Autor Thema: Noch eine Herbstimpression  (Gelesen 473 mal)

Erich Kykal

Noch eine Herbstimpression
« am: Oktober 29, 2021, 11:04:11 »
Die klare Luft ermuntert die Konturen,
sich für erwachten Kennerblick zu schärfen,
wo Farben lichtgeschminkt wie bunte Huren
ihr Aufgerafftes vor die Gaffer werfen.

Der Tag entblättert sich in Windes Tänzen
und dreht sich nackt und lüstern in den Schatten,
darin er, sich dem Abend zu kredenzen,
von Nächten träumt, die seine Sehