Ich erinnere mich noch sehr genau an jenen Tag im November vor ein paar Jahren.
Ich war mit dem Auto unterwegs nach Hause, entlang der Bahngeleise über jene schmale Straße, die sich in östlicher Richtung durch die Felder schlängelte.
Meine Stimmung war dem Himmel sehr angepasst: Grau in Grau, ein wenig verwaschen und mit reichlich tiefhängender Grundbewölkung. Das war eindeutig nicht mein Tag gewesen! Ich fühlte mich erschöpft und deprimiert und wollte nur noch eines: Heim! Raus aus den Schuhen, raus aus der Wäsche, rein in die Wanne und vorher noch eine schöne, heiße Tasse Kaffe schnabulieren….
Irgendwie hatte ich schon wieder leichtes Halskratzen, was meine Laune auch nicht gerade aufhellte. Mistwetter! Und morgen noch die Vertretung übernehmen für Kollegin X….Das würde noch ein arbeitsamer Abend werden.
Konnte nicht einfach mal Ruhe sein?
Seufz. Immer dasselbe. Immer dieses ewige Einerlei: Was koche ich heute, was koche ich morgen? Und: Verdammt, der Wäschekorb ist voll und sollte endlich wieder weggebügelt werden. Muss ich noch was einkaufen oder reicht die Eiskastenbefüllung noch bis übermorgen? Da hätte ich mehr Zeit.
Kollegin Y glaubt wirklich, ich hätte nichts Wichtigeres zu tun als für sie zu recherchieren. Wie werde ich ihr das abgewöhnen?….Zum Friseur müsste ich auch wieder mal. Neuerdings halten die Haare ja überhaupt nicht! Sind nach zwei Tagen fettig und stehen in alle Windrichtungen! Ich seh ja aus wie eine Klobürste….Hoffentlich hab ich heute wenigstens die Briefsendung gekriegt, auf die ich schon über eine Woche warte, sonst muss ich morgen überall herumtelefonieren, wo die wieder geblieben ist…..
So miesmuffelte ich vor mich hin und fuhr mehr in Gedanken, denn mit Aufmerksamkeit für die Umgebung, als plötzlich etwas Rundes, Rotes vom Himmel herab schwebte und mein Interesse erweckte. Was war denn das? „A letter to the stars“? Ein Brief an das Christkind?
Ja, war es denn die Möglichkeit? Wollte da tatsächlich ein kleiner Ballon landen und ausgerechnet mir die Ehre geben? Ich verringerte sofort die Geschwindigkeit und fokussierte genauer: Ja wirklich, der Ballon senkte sich immer weiter und weiter herab und kam immer näher zur Fahrbahn heruntergesegelt. Schon sehr langsam geworden rollte ich unter ihm vorbei…....
Bitte, bitte, bleib hier! rief ich ihm, in Gedanken bettelnd, zu. So etwas Schönes hatte ich doch noch nie gefunden. Schließlich kam mein Wagen zum Stillstand. Der Ballon lag nur 20 Meter hinter mir auf der Fahrbahn. Ich verließ mein Fahrzeug und lief, was ich konnte. Wenn ihn nur jetzt nicht ein Nachkommender mit seinem Wagen hoch wirbelte und ihn in die regennassen, schlammigen Felder trieb!
Ich hatte Glück. Nichts dergleichen geschah und so konnte ich mit der erbeuteten Luftpost unbeschadet meinen Heimweg fortsetzen.
Ich platzte schon fast vor Neugierde, was das kleine, fest verpackte Briefchen enthalten würde, das ans Ende der Schnur gebunden war.
Die Nachricht, die der Ballon transportiert hatte, war folgende:
„Lieber Finder!
Solltest du diesen Brief bekommen haben, so schicke bitte eine Meldung von seinem Fundort an…………. (hier stand eine aufgestempelte Adresse)
Vielen Dank für deine Mühe sagt dir jetzt schon
Deine Bettina“
Die letzte Zeile war in wackeligen Blockbuchstaben wohl von dem kleinen Mädchens selbst geschrieben worden.
Ein Kindergarten in der Mittelsteiermark hatte an einem Wettbewerb teilgenommen, der von der örtlichen Sparkasse ausgeschrieben worden war.
Die junge Dame, deren Brief ich gefunden hatte, war erst drei Jahre alt!
Mir wurde vor Staunen gleich warm ums Herz. Wie weit war doch dieser kleine Luftballon geflogen – und wie schlau war er gelandet! Einige hundert Meter weiter und kein Mensch hätte ihn in den weitläufigen Feldern entdeckt, einige Minuten später - und er wäre in der hereinbrechenden Dämmerung nicht mehr zu erkennen gewesen!
Nun musste ich mich aber beeilen! Ich besorgte sofort eine Schachtel, gefüllt mit Bonbons und andere Leckereien, kaufte außerdem noch ein paar schöne Ansichtskarten von Wien und schrieb ein paar frohe Zeilen an den kleinen Frosch, der da so sehnlichst auf Antwort wartete. Dann machte ich alles versandfertig und brachte meine Wort- und Magenspende zur Post.
An diesem Tag hatte ich keine schlechte Laune mehr. Ich ging wie auf Wolken
und dieses Glücksgefühl hielt auch noch in den darauf folgenden Tagen an.
Eine Woche später erreichte mich ein Telefonanruf. Es war Bettinas Mutter, die sich sehr herzlich für Post und Antwort bedankte.
Der ganze Kindergarten habe sich an dem Wettbewerb beteiligt, doch nur Bettinas Karte sei gefunden worden. Für Bettina wäre damit ein kleines Wunder geschehen.
Mir lief bei diesen Worten eine Gänsehaut über den Rücken.
„Ihre Tochter muss ja ein ganz besonderes Glückskind sein,“ meinte ich zu der stolzen Mutter. „Ja, das ist sie ganz bestimmt,“ antwortete diese. „Und zwar von Anfang an: Meine Bettina ist nämlich genau am Heiligen Abend geboren worden.“
Ich konnte nicht anders, mir wurden die Augen feucht.
Und dann erzählte ich einer mir unbekannten Frau am Telefon, dass auch für mich das Glück vom Himmel gefallen war an jenem grauen, trübseligen Tag im November.
Und wenn ihr mich heute fragt, ob es ein Weihnachtswunder gibt, so sage ich mit Überzeugung: Ja!
Wir müssen es nur entdecken.
Jeder in jedem.