Autor Thema: Der Penner  (Gelesen 1607 mal)

Erich Kykal

Der Penner
« am: August 13, 2013, 12:49:20 »
Seht ihn reglos sitzen, lieblos eingewandet
in des Rausches unbedingte Illusionen,
die sein Nichtmehrbeisichsein für ihn bewohnen,
während er am Rande seiner selbst versandet.

Hört ihn haltlos murmeln in die stumme Leere,
die den seltsam Unberührbaren umgibt,
weil ihn keiner mehr, und er sich selbst nicht liebt,
da sein Wille stochert wie ins Ungefähre.

Gebt ihm etwas Geld, zusammen mit Verachtung,
die ein Blick in seine blasse Stirne brennt,
denn wer selber Not nicht oder Schicksal kennt,
fühlt nur so bei solchen Jammerbilds Betrachtung.
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Der Penner
« Antwort #1 am: August 13, 2013, 18:30:59 »
Lieber Erich,


wenn Du das Schicksal des "Penners" mit Deinen schönen Versen beschreibst, läuft es Gefahr, verklärt zu werden.
Ich stimme nicht allen Aussagen zu, aber das ist meine ganz persönliche Sicht.
Ich selbst habe nichts gegen Penner, mögen sie betteln oder nicht.
Für mich sind sie Verlierer, meist ohne eigenes Zutun.
(Haus von Heusckrecken via bankig verkaufter Darlehen unterm Hintern verhammert, Arbeit futsch, nix auf der hohen Kante, Familie unernährbar, etc.etc. oder ähnlich), ich hab da schlimme Dinge mitbekommen.

Dumme Sache, daß der Alkohol zum Tröster, Traumschenker und Schlafmittel wird, aber für mich verständlich.

Ach, was red ich lange:

Wieder trefflich gelungen!
Auch der Anflug von Zynismus.

Lieben Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re:Der Penner
« Antwort #2 am: August 13, 2013, 21:14:41 »
Hi, Cypi!

Das ist mein Fluch bei solchen Themen: Sogar das Elend kommt sprachlich gewählt rüber! Ich kann irgendwie kaum anders.

Geht aber noch, oder? Verklärend sollte da jedenfalls nix sein!! :D

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Der Penner
« Antwort #3 am: August 13, 2013, 21:17:53 »
Sprachlich gewählt

trifft es.
Exzellent gewählt.


Lieben Gruß, Erich,


von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

gummibaum

Re:Der Penner
« Antwort #4 am: August 14, 2013, 16:56:05 »
Hallo Erich,

als Gedicht sehr gut, auch scharfsinnig hinein geleuchtet. Aber man merkt, dass du noch nicht in der Lage des hier zum Objekt gemachten Menschen warst, der zwischen Verzweiflung und Betäubung pendelt.

LG gummibaum


Erich Kykal

Re:Der Penner
« Antwort #5 am: August 14, 2013, 18:31:46 »
Hi, Gum!

In diesem Falle irrst du! Mit Mitte 20 hatte ich eine Zeit, da ich mich selber eigentlich aufgegeben hatte - ich kam schon auf mindestens 4 - 5 Vollräusche pro Woche, hing nur rum und wartete auf irgendeine Erlösung. Dank der finanziellen Unterstützung meiner Eltern saß ich zwar nicht auf der Straße, davon abgesehen aber erfüllte ich sämtliche Symptome eines Penners. Das ging so etwa ein halbes Jahr - dann raffte ich mich auf, weil mir klar wurde, dass ich doch lieber leben wollte. Seitdem hatte ich meinen Alkoholkonsum und mein Selbstmitleid unter Kontrolle - mehr oder weniger...

Seitdem habe ich auch nie verächtlich auf solche Gefallenen herabgesehen, weil ich aus eigener Erfahrung weiß, wie leicht man in so einen Teufelskreis gerät, und wie unglaublich schwer es ist, sich wieder daraus zu lösen. Und ich hatte dabei noch Glück - verglichen mit manch anderen Schicksalen hatte ich diese Welt der Selbstaufgabe und Selbstzerstörung ja nur leicht gestreift!

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re:Der Penner
« Antwort #6 am: August 15, 2013, 17:04:14 »
Alles klar, Erich. Dann bist ja näher dran, als ich vermutete. Ich hätte Probleme damit, über diese Menschen zu schreiben.  

Ich habe keine guten Erfahrungen mit Pennern gemacht, denen ich helfen wollte, aber ich weiß, dass die Moral sich meist relativiert, wenn man unter die Armutsgrenze sinkt. Und wer jahrelang auf der Straße lebt, in Obdachlosenheimen seiner letzten Habseligkeiten beklaut wird, durch Übernachten auf Baustellen im Winter Erfrierungen hat, sich kaum waschen und umziehen kann, Ausschlag und Pilze mit sich herumschleppt, aus Läden verscheucht wird und bei Ämtern nicht mehr vorsprechen mag, ist wirklich nicht zu beneiden. Diese Menschen können nur eben meist keine gute Lyrik machen, um sich wirkungsvoll darzustellen. Und ich glaube, dass ich selbst erst wirklich in ihre Lage kommen müsste, um es authentisch zu tun.

LG gummibaum
« Letzte Änderung: August 15, 2013, 17:08:13 von gummibaum »

Erich Kykal

Re:Der Penner
« Antwort #7 am: August 15, 2013, 17:38:15 »
Ich gebe dir unumwunden Recht: Viele sind keine "guten" Menschen mehr, manche mögen es nie gewesen sein. Und die "paar" möglicherweise rein gebliebenen Seelen herauszufinden - wer könnte das schon!?

Meine Entscheidung, solche Gedichte zu schreiben, ist ja auch keine hirnlastige, sondern eine sehr emotionale - das lässt sich mit Argumenten kaum nachvollziehen. Man hat ein Bild vor Augen, ein Gefühl dazu - und schreibt drauflos! Nur um dieses Gefühl zu verdeutlichen, entsteht letztlich das Gedicht, nicht um das Pennertum gar zu rechtfertigen oder so!

Ich würde keinen von diesen Typen (oder Typinnen) mit nach Hause nehmen!
Und "helfen" wird von ihnen oft als Beleidigung empfunden - ihr letztes Bißchen Stolz leidet darunter, offensichtlich "bemitleidet" zu werden. Sie sehen das Betteln mehr als legitime Profession, nicht als Apell an jemandes Mitleid! Den Helfer zu beklauen, haben dann wenige noch Hemmungen! Selber schuld, der philantropische Depp, gelle? ;D

Meine Gedichte sind auch eher an eine Gesellschaft gerichtet, in der solche Abstiege nicht nur möglich, sondern sogar gang und gäbe sind! Gesellschaftskritik meint nicht den Einzelnen, obwohl jeder ein klein wenig dazu beitragen könnte: ein humaneres Gesetzeswerk, mehr kompetente soziale Auffangmechanismen usw. Heizte man den Politikern genug ein, täte sich auch was. Aber solang jeder nur sieht, wo er selber bleibt...
So, genug Soziales!

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.