Hi, Gum!
Nix für ungut, ich versuche immer ehrlich zu sein. Meist verzichte ich bei Gedichten, die mir - aus welchen Gründen auch immer - nicht gefallen, auf einen Kommi, um niemanden unnötig zu brüskieren. Von mir selbst weiß ich ja, wie schwierig es mitunter ist, mit vernichtender Kritik umzugehen, vor allem, wenn einem selber die verrissene Arbeit emotional noch so nahe ist.
Hier ist es ein Grenzfall. Schon wenige geänderte Zeilen würden hier das Gesamtbild wandeln, es weniger konstruiert und gespreizt wirken lassen. aber täte ich das, wieviel bliebe von der originären Arbeit des Autors? Ein Klingenritt, so oder so. Schweigen wollte ich aber auch nicht, weil es ja manche gute Stelle gibt. Außerdem ist die meinige ja nur eine Ansicht von vielen. Wer weiß, was andere sagen!
Ich rate jedenfalls zu einer ausgiebigen Überarbeitung. Bei solchen Themen ist es schwierig, auf dem schmalen Pfad zwischen allzuviel Pathos und allzu wenig Empathie zu bleiben, der eben gelungene Lyrik ausmacht. Die Sprachführung darf nicht zu geschraubt sein, das killt jedes Mitfühlen des Lesers, zuviel Schmalz wiederum stößt ihn auch ab. Wie gesagt: Ein schmaler Grat!
Vielleicht ist es hilfreich, zumindest die Stellen zu bezeichnen, die mich hier gestört haben:
Die Wirbelsäule, vielfach durchgebrochen,
umringt jetzt fragmentiert den Nervenstrang, Mit technisch wirkenden Termini sollte man grade bei getragener Lyrik vorsichtig sein. Hier geht es grade noch.
der nicht zerriss. Dem jungen Mann gelang
das Wunder, das bewahrt wird schon seit Wochen. Dem Reim geschuldet - warum sonst ausgerechnet Wochen? Inhaltlich nicht bündig, und das "Wunder, das bewahrt wird" erscheint gespreizt formuliert.
Der Held darf nach Sturz nichts mehr bewegen "Sturz nichts" - Ein Auffahrunfall an Zischlauten und sperrigen Konsonanten - liest sich wie ein scharfkantiger Drops.
in seinem Gipskorsett, eng angepasst. "Gipskorsett" - auch kein klingendes Wort.
Er starrt zur Decke auf und hat erfasst,
man wird ihn sechzig Jahre noch so pflegen. Die genaue Zahl verwirrt hier eher, wirkt unlyrisch.
Und wenn er sterben will, es wird nicht gehen.
Der Schutz der Schale hält sein Leben warm.
Er wird umsonst nach dieser Gnade flehen,
denn, was uns reich gemacht, macht uns jetzt arm. 2mal "macht" direkt hintereinander klingt nicht gut.
Wir können ruhig jemand leiden sehen: Das "ruhig" muss hier betont 2silbig mit hörbarem "h" gelesen werden, um im Takt zu bleiben.
Moral ist unsre Schale, wehrt der Harm. Da bin ich unsicher, glaube aber, es müsste "dem Harm" heißen, da selbiger nicht weiblich ist. So oder so aber wirkt diese Phrase recht geschraubt.
Natürlich ist es deine Entscheidung, ob du meinen Argumenten beipflichtest. Wie gesagt - meine Meinung ist nur eine von vielen...
Was mich wundert, ist die Bandbreite deiner Arbeit: Von Gedichten nahe oberster Perfektion bis hin zu...na, sagen wir: weniger guten. Keine Ahnung, warum mir das eine so toll erscheint (zB "Moribund") und das andere so gar nicht!
LG, eKy