Ich verstehe es nicht: Wir geben ein Heidengeld aus, um Computersimulationen vom Originalorchester und dem Originalschauplatz der Erstaufführung von Beethoven's Neunter zu generieren, weil wir es so spannend finden, den damaligen Sound zu hören und mit dem heutigen zu vergleichen, und machen sogar noch eine TV-Doku daraus – aber für unterprivilegierte Kinder oder die Opfer von Missbrauch ist nie genug Geld vorhanden! Oder endlich mal wirksame Gesetze für jene, die dringend ein Spenderorgan brauchen?
Ich weiß, ich weiß – völlig unterschiedliche Lebensbereiche. Aber sollten sie das sein? Sollten wir nicht an die wirklich wichtigen Dinge denken, ehe wir uns in versponnenen Liebhabereien verlieren und persönliche Steckenpferde reiten, und zuerst diese in Ordnung bringen? Wäre das Geld dann nicht besser investiert?
Wie kann es angehen, dass Schwerstkranke jahrelang um Frühpensionierung betteln gehen müssen, ohne auch nur ernsthaft angehört zu werden, während andere das System frei flottierend missbrauchen können, sei als es Mietnomaden oder Sozialschmarotzer!? Haben wir wirklich nicht das Geld für ausreichendes Prüfungspersonal solcher Fälle – oder ist es den Entscheidern bloß egal, wie sehr sie dadurch die Demokratie beschädigen, die sie eigentlich stärken sollten?
Warum ist es immer noch möglich, im Internet Unschuldige durch Drohungen, Shitstorms und üble Nachrede in den Suizid zu treiben, ihren Ruf zu zerstören und ihre Existenzen zu vernichten, während die staatlichen Wächterorgane gegen einschlägige Seiten chronisch unterbesetzt und unterbezahlt bleiben und oft nur noch aus Idealismus gegen all den Hass, die Hetze und die gezielte Falschinformation anrennen, die Trolle und Fanatiker aller Arten dort ungestraft auswürgen dürfen?
Es brennt an allen Ecken und Enden, und dann wundern sich manche doch tatsächlich noch, warum immer mehr Menschen sich von der Demokratie abwenden, die ihre Bedürfnisse und Notwendigkeiten ignoriert, weil gefühlt jeder Politiker oder Wirtschaftsmächtige auf dem Rücken dieser Staatsform nur noch sein eigenes Süppchen kocht und sich einen Scheißdreck um die Gemeinschaft schert?
Wäre es anders, unser Land sähe längst anders aus, und die herzkalten rechtslastigen Krakeeler hätten keinerlei ernsthaften Zulauf zu verzeichnen!
Wir bekommen unzählige Dokus über die gute alte Zeit aufgedrückt, von die Habsburger hier bis Schönbrunn da, von den Wiener Palais bis zum Prater, Hochwasserleitung, die Mätressen des Kaisers, die Bahnlinien des Kaiserreichs, vom Semmering bis an die Adria, vom Hofkonditor bis zur Frauenmode des 19. Jahrhunderts – dafür scheint genug Geld vorhanden zu sein, egal, wie viele Österreicher das wirklich interessiert.
Anstatt die ernsten Probleme der Gegenwart in Angriff zu nehmen, schmurgeln wir medienseitig in der 'guten alten Zeit imperialer Größe', werden wir mit Historischem bombardiert, um ein letztes Quäntchen Wir-Gefühl aus dem von unfähigen Staatslenkern ausgelutschten Drops zu quetschen, ehe die Braunen ihn runterschlucken und uns ihre neue Härte diktieren – wieder!
Das Schiff hat Schlagseite, Matrosen, aber nicht der an Bord strömenden Geretteten oder der darbenden Passagiere der dritten Klasse oder der an den Heizkesseln schuftenden Besatzung wegen, sondern weil die wechselnden Kapitäne in ihrer Seitenblicke-Bussi-Bussi-Blase seit Jahrzehnten das Wesentliche aus den Augen verloren haben, oder weil die überbordende Behinderungsbürokratie und Freunderlwirtschaft in diesem Land echte Reformen ohne nackte Gewalt längst verunmöglicht hat – oder weil wir immer schon ein Volk von verkappten Nazis waren, die ihr Heil eher in Pogromen und Fremdenhass suchen als in Aufgeschlossenheit, Toleranz und Vernunft.
Und das Schlimmste: Alle sehen es und wissen, wo es endet, aber alle starren in die blendenden Scheinwerfer der Geschichte wie Rehe auf der Autobahn vor dem heranrasenden Laster mit dem Hakenkreuz auf der Kühlerhaube!
Na denn – ein Prosit auf den ollen Kaiser und auf Beethoven's Neunte!