Hi gum!
"Dank" meiner aktuell etwas reduzierteren Aktivitäten im Netz habe ich viele schöne Gedichte der letzten Monate noch nicht kommentiert - dieses gehört dazu, und es freut mich sehr, dass Larin es nach oben geholt hat!
Wobei "schön" bei diesem Gedicht natürlich eigentlich kein ganz passendes Attribut ist, leuchten die Zeilen doch in die Angstabgründe vor geistigem Abbau. Nun... die Zeilen verleihen der Furcht vor dem mentalen Bröckeln immerhin derartig gekonnt Ausdruck, dass sie damit die Befürchtung des lyr. Ichs überzeugend widerlegen.
Immerhin - fast jeder, der das Glück hat, in einer Wohlstandsoase bei unverschämt angenehmen "Haltungsbedingungen" das Dasein auszukosten, möchte doch ein hohes Alter erreichen und eine gewisse geistige Verwitterung ist der Preis, der hierfür zu zahlen ist. Dabei bleiben auch die "geistig regen" Oldies keineswegs vor gewissen Intellekteinbußen verschont. Die Fähigkeit zum "Querdenken" nimmt ab, die Buntheit des jugendlichen Denkens weicht entsättigten Pastelltönen, die Lernfähigkeit sinkt, zunächst im Bereich komplexer prozessuraler Vorgänge (ein gänzlich neues Musikinstrument lernen, komplizierte Maschinen bedienen), dann auch im Bereich des Faktenlernens usw. usf. Diejenigen unter uns, die mit einer etwas korrosionsfesteren Denke gesegnet sind, können immerhin trotz der skizzierten Ausfälle durch Routine, Fokussierung auf das Wesentliche und - im weitesten Sinne - "Lebenserfahrung" ein Hirnleistungsniveau aufrecht erhalten, dass ihnen das Label "Demenz" erspart, aber ob man zu den Glücklichen zählt, auch mit 90+ noch als mental fit gelten Mitmenschen, die ich aus größerer Nähe erleben durfte, eigentlich sehr lange noch etwas erhalten blieb, dass ich als "Persönlichkeitskern" bezeichnen würden. Und mehr noch: Viele dieser von Demenz (durchaus schön höhergradig) Betroffenen, gewannen einen eigenartigen, leicht anarchistischen, aber durchaus gutmütigen Witz hinzu, den ich an ihnen vorher nicht erlebt hatte und der oft geradezu charmant zu nennen war. Soweit die Personen (zwei kenne ich) künstlerisch tätig waren, kam dies sogar ihrem artistischen Schaffen regelrecht zugute. Die "Reise in den Sonnenuntergang des Lebens" (Reagan) soll nicht etwa verharmlost werden, doch diese Zeit der geistigen Abenddämmerung birgt durchaus auch erfüllte, glückliche Momente.
Unabhängig von diesen inhaltlichen Reflexionen ist das ein wirklich formvollendetes Sonett!
In den beiden Quartetten finden wir die klassischen umarmenden Reime, die sich gemäß der strengen Regel mit nur zwei Reimendungen begnügen und in den Terzetten ist der Schwierigkeitsgrad im Vergleich zum "schulbuchmäßigen" Sonett sogar noch etwas angehoben worden, weil hier ebenfalls nur zwei Reimendungen zu finden sind, wo doch die Klassiker drei Endungen erlauben.
Sehr gerne gelesen!
S.