Autor Thema: Vertan! Vertan?  (Gelesen 558 mal)

Erich Kykal

Vertan! Vertan?
« am: Dezember 23, 2020, 12:13:19 »
Leugner ehrlichen Bestrebens:
Unberührt und nichts berührend,
nie verführt und nie verführend,
müde nun, entrückt den Sinnen,
die sich an der Welt beginnen,
abgenutzt am Ungewagten,
unbewegt im Ungesagten -
Ungeist eines feigen Lebens.
Weiteratmend, sich noch spürend,
an Erinnerungen rührend,
die dem langen Tag gerinnen.
Aber was noch zu gewinnen
glaubt ein Geist, der in verzagten
Bildern wohnt, die sich vertagten?
Seine Hoffnung bleibt vergebens.

Trag nicht Hader in die Tage,
die noch bleiben um die Frage,
ob dein Leben besser wäre
ohne all das Ungefähre,
dem du dich anheim gegeben.
Anders wäre es gewesen,
aber tiefer? Auserlesen?
Nein. Denn unser Sein erweitern
oft wir dort nur, wo wir scheitern.
Jedes Leben bleibt: Ein Leben.
« Letzte Änderung: August 03, 2024, 09:17:13 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Vertan! Vertan?
« Antwort #1 am: Dezember 25, 2020, 16:12:17 »
Hi eKy!
Für mich sind es zwei Gedichte, die als Paar zu einem neuen Ganzen werden (ein bisschen wie "Meeresstille" und "Glückliche Fahrt" vom Meister G.). Ein Nachsinnen über vertane Chancen (der Zweisamkeit?) im ersten Teil (mit dem längsten "umarmenden" Reim, den ich bis dato gelesen habe) und ein machtvolles und tröstliches Bekenntnis zum eigenen Ich im zweiten Teil. :)
Sehr sehr gerne gelesen!
S.

Erich Kykal

Re: Vertan! Vertan?
« Antwort #2 am: Dezember 25, 2020, 17:48:11 »
Hi Suf!

Ich habe das bewusst so gemacht, dass man sowohl annehmen kann, es handele sich um eine inneres Zwiegespräch einer einzelnen Person, die sich zusammenreißt, wie möglicherweise auch um ein Gespräch zweier LyrIchs, eins klagend, eins tröstend.

Das Reimschema ist hier zufällig so entstanden, ich habe es im 2. Teil - verkürzt - so weitergesponnen. Die Umarmung von 6 Zeilen in S1 und von 4 Zeilen in S2 ist gewagt, aber da du sie erkannt hast, nehme ich an, dass sie doch noch "trägt".
(Falls du den Reim mittig in S1 übersehen haben solltest: Die Spange hat dort ein Mittelteil: "Betrebens/Lebens/vergebens".)

Vielen Dank für deine freundlichen Einlassungen. Ich glaube mich übrigens an ein Rilkegedicht zu erinnern, wo noch mehr Zeilen umarmt werden ...

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.