Autor Thema: Wir Grottenolme  (Gelesen 1070 mal)

Erich Kykal

Wir Grottenolme
« am: Dezember 20, 2021, 22:14:37 »
Der Grottenolm träumt tief in seinem Dunkel
von ewig lichtlos kalten Paradiesen,
denn ohne Augen weiß er nur von diesen,
und unerklärbar bleibt ihm Sterngefunkel,

das Licht, die Farben einer Welt bei Tage,
und wir bedauern ihn zutiefst darüber,
als wäre all sein Dauern darob trüber,
und unerlöst beladen seine Lage.

Wie wesenlos erscheint mir so ein Denken!
Was mögen wir wohl alles nicht erkennen
im Rahmen enger Sinne, die wir kennen?

Auch uns ist nur ein kleiner Teil gegeben
vom großen allumfassenden Erleben -
wir sollten unser Haupt in Demut senken!
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Wir Grottenolme
« Antwort #1 am: Dezember 20, 2021, 23:16:58 »
Lieber Erich,

wie gut du den Grottenolm für die Erkenntnistheorie nutzt! Wer weiß, wie schön seine lichtlosen Träume sind, und was Wale und Fledermäuse mit Echolot entdecken?

Das "Ding an sich" ist uns nicht zugänglich, und das Auge, wie Kleist nach der Kantlektüre meinte, kann uns eine durch seine Bauweise ganz verfälschte Welt zeigen. Hinzu kommt, was das Gehirn noch aus den Sinnesreizen filtert und daraus konstruiert.

Wir sollten uns wirklich in Demut üben!

Mit Freude gelesen.

Grüße von gummibaum


Erich Kykal

Re: Wir Grottenolme
« Antwort #2 am: Dezember 21, 2021, 17:30:55 »
Hi Gum!

Von Plato's Höhlengleichnis ist es gedanklich ja nicht weit zum Grottenolm, wo wir doch schon mal unter der Erde sind!  ;) ;D

Unsere Sinne sind aus Sicht alles Erkennbaren beinahe ebenso beschränkt und stumpf wie die des Grottenolms. Einem von Geburt an Blinden kannst du nicht erklären, was eine Farbe ist! Aber wie du sagst: wieviel Wahrnehmungs- und zerebrales Verarbeitungspotential fehlt uns wohl bis zur absoluten Durchdringung alles Seienden!? Tastende sind wir in diesem Universum, ja gar im eigenen Leben.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Wir Grottenolme
« Antwort #3 am: Januar 18, 2022, 21:47:32 »
Hi eKy!
Ein wirklich schönes Gleichnis - der Grottenolm, der so unfasslich genügsam in lichtlosen Höhlensystemen lebt und dabei locker ein Alter über 100 Jahre erreicht, drängt sich als Gegenbild zu menschlichem Optimierungswahn und FOMO-Manie wahrlich auf. :)
Von Jan Wagner gibt es auch ein Gedicht über den Grottenolm, welches ähnliche philosophische Grundierungen andeutet wie Du in Deinem schönen Sonett, eKy. Im Gegensatz zu Deinen Zeilen (darin zeigt sich einer der wichtigsten Unterschiede zwischen moderner (und postmoderner) Lyrik und der bürgerlich-traditionellen Dichtung) fehlt in Wagners Zeilen weitgehend die explizite Übertragung des Olms auf den Menschen. Diese Ausformulierung der Parabel - so wie der Olm für die farbige Menschenwelt blind ist, so sind auch wir Menschen blind für Welten, die wir mit unseren Sinnen nicht zu erfassen vermögen - das ist das entscheidende Element von Gedankenlyrik, das in der Moderne untern Tisch fällt. Seit Benn & Co. sind die "Messages" eher implizit im Gedicht versteckt, aber seltener explizit ausformuliert (Ausnahme: die engagierte und politische Lyrik). :)
Nun... diese "Moden" sind per se kein Qualitätskriterium, insofern sind meine Ausführungen auch nicht als Kritik an Deinen Versen zu verstehen, lieber eKy. Ich versuche nur zu benennen, in wie weit der Gestus Deines Gedichts (wertfrei oder sogar im allerbesten Sinne!) "altmodisch" - will heißen: traditionsbewusst - ist. :)
Einzige Minikritik: Die Reimwortwiederholung Z.10/11 (-kennen) finde ich an der Stelle nicht ganz so schön, da das für mich persönlich ein sehr "starkes" (meint: auffälliges) rhetorisches Signal ist, dessen Berechtigung mir hier nicht ganz so einleuchtet (mir Olm, mir!)... ;)
Sehr gerne gelesen!
S.

