Hi larin!
Ja, das Elend kommt schleichend, und lang kann man die Zeichen ignorieren, wegargumentieren. Hinterher wird man den Punkt suchen, an dem all der Wohlstand und die Sicherheit zu kippen begannen, und man wird sich schwertun.
War es damals, als Putin sich jenseits aller Verfassung "wiederwählen" ließ, und die Demokratien schwiegen, um weiter gute Geschäfte mit ihm machen zu können? Begann da der Niedergang der Feigen und Blinden?
War es damals, als Putin klarstellte, dass er die Grenzländer, die alten Satellitenstaaten der UdSSR, immer noch als quasi Eigentum und Vorrechtszone seines Landes behauptete, und der Westen dazu schwieg, damit Öl, Gas und Bodenschätze fließen konnten, obwohl es nur eine Handvoll Oligarchen reich machte?
War es damals, als Putin die freie Presse zu nötigen und zu ermorden begann, Dissidenten vergiften ließ, in Georgien und auf der Krim auszuloten begann, wie weit man ihn gehen lassen würde, ohne die Illusion von Sicherheit und Wohlstand im Westen zu riskieren?
Ab wann haben wir verabsäumt, das Richtige zu tun, sodass alles in das nunmehrige Geschehen münden konnte? Lang warf Putins Handeln seine Schatten voraus, lang waren seine Lügen und seine Selbstbereicherung deutlich zu erkennen, zumindest außerhalb Russlands. Lang hätte man ihn international in die Schanken weisen können - aber so ist der Mensch eben: Solang der Rubel rollte, spielte alles andere keine so große Rolle, vor allem wenn Putin immer mal wieder zivilisiert tat und Lippenbekenntnisse absonderte, um die Gewissen der Arschkriecher und Partikularisten zu beruhigen.
Niemanden hat Putins Überfall angesichts all seiner offenkundigen Charaktereigenschaften und Vortaten weniger überrascht als mich, aber sogar ich dachte anfangs: SO dumm KANN er doch nicht sein! Alles, was sich sein Land die letzten Jahrzehnte an Kreditwürdigkeit, Stabilität, Wohlstand und internationalem Ansehen erarbeitet haben mochte - mit nur einem einzigen aggressiven Akt kleingeistiger Besitzbehauptung unwiederbringlich hinweggewischt!
Ihm musste vorher klar gewesen sein, dass die Weltgemeinschaft hierzu nicht mehr würde schweigen, nicht mehr verschämt würde wegschauen können. Ihm war der "Respekt" vor ihm und seinem wiedererstarkten Russland wichtiger als Verständigung und Aufnahme in die Weltgemeinschaft. Seit dem Ende des kalten Krieges hörte er nie auf, Blöcke und Feinde zu sehen, anstatt Chancen und offene Arme. Und Leute wie er haben immer schon Respekt mit Angst verwechselt. Er benimmt sich wie ein Mafiaboss, wie ein aufgeblasener, billiger kleiner Vorstadtmussolini, der sein Machogehabe und seinen Männlichkeitswahn auf das ganze Land projiziert, das er im Würgefriff hat.
Das Problem ist, das Putin nun ein Problem ist, dass Russland eigenständig lösen (wollen) muss. Jede direkte Aktion von außerhalb gäbe ihm Handhabe zu behaupten, man greife Russland an, nicht explizit ihn. Leider haben Jahrhunderte brutales Zarentum sowie Jahrzehnte kommunistische Gewaltherrschaft die meisten Gene von Intellektualität, Eigenständigkeit und Selbstbewusstsein aus dem Pool dieses Volkes herausgefoltert und -gekillt.
Dass man sich gegen ihn erhebt, ist daher sehr unwahrscheinlich, so mutig die Protesttaten Einzelner und Weniger auch sein mögen. Vor allem, weil viele Brutalschergen des Systems Putins Handeln sogar begrüßen und beklatschen.
LG, eKy