Autor Thema: Keine Verallgemeinerung!  (Gelesen 1018 mal)

Erich Kykal

Keine Verallgemeinerung!
« am: April 07, 2022, 18:04:15 »
„Die Mörder sind Russen!“ - Nicht nur sie, aber wahr.
Die Bedeutung ist klar.
Doch „Die Russen sind Mörder!“ im Umkehrschluss -
das ist und bleibt Stuss!

Ein jedes Volk hat Mörder – doch das sind nicht alle!
Geht der Verallgemeinerung nicht in die Falle!
Die Körper müssen tun, was Köpfe kalt befehlen!
Ersetzt die Köpfe bloß, damit sie Frieden wählen!
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Rocco

Re: Keine Verallgemeinerung!
« Antwort #1 am: April 07, 2022, 20:56:00 »
Hallo Erich,

ja, das ist gut auf den Punkt gebracht.

Ich überlege gerade:

Würde man die beiden letzten Zeilen umschreiben, und das obere weg lassen, wäre der Text dann besser?

Etwa so:

Wähle!

Die Körper tun
was ihre Köpfe befehlen.
Darum braucht Frieden
neue Köpfe

Das ist aber nur eine Idee. Wenn ich dichte, probiere ich immer, man weiß ja nie!

Dir einen schönen Abend!

Rocco
"Erst in Rage werde ich grob -
aber gelte als der Hitzkopf?!"

Yusuf Ben Goldstein, aus Rocco Mondrians Komödie: Yusuf Ben Goldstein, ein aufrechter Deutscher

Erich Kykal

Re: Keine Verallgemeinerung!
« Antwort #2 am: April 08, 2022, 12:49:41 »
Hi Roc!

Ich hab's halt gern mit Reimchen - da kann ich nicht aus meiner Haut!  ;) ::)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Keine Verallgemeinerung!
« Antwort #3 am: April 13, 2022, 14:53:30 »
Hi eKy! :)

Wenn ich ein Gedicht lese, nehme ich persönlich tatsächlich zunächst die formalen Aspekte wahr, bevor ich tiefer in den Inhalt eindringe - bei komplexeren Inhalten benötige ich für die Bedeutungs-Rezeption womöglich einen dritten oder vierten Lesedurchgang, wohingegen die formale Erstanalyse (Zeilenumbrüche, Strophengliederung, Metrum, Reim, Art des Satzbaus, Groß/Kleinschreibung etc.) nach dem ersten Durchlauf schon weitgehend "durch" ist. Ganz am Schluss kommt dann noch ein Abgleich von formaler und inhaltlicher Analyse. Na... aber das alles nur nebenbei... damit will ich erklären, warum ich mich oft in erster Linie bei meinen Kommentaren aufs Formale stürze. :)

Und nun also zum formalen Aspekt dieses speziellen Gedichts von Dir. :)

Große Begeisterung!

Du hast hier - sehr gegen Deinen üblichen Schreibinstinkt das Metrum ganz einem natürlichen Parlando dienstbar gemacht und das finde ich - schon rein abwechslungshalber - ganz wunderbar!
Aufgrund dieser hier angewandten Technik müsste man sich schon sehr anstrengen (und stark gegen die natürliche Betonung lesen), um hier ein einigermaßen "klassisches" Metrum durchzuhalten. Viel leichter lesen sich die Zeilen, wenn man Hebungen und Senkungen sehr weitgehend aneinander angleicht und in normaler (ungebundener) Sprache liest.
Würde man hingegen Hebungen und Senkungen stärker herausarbeiten, aber dabei die üblichen Wortbetonungen nicht ignorieren, dann ergäbe sich ein relativ "unregelmäßiges" Metrum.
Nun hast Du den Befähigungsnachweis für Gedichte in regelmäßiger, gebundener Sprache schon weidlich übererfüllt und daher ist dieser Text natürlich nicht einer plötzlichen metrischen Blindheit geschuldet, sondern offensichtlich in dem Willen verfasst worden, einmal etwas anders an die Sache heranzugehen. Ich finde, das ist hier großartig aufgegangen.

Und wenn ich nun die Form gegen die Inhalt abgleiche, dann ist die formal eher freie Handhabung des Metrums durchaus stimmig zum Inhalt, der mich in seinem aufklärerisch-gesellschaftskritischen Gestus an viele Vorbilder dieser Art von Heine über Brecht, Tucho, Kästner bis Degenhardt und Biermann erinnert (eine etwas fallende Qualitätslinie in dieser Aufzählung von Namen kann ich nicht ganz von der Hand weisen). Alle genannten (und auch von Degenhardt und Biermann gibt es viele sehr "gültige" Werke zu bewundern) haben in Gedichten in diesem aufklärenden Habitus bewusst eine etwas einfachere (oft formelhafte) Sprache gewählt und sich beim Sprechrhythmus absichtlich der normalen Sprache angenähert, was natürlich die Zugänglichkeitsschwelle herabsetzt, aber auch der Eingängigkeit dienlich ist.

Also von mir: Sämtliche Hüte gezogen! Sehr sehr schön (und gar nicht so einfach "nachzumachen" - das kann jeder geübte Schreiber in gebundener Sprache mal ausprobieren, so eine "normale" Sprechmelodie in einem Gedicht einzufangen ist durchaus knifflig :) ).

LG!

S.

« Letzte Änderung: April 13, 2022, 14:56:06 von Sufnus »

Erich Kykal

Re: Keine Verallgemeinerung!
« Antwort #4 am: April 13, 2022, 17:21:06 »
Hi Suf!

Danke für die mir unterstellte lyrische Großartigkeit, die mich so wirken lässt, als machte ich mir beim Dichten schon VOR dem Schreiben tiefgründige Gedanken über das formale Setup für das zu schaffende Produkt.

Dem ist leider nicht so. Ich beginne mit einem Gedanken, basierend auf etwas, das ich gesehen oder gehört habe, oder sogar nur mit einer schönen Einstiegsphrase - und lasse mich dann inhaltlich sozusagen dahintreiben. Die vordergründig aktiven Gehirnteile beschäftigen sich mit Wortwahl, Metrum, Reimschema usw., während ein unterbewussterer Teil von mir sich um die inhaltliche Aussage und Stringenz kümmert, um aus einem vagen Gedanken ein fertiges und logisches Gedicht mit erkennbarer Aussage zu zimmern.
Oft bin ich selbst hinterher von der Coclusio überrascht, weil mich der Denkprozess während des Dichtens am Ende ganz woanders hingeführt hat, als ich zu Beginn dachte.

Mit dem obigen Gedicht verhält es sich aber so, dass ich den Gedanken möglichst rasch und klar lyrisch umsetzen wollte, um nicht mittendrin "abzudriften", denn in diesem Falle war mir - selten aber doch - die gewünschte Aussage von Beginn an klar vor Augen und am wichtigsten. Also achtete ich kaum auf das Metrum und beschränkte mich auf einfachste Paarreime.
Wenn das Ergebnis gefällt - umso besser. Aber ich muss ehrlicherweise eingestehen, dass ich mir dabei keinerlei großarige künstlerische Gedanken über sprachmelodische Lyrik und Auflösung des Metrums gemacht habe. Ich war einfach nur "schlampig", weil mir etwas anderes wichtiger war als die saubere Form ... - sorry.  ;) :-[

LG, Ky


Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
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