Erich Kykal

Re: Wir Grottenolme
« Antwort #4 am: Januar 18, 2022, 22:05:21 »
Hi Suf!

Ich gebe dir recht - der von dir monierte Reim ist suboptimal, aber die Aussage ließ sich irgendwie nicht so recht anders rüberbringen.

Wie du weißt, schere ich mich nicht darum, ob man mein Dichten "modern" oder "traditionell" nennen mag - ich schreibe einfach, wie ich kann und möchte, und wie es mir eben am besten gefällt.
Mir ist aufgefallen, dass ich oft mit Gleichnissen und Bildern arbeite, um philosophische Inhalte zu verdeutlichen, oder für eine Conclusio mit "griffiger" Aussage. Ich scheine ein Auge für solche Übertragbarkeiten zu haben ...

Der Grottenolm ist auch Thema für Medizin und Wissenschaft: Abgetrennte Gliedmaßen wachsen ihm wieder nach! Seine Regenerationsfähigkeit ist ohnegleichen!

Vielen Dank für deine Gedanken!  :)

LG, eKy
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Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Wir Grottenolme
« Antwort #5 am: Januar 19, 2022, 10:27:52 »
Ich gebe dir recht - der von dir monierte Reim ist suboptimal, aber die Aussage ließ sich irgendwie nicht so recht anders rüberbringen.

Moin eKy! :)
Mit der Reimendung -ennen gäbe es m. E. einige Wendungen auf -trennen oder -nennen, die Deine Aussage auch ganz gut transportieren können, ohne dass ein identischer Reim (kennen/kennen) nötig wäre, der - wenn es kein poetologisches Argument für dessen Verwendung gibt - im Deutschen als Stilfehler gilt (andere, insbes außereuropäische Sprachen haben interessanterweise ein entspannteres Verhältnis zum identischen Reim).
Mir fällt übrigens grad ein, dass ich irgendwo hier auf der Wiese mal ein Gedicht vergraben habe, in dem ich durchgängig identische Reime verwendet habe, quasi als technische Fingerübung. Müsste ich aber jetzt schwer auf die Suche gehen... grad zu faul... vielleicht bei Gelegenheit... :)
LG!
S.
 
P.S.:

Adhoc-Vorschläge zur Vermeidung des identischen Reims:

Wie wesenlos erscheint mir so ein Denken!
Wie vieles können wir wohl nicht benennen,
weil unsre engen Sinne es nicht kennen?


Wie wesenlos erscheint mir so ein Denken!
Wie vieles gibt sich uns nicht zu erkennen,
weil uns die Sinne vom Verstehen trennen?

Erich Kykal

Re: Wir Grottenolme
« Antwort #6 am: Januar 19, 2022, 11:07:04 »
Hi Suf!

Von der Sorte (alles gleicher Reim) hätt ich auch was anzubieten - aber gleiches Problem wie bei dir: wie jetzt finden? - Na, vielleicht stolpern wir ja mal zufällig hier drüber, wenn wir in unseren Archiven wühlen (wohl eher selten, wie ich uns Dichter kenne ...) oder ein Leser eins davon "hochholt", während wir gerade die Online-Liste studieren.

Danke für deine Vorschläge - ich überlege selbst auch noch. Nal sehen, was vielleicht bei Gelegenheit dabei rumkommt.

LG, eKy
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