Autor Thema: Tagediebe (Groteske nach Christian Morgenstern)  (Gelesen 962 mal)

Fridolin

Tagediebe (Groteske nach Christian Morgenstern)
« am: Dezember 30, 2013, 07:55:29 »
Professor Schlurch schreibt einen Brief
an Polizeidirektor Schnief:

»Der Diebstahl gilt seit alter Zeit
als strafbewehrte Tätigkeit.
Und je nachdem, was er genommen,
kann so ein Dieb ins Kittchen kommen.

Drum darf nicht länger straflos bleiben,
wie’s Tagediebe mit mir treiben!
Das geht allmählich doch zu weit:
Die Kerle stehlen mir die Zeit!

Nicht bloß Minuten oder Stunden,
nein, ganze Tage sind verschwunden.
Erst gestern hatte Kameraden
ich zum Geburtstag eingeladen.

Die standen dann vor meiner Tür,
doch mein Geburtstag war nicht hier!
Ich bitte, gehn Sie dieser Schmach,
Herr Polizeidirektor, nach.«

So etwa nach der Wochen drei
erwidert ihm die Polizei:
»Wir finden gleichfalls selbstverständlich,
den Bürgern Zeit zu stehlen, schändlich.

Doch gegen Tagedieberei
ist machtlos hier die Polizei.
Denn leider gibt die Strafvorschrift
den Tagedieben freie Drift.

Doch Ihnen möchten wir empfehlen,
nicht länger uns die Zeit zu stehlen,
weil dies«, so schließt der Polizist,
»als grober Unfug strafbar ist.«

Professor Schlurch trifft solches schwer,
und er versteht die Welt nicht mehr.  
Weshalb er seinerseits gewitzt
bedenkenlos auch Zeit stibitzt.

Er stopft die Zeit sich in die Taschen,
zieht wie Champagner sie auf Flaschen
und macht im weiteren Verlauf
sich bei Bedarf ein Fläschchen auf

und freut sich diebisch, unverhohlen,
hat er den Lesern Zeit gestohlen.

Mit dieser - mal nicht geschüttelten - Reimerei möchte ich mich von den Wiesenlesern für dieses Jahr verabschieden, alles Gute im neuen Jahr wünschen und mich darauf freuen, meinen Lesern hin und wieder etwas Zeit zu stibitzen.

LG Fridolin
« Letzte Änderung: Dezember 30, 2013, 11:56:46 von Fridolin »

Erich Kykal

Re:Tagediebe (Groteske nach Christian Morgenstern)
« Antwort #1 am: Dezember 30, 2013, 11:07:24 »
HI, Fridolin!

Auch dir einen guten Rutsch! Komm gesund ins neue Jahr und bleib es!!! :D

Peanuts:

Professor Schlurch trifft solches schwer,
und er versteht die Welt nicht mehr.

"Solches" schreibt man trotz hauptwörtlichen Gebrauchs klein, so weit ich weiß - außer das wäre in der neuen RS anders, der hab ich mich in vielen Details verweigert!
"Und" für einen unbetonten Auftakt - sonst stolpert man dort!

Sehr gern gelesen - und ich vermisse keine Zeit darob! ;D

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Fridolin

Re:Tagediebe (Groteske nach Christian Morgenstern)
« Antwort #2 am: Dezember 30, 2013, 11:59:04 »
Hallo eKy,

stimmt, solches klein, das fehlende und hab ich auch eingefügt, danke für den Hinweis.

Bis dann im neuen Jahr.

LG Fridolin

cyparis

Re:Tagediebe (Groteske nach Christian Morgenstern)
« Antwort #3 am: Dezember 30, 2013, 22:14:35 »
O, Fridolin,

wie ist das gut!
Zwar hat Erich schon kurz gemäkelt, aber einen argen Fehler hat das Gedicht immer noch:
Es ist zu kurz! Es fehlen noch etliche Strophen! ;)

Dir alles Liebe und Gute, jetzt und immer!

Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Ingo Baumgartner

Re:Tagediebe (Groteske nach Christian Morgenstern)
« Antwort #4 am: Januar 10, 2014, 11:30:42 »
Ungeschüttelter Frodlin ist genauso gut. :D LG Ingo