Autor Thema: Unterschwellig  (Gelesen 1225 mal)

Erich Kykal

Unterschwellig
« am: April 07, 2013, 15:56:37 »
Die phallischen Türme in Buntglaskondomen
verleihen der Wahrheit ein blankes Gewand,
gebügelt von pfleglich normierten Pronomen:
"einander" verstehen in "unserem" Land.

Die gähnenden Fenster sind Clowns ohne Schminke,
und alles umher weiß sich Ordnung und Recht,
doch hinter dem Glanz jeder nickenden Klinke
verbirgt sich ein feiges und falsches Geschlecht.

Die Schleife verlogenen, grinsenden Scheines
entkoppelt nur manchmal ein wissender Zug,
dann spürt man den Bodensatz duftenden Weines,
er schmeckt nach Erniedrigung und nach Betrug.

Im Kreuzungsbereich kopulieren die Straßen.
Der Rachen der Großstadt hat Gaumenbelag
von dem, was die Mauern an Zeugnis zerfraßen
von jedem geschundenen, bitteren Tag.

Gestrauchelte Tänzer, gefallende Engel
versickern am Rande, verleugnet und schwach,
und dass sie nicht taugen fürs große Gedrängel,
ernährt ihr Verbittern, und das hält sie wach.

Sie sammeln sich an in verschwiegenen Gassen,
erstarrt unter Himmeln aus schmutzigem Eis.
Die Frierenden werden am Leben gelassen,
solang sie nicht sprechen von diesem Beweis

entsittlichter Notdurft, den Resten von Taten,
dem Nachgeschmack ihrer verkommenen Lust.
So greifen sie schweigend nach blutigen Spaten
und haben wie immer von gar nichts gewusst.


« Letzte Änderung: August 30, 2020, 12:19:04 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Daisy

Re:Unterschwellig
« Antwort #1 am: April 08, 2013, 17:13:40 »
Hallo Erich,

hui, das ist ja fast zum Fürchten!
Ich komme mir vor wie im LSD-Rausch, ich hab zwar keine Ahnung wie das ist, aber so in etwa könnte ich mir das vorstellen.
"Dauererektionen in Buntglaskondomen", hört sich richtig gefährlich an!  ;) Autsch!

Aber jetzt mal im Ernst. Du hast dich hier mit diesem Gedicht auf eine ganz andere Ebene begeben.
Ungewöhnlich, etwas abstrakt, aber äußerst interessant.

Nach mehrmaligem Lesen habe ich mich jetzt bereits so daran gewöhnt, dass ich es richtig, richtig gut finde!  :)

Du bist tatsächlich in jedem Genre daheim.

LG Daisy

Erich Kykal

Re:Unterschwellig
« Antwort #2 am: April 09, 2013, 00:35:23 »
Hi, Daisy!

Ich hab noch ein paar Sachen geändert und erweitert - jetzt ist es vielleicht verständlicher.

Es geht um die unterschwelligen Triebhaftigkeiten, die kriminelle Ernergie, die Ungezügeltheit und Lüge unter der ach so sauberen Fassade unserer Hochglanzprestigeinnenstädte. Ehrgeiz, Karrieresucht, Neid, Intrige,... und deren Folgen:

Übersetzt:

Die Hochhäuser mit Glasfassaden beschatten saubere, klinisch reine Parke (behauptete Natur, bereinigt, gezähmt).

Der Abfall dieser Menschverschlingungsmaschine "Stadt" sammelt sich in verschwiegenen Gassen an - die Penner, die Gescheiterten, die Unmoralischen, die Unterwelt, die Junkies, Huren, Stricher,...

Und alle schweigen - genau wie die Erfolgreichen, die nach den Regeln dieser Maschine spielen - alle wissen um die täglichen "Massaker" im Namen des Erfolgs, aber nur, wer schweigt, darf weiter mitspielen - die "Leichen" werden sozusagen im Keller beerdigt, jede Hand weiß, wann die anderen sich zuletzt gewaschen haben, und sie lächeln zuversichtlich weiter wie von Werbeplakaten und Titelblättern...oder vegetieren im Ghetto der Verlierer.

LG, eKy
« Letzte Änderung: August 30, 2020, 12:20:19 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Daisy

Re:Unterschwellig
« Antwort #3 am: April 09, 2013, 15:12:09 »
Hallo Erich,

auch vor der Erweiterung deines beachtlichen Werks war ich auf der richtigen Spur,
aber jetzt wird alles noch deutlicher und der Abgrund noch tiefer!

Meintest du tatsächlich gefallende Engel?

Mit diesem Wahnsinns-Gedicht zerrst du wieder einmal ganz schonungslos
die Leichen aus dem Keller! Tolle Arbeit!

LG Daisy

Erich Kykal

Re:Unterschwellig
« Antwort #4 am: April 09, 2013, 16:15:03 »
Hi, Daisy!

Zuviel des Lobes - ich persönlich finde, hier "fließt" die Sprachmelodie nicht so richtig wie sonst.

Und ja, ich meinte durchaus "gefallende" - ein Wortspiel, das zugleich den Sturz "gefallener Engel" und das "gefallen Wollen" der Prostituierten impliziert: Gefallen und gefallend zugleich.

LG, eKy
« Letzte Änderung: Mai 16, 2013, 10:19:51 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Unterschwellig
« Antwort #5 am: April 15, 2013, 09:29:37 »
Lieber Erich -


ich habe mich noch nicht drangewagt.
Das benötigt Zeit.


Cyparis :)
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re:Unterschwellig
« Antwort #6 am: September 02, 2013, 17:24:26 »
Hi, Cypi!

Jetzt wär aber schon ne Weile Zeit gewesen, wie?? ;) ;D

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Unterschwellig
« Antwort #7 am: September 02, 2013, 19:14:04 »
Du kennst mich nicht.
Mein Mut ist sehr lose gestrickt.
(Ich fürchte immer die Blamage)...

Lieben Abendgruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re:Unterschwellig
« Antwort #8 am: September 03, 2013, 22:55:49 »
So - habe die letzte Störzone beseitigt. Jetzt flutscht der Takt durchgehend gleichmäßig!

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.