Autor Thema: Albtraum  (Gelesen 1309 mal)

Ingo Baumgartner

Albtraum
« am: April 22, 2010, 17:36:59 »


Ich steh in Monterey und denke
An Ölsardinen und Bordelle,
Tortillas, Wein aus übler Schänke
Und Fischgeruch in steter Welle.
Vergangenheit, doch voller Seele.
Ich steh in Ephesos und träume
Von Griechen, Römern, Büchereien,
Schau Thermenbäder, Säulensäume,
Orangenhaine, Nackedeien.
Vergangenheit, doch voller Seele.
Ich steh vor Cheops Grab und sehe
Die Bildersteine, Sphingen, Wächter,
Verspür der Pharaonen Nähe,
Aus Kammern höre ich Gelächter.
Vergangenheit, doch voller Seele.

Ich steh in meinem Dorf und weine.
Nichts will mich in die Kindheit führen.
Nicht Wände, Dächer, Wege, Steine,
Der Apfelbaum mit Herzensschwüren.
Wo steht die alte Winterlinde,
Der Brunnen mit dem Drachenspeier?
Kein Fleckchen, das ich wiederfinde,
Asphalt auf Wiese, Hof und Weiher.
Vergangenheit auch für die Seele.



cyparis

Re:Albtraum
« Antwort #1 am: April 23, 2010, 11:59:34 »

Lieber Ingo,

bei Steinbeck (der die wunderschönen, aber s e h r traurigen Geschichten "Das Tal des Himmels" schrieb) blickte ich noch durch, danach kann ich nur empfinden, ohne zu erkennen.
Vor allem die letzte Strophe macht mich sehr wehmütig, weil sie genau die Situation hier rings um mich beschreibt.
Und die beiden letzten Zeilen machen den Titel wahr.

Stilistisch hochwertig!

Lieben Gruß
von
cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
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