Autor Thema: Poesie der Nacht  (Gelesen 438 mal)

Erich Kykal

Poesie der Nacht
« am: Februar 05, 2025, 14:24:28 »
Im Nachtgewand der neonblassen Lichter
erscheint die Stadt wie eine Leuchtreklame
für die Geheimnisse der welken Dame
im Angesicht der Welt und ihrer Dichter.

Wo tags sich Staub und Unrat willig gatten,
spielt nun das Leben sein frivoles Ständchen,
und junge Gier hält eifersüchtig Händchen
im Angesicht der Scheiternden und Ratten.

Betäubend dröhnt Musik aus lauten Kellern,
wo die Verlorenen ihr Sein vergessen
für jenen Augenblick, den sie bewusst ermessen
an endlich einmal übervollen Tellern.

Und was sie speisen im Gewühl der Leiber,
ist ihre Unschuld, die sie gerne lassen,
auch wenn sie irgendwann sich dafür hassen,
die Ratten wie auch die Gedichteschreiber.
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Poesie der Nacht
« Antwort #1 am: Februar 05, 2025, 23:32:24 »
Lieber Erich,

sehr gut wird hier von dir die Zwiespältigkeit von Glanz und Schmutz in dieser Poesie der Nacht zum Ausdruck gebracht. Was Welt und Dichter sehen, ja besingen, ist die Schminke auf der alten Haut der Stadt: in der sich nachts die nach Leben, Liebe und Sex gierigen Jungen und gescheiterten Älteren einen Moment lang an Überreizungen sättigen oder mit ihnen betäuben. Aber auch die Dichter sind von den Ratten nicht verschieden. Ihr ästhetischer Höhenflug wird von Abstürzen unterbrochen. Es ist kein frei gewähltes Ausleben des apollinischem und dionysischen Prinzips, sondern ein Schleudern zwischen Extremen. Es handelt sich nicht um kulturelle Orte und Veranstaltungen wie Oper, Theater, Konzert und Ball, sondern um solche der Triebbefriedigung wie Bar, Discothek oder Bordell. 

Dennoch ist diese Poesie der Nacht die Nahrung und das Entzücken aller, die ihr seelisches Gleichgewicht vermissen und suchen.

Sehr gern gelesen.
Chapeau von gummibaum         

 
« Letzte Änderung: Februar 06, 2025, 00:55:28 von gummibaum »

Erich Kykal

Re: Poesie der Nacht
« Antwort #2 am: Februar 06, 2025, 15:28:57 »
Hi Gum!

Sehr gut analysiert! Die Ambivalenz der menschlichen Natur kommt kaum je woanders besser zum Ausdruck als in dieser Dynamik zwischen Hedonismus und verzweifelter Selbst- oder Partnersuche.
Die Hurenschminke der Stadt ist das Symbol für den Abgrund hinter der bunten Verlockung.

Danke für dein Hutlüften!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.