätten alle allzu strengen Normen.
Den Stern aus Stroh wollt’ immer ich mir loben
- von unten schaut sich’s weiter doch nach oben,
weshalb ich früh schon kleine Verse schrieb.
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Weshalb ich früh schon kleine Verse schrieb?
Nein, damals konnte ich das noch nicht sagen.
Ich lernte es in vielen langen Tagen.
Es war der Nachgeschmack, der immer blieb.
Die Eltern waren arm – Gymnasium
war eine Schule für die Fabrikanten,
für Ärzte, Anwalt, deren Adjutanten.
Ich spürte Kälte und das trieb mich um.
So reimte ich, was ich gespürt, bei Nacht,
bracht’ dennoch Einser - Wissen gibt dir Macht.
Und als ich sah, was es mit Menschen macht,
nahm ich mir vor, niemals wie sie zu sein.
Denn Noten sind nur Glanz mit falschem Schein.
Wer nicht mehr fühlt, bleibt innerlich allein.
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Wer nicht mehr fühlt, bleibt innerlich allein,
doch vielen ist Karriere höchstes Ziel.
Sie wollen oben und nicht unten sein
und dafür tun die Menschen mehr als viel.
Das Leben stellt uns gern auf harte Proben.
Da wird gesägt an des Kollegen Hocker
von denen, die die Kaste oben loben
und rücken nach mit Lächeln seicht und locker.
Gewissen impliziert auch Wissen.
Der Pöbel tanzt im düstren Abendschein
ums goldne Kalb, den Mammon, den sie küssen.
Das Herz schreit auf – vielleicht noch ein, zwei Mal.
Gewissen ist des Thronanstrebers Qual:
Nicht Macht darf unsres Lebens Antrieb sein!
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Nicht Macht darf unsres Lebens Antrieb sein.
Gewissen schweigt, wenn unser Herz nicht treibt.
Wenn Denken sich nicht mehr am Fühlen reibt,
ist unsre Hülle leer – wir selber Schein.
Mein Vater lehrte mich: „Streck dich nie hin
zu dem, was andre Menschen von dir wollen.
Such für dich selber einen Lebenssinn,
sonst wird es dir ein weiter Weg von Sollen.
Knie niemals nieder in der andren Dreck,
um irgendwelche Ziele zu erreichen.
Lass Weltenwinde um das Haar dir streichen,
versuch dir immer selber treu zu sein
und trag das Herz dir auf dem rechten Fleck.“
Doch sieht man wirklich mit dem Herzen fein?
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Doch sieht man wirklich mit dem Herzen fein?
So viele Masken werfen grelles Bunt
und tun uns wenig von dem Echten kund.
Kann da das Herzensurteil richtig sein?
So oft wird man als Herzensmensch verlacht,
im schlimmsten Falle wird man gar verschmäht,
hat Emotion nach außen man gebracht,
und sauber ohne Kante abgemäht.
Doch immer gab es Revolutionäre,
weil ohne sie die Welt noch schlechter wäre.
Brennt dir das Herz, speit Feuerwort der Mund
und schlägt dem anderen die Seele wund.
Wie also soll man es nun richtig machen?
Als Herzensmensch hat man nicht viel zu lachen.
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Als Herzensmensch hat man nicht viel zu lachen.
Ich fragte mich: Ist das der bittre Lohn
der so gelobten Zivilisation
und wollte wissen, wie’s die andren machen.
In Afrika fand ich die großen Weiten
bei Wüstenvölkern, die wie’s Sandkorn treiben
im Rad der Sahara, wo schnell vergleiten
Statuten, die sich an den unsren reiben.
In Asien fand ich die Barmherzigkeit
zu Mensch, Natur und jedem kleinsten Du.
Und doch auch Armut, Angst vor mächtgem Schein,
der deckte all das oberflächlich zu.
Ich sah dies Tun manch Bürgerkrieg entfachen
- und doch muss man die Freiheit möglich machen.
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Und doch muss man die Freiheit möglich machen.
So viele Götter hat der Mensch erkoren
Dabei das edle Paradies verloren.
Sein Menschenherz hängt an den falschen Sachen.
So viele Kämpfer haben sich geschworen:
„Ich werd’ als Herrscher Milde walten lassen.“
Doch ist der Mensch zum Herrschertum geboren
und Güte mag zum Mächtigen nicht passen.
So lange sie nichts in den Händen halten
und nur ihr eignes kleines Los verwalten,
vermögen sie in Demut sich zu neigen.
Sind sie erst oben, sind sie mächtig, reich,
schwingt jedes Zepter automatisch gleich,
bleibt oft dir nichts als grübelnd nur zu schweigen.
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Bleibt oft dir nichts als grübelnd nur zu schweigen,
vergiss die Wurzel nicht, von der du kamst.
Es mag dir immer wieder Wege zeigen
der Stern aus Stroh, den du von Mutter nahmst.
Ein Basteln ist das Leben, das wir führen,
ein Falten, neu Entdecken und ein Denken.
Die Freiheit magst du immer dann nur spüren,
wenn du es schaffst, dich selber einzuschränken.
Es reicht nicht, eine Leiter hoch zu steigen,
es reicht nicht, dass das Hemd man einfach wendet
Die eigne Freiheit, die das Schicksal spendet,
beginnt stets da, wo andrer Freiheit endet.
Willst du vor anderen dich selbst nicht neigen,
paar Geist mit Güte – brich den kalten Reigen.
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Paar Geist mit Güte, brich den kalten Reigen,
denn du willst anders als die andren sein.
So mancher findet dich ein wenig eigen.
So bleibst du im Getümmel oft allein.
Zu großen Festen lädt man andre gern,
dein tiefes Lachen ist nicht grell genug.
Du bleibst nicht allzu ungern davon fern,
scheint dir doch manch Bankett nur Selbstbetrug.
So oft hast du dies alles überdacht
in mancher stillen, kalten Winternacht.
Du hast den Stern aus Stroh zu Gold gebracht
und doch hast du auch manches falsch gemacht.
Das Stroh, es flüsterte dir sanft und sacht:
„Wie oft hat unsre Zeit sich selbst verlacht.“
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Wie oft hat unsre Zeit sich selbst verlacht
in einer stillen, kalten Winternacht.
Im Stroh, das knisterte mir sanft und sacht,
hab ich erkannt: Viel wissen gibt dir Macht.
Nicht alles sollt im Leben Können sein,
Ach, Wissen ist der Herzensgüte Dieb-
Weshalb ich früh schon kleine Verse schrieb.
- Wer nicht mehr fühlt, bleibt innerlich allein.
Nicht Macht darf unsres Lebens Antrieb sein.
Doch sieht man wirklich mit dem Herzen fein?
Als Herzensmensch hat man nicht viel zu lachen
und doch muss man die Freiheit möglich machen.
Bleibt dir oft grübelnd nichts als nur zu schweigen,
paar Geist mit Güte – brich den kalten Reigen.