Autor Thema: Hemmungslos  (Gelesen 654 mal)

Erich Kykal

Hemmungslos
« am: Januar 07, 2022, 13:37:49 »
Komm, füttern wir die heimlichen Dämonen,
die uns begleiten unser Leben lang!
Belauschen wir den süßlichen Gesang
im tiefsten Seelengrund, den sie bewohnen.

Komm, öffnen wir die schmutzigen Verliese,
darin wir alles werfen, was uns reut!
Wir wollen uns verführen lassen heut,
und glauben nicht an Gott und Paradiese.

Komm, werfen wir uns ganz in dieses Schweben,
entriegeln wir das Schloss zum Buch der Lust,
und lass uns lesen, heiß und tief bewusst,
was wir darin entfesseln und erleben.
« Letzte Änderung: Juli 30, 2022, 01:13:10 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Hemmungslos
« Antwort #1 am: Januar 09, 2022, 19:24:58 »
Lieber Erich,

das ist schön. So ganz der Lust zusprechend. Eigentlich müssten es nicht Dämonen, Verliese und verriegelte Bücher sein. Aber die christliche Moral hat ihre Vorstellungen in uns hinterlassen.

Mit Freude gelesen.
Grüße von gummibaum 

Erich Kykal

Re: Hemmungslos
« Antwort #2 am: Januar 09, 2022, 23:06:31 »
Hi Gum!

Erotik ist das eine, aber nicht alles, was "Lust" bereitet und bedeutet. Ich dachte beim Schreiben durchaus auch an gewisse dämonische Aspekte unserer menschlichen Natur, die wir zeigen, wenn wir enthemmt sind. Aber solang es anderen nicht bewusst schaden will - warum nicht?

Wie du sagst, die "christliche" Moral hat uns leider allzu körper-, lust- und enthemmungsfeindlich geprägt. Ein Grund dafür mag sein, dass sehr viele eben KEINE Rücksicht auf andere nehmen, sobald sie sich enthemmen. Die dunkle Seite in uns aber will nicht abgeleugnet und eingekerkert sein - sie will umarmt und anerkannt werden wie das Gute auch.

Nur wenn wir den "Drachen" in uns wegsperren und aushungern, wird er zum unberechenbaren Monster - und wenn es dann ausbricht, fließen Blut und Tränen! Die meisten Religionen denken zu Schwarz-Weiß, um das zu verstehen. Sie wollen die Menschen nur weiß sehen, sich weiß behaupten und weiße Dinge tun. Das aber kann nie funktionieren, egal wie weiß die jeweiligen Vorbilder gemalt werden. Gott ist nur ein weißes Bild für jene, die nach weißen Bildern hungern - aber sie selbst können es nie erreichen.

Das sind dann zuweilen jene, die an ihrer eigenen Schuld bitter und schwarz werden und dennoch immer noch glauben, weiß zu sein und Weißes zu tun: die Hexenverbrenner, die Kinderverurteiler, die Handabhacker, die Ausbilder von Selbstmordterroristen und ebenjene, die Schwulentotprügler, die Rassenhasser - all die Paradiestürsteher, die jeden mit tödlichen Gefühlen und Waffen zurückweisen, der ihrem festgefügten Bild von Reinheit und blendendem Weiß irgendwie nicht ganz entspricht. Die eigene Schwärze erkennen sie nie.

Unsere Welt ist mittlerweile dermaßen eingezwängt und kastriert von unzähligen Tabus, Dogmen, Regeln, Gesetzen, Verordnungen und kulturellen Übereinkünften, dass es nur noch sehr wenig echte Freiheit gibt, Freiraum zur Selbst- und Weltgestaltung. Auch der Entzug von Möglichkeiten durch Bürokratie, Geldmangel, Verpflichtungen, Verantwortlichkeiten, Vorgesetzte oder geringe gesellschaftliche Stellung tragen dazu bei.

Irgendwann wird das System - so es sich nicht reformieren kann und an der Oberfläche in Dekadenz, Konventionen und Ritualen erstarrt, während die Massen darunter darben und rackern - kollabieren, egal wie sehr es behauptet, gut und freiheitsliebend zu sein. "Demokratie" wird dann nur noch eine weitere leere Worthülse unter unzähligen anderen "Fake Facts" sein - und die Welt wird wieder zum lebensgefährlichen Abenteuer ohne Netz und doppelten Boden! Der Mensch scheint den Kataklysmus zu brauchen, um zu evolvieren: Jede Zivilisation, die er seit der Steinzeit aufgebaut hatte, musste zugrunde gehen und zerfallen, damit etwas Neues entstehen konnte - möglicherweise größer, besser und fortschrittlicher.
Dass der Prozess aber jedesmal unzählige unschuldige Opfer fordert, und mit jeder Umdrehung der Maschine immer noch mehr davon, das scheint ihn nie zu interessieren - oder er erkennt es mangels intellektueller Übersicht und historischer Bildung einfach nicht ...


Interessant, wohin so ein kleiner lyrischer Aufruf zu mehr enthemmtem Wagnis den Philosophen in uns führt ...  ;)

Vielen Dank für deinen freundlichen Kommi!  :)

LG, eKy
« Letzte Änderung: Januar 09, 2022, 23:49:10 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.