Autor Thema: Der Einsiedler  (Gelesen 1299 mal)

gummibaum

Der Einsiedler
« am: Januar 02, 2021, 01:31:42 »
Du starbst so früh, und meine Wunde
war tief und blutete mich aus.
Da träumte ich aus deinem Munde
die Worte: "Baue uns ein Haus."   

Und seit ich in der Hütte lebe,
am Ufer eines stillen Sees,
und nichts als Einfachheit erstrebe,
verheilt der Einschnitt meines Wehs.

Du zogst zu mir in allen Gaben,
woraus Natur sich täglich schenkt.
Die fernen Bilder von dir haben
sich mit den nahen reich durchtränkt…

« Letzte Änderung: Januar 02, 2021, 13:26:10 von gummibaum »

Erich Kykal

Re: Der Einsiedler
« Antwort #1 am: Januar 02, 2021, 11:36:13 »
Du starbst so früh, und meine Wunde
war tief und blutete mich aus.
Da träumte ich aus deinem Munde
die Worte, baue mir ein Haus.   

Und seit ich in der Hütte lebe
am Ufer eines stillen Sees
und nichts als Einfachheit erstrebe,
verheilt der Einschnitt meines Wehs.

Du zogst zu mir in allen Gaben
die die Natur mir täglich schenkt.
Die fernen Bilder von dir haben
sich mit den nahen reich durchtränkt…

Hi Gum!

Wundervoll! So wehmütig und doch so tröstend.

Vorschläge:

Du starbst so früh, und meine Wunde
war tief und blutete mich aus.
Da träumte ich aus deinem Munde
die Worte: "Baue uns ein Haus."   

Und seit ich in der Hütte lebe,
am Ufer eines stillen Sees,
und nichts als Einfachheit erstrebe,
verheilt der Einschnitt meines Wehs.

Du zogst zu mir in allen Gaben,
woraus Natur sich täglich schenkt.
Die fernen Bilder von dir haben
sich mit den nahen reich durchtränkt…

In S1 sollte die direkte Rede als solche besser kenntlich sein. Und wäre ein "uns" dort nicht anrührender?

In S2 sind die zusätzlichen Kommata vielleicht nicht unbedingt notwendig, aber sie gliedern den Satz und machen den Einschub (Z2) besser kenntlich.

In S3 stört die Wiederholung von "die" in Z2 doch etwas die Sprachmelodie. Mein Vorschlag umgeht dies.


Sehr gern gelesen und bevorschlagt!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Der Einsiedler
« Antwort #2 am: Januar 02, 2021, 13:28:12 »
Danke, lieber Erich,

für die guten Vorschläge, die ich gern realisiert habe.

Dir ein schönes Wochenende.

Grüße von gummibaum


„die die“ und „woraus“ unterscheiden sich aber in Bedeutung. 
Im ersten Fall  schenkt die Natur etwas, im zweiten sich selbst (Er schenkt ein Buch/er schenkt sich aus einem Buch). Die Dopplung ist umgangen, aber der Sinn wirkt um die Ecke gedacht und dadurch unpersönlicher, abstrakter.
« Letzte Änderung: Januar 03, 2021, 00:32:25 von gummibaum »

Agneta

  • Gast
Re: Der Einsiedler
« Antwort #3 am: Januar 06, 2021, 18:38:37 »
wundervolle Zeilen, lieber Gum, zärtlich und sehnsuchtsvoll, aber auch voller Hoffnung. LG von Agneta

AlteLyrikerin

Re: Der Einsiedler
« Antwort #4 am: Januar 07, 2021, 14:05:30 »
Lieber gummibaum,

was für Zeilen! Dein Gedicht könnte man als Parabel für einen Trauerprozess nehmen, der zu einem guten "Ende" kommen wird. Der/die Verstorbene erhält einen neuen Platz im Leben des LyrIch, wo er/sie einer Öffnung des LyrIch für ein aktives Leben nicht mehr im Weg steht, aber nicht dadurch, dass er/sie weggeschoben werden musste. Die Bilder aus der Natur verdecken die alten Bilder nicht, sondern verweben sich mit ihnen. So erhalten sie eine neue Qualität, die ein frohes Leben wieder ermöglicht.
Das alles in einer so schönen Sprache, dass ich unwillkürlich den Hut abnehmen würde, hätte ich einen auf dem Kopf.

Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.

gummibaum

Re: Der Einsiedler
« Antwort #5 am: Januar 07, 2021, 22:18:51 »
Liebe Agneta, liebe AlteLyrikerin,

schön, dass euch mein "Einsiedler" gefällt. Alles, was ihr schreibt, trifft zu und freut mich sehr.

Liebe grüße von gummibaum

Sufnus

Re: Der Einsiedler
« Antwort #6 am: Januar 08, 2021, 16:42:48 »
O0
Die blatante Unterlassungssünde der bisherigen Unkommentiertheit Deines Meisterwerks durch meine wurmhafte Person fordert einen Ascheregen pompejanischen Ausmaßes, durchmengt mit Salzkaramell, auf mein unwürdiges Haupt...
Will heißen: Ich habs schlicht bisher überlesen... oje...
Und das zu meinem Schaden, denn Du hast uns hier eine weitere Perle Deiner Dichtkunst geschenkt! Hier gelingt Dir eine völlig stimmige, wechselseitige Durchdringung von hohem Ton und einfacher, direkt zu Herzen gehender Rede. Ganz zauberhaft! :)
Bewundernde Grüße!
S.



« Letzte Änderung: Januar 15, 2021, 09:41:30 von Sufnus »

Erich Kykal

Re: Der Einsiedler
« Antwort #7 am: Januar 08, 2021, 17:35:21 »
Hi Suf, o du zwanghaft salzkaramellierender Wurmhafter!  ;D

Wenn du den Einschub "durchmengt mit Salzkaramell" jetzt noch in die nötigen Kommata kleidest, ist dieser schöne Satz obendrein auch noch korrekt!  ;D ;) >:D

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Der Einsiedler
« Antwort #8 am: Januar 15, 2021, 01:11:11 »
Lieber Sufnus,

vielen Dank. So wurmhaft sehe ich dich nicht, ganz im Gegenteil als Brachiosaurus.

Liebe grüße von gummibaum 

Sufnus

Re: Der Einsiedler
« Antwort #9 am: Januar 15, 2021, 09:40:53 »
Das ist wirklich sehr lieb von Dir, gum... ausgestorbene Pflanzenfresser dürfen sich meiner uneingeschränkten Sympathie sicher sein, so dass ich mich allergernstens hiermit identifiziere! :) Bleibt mir also nur noch die von eKy angemahnten Kommata verspäteterdings nachzureichen und die verzögerte Emendierung mit Verweis auf mein kleines Sauropodenhirn zu apologieren!
LG!
S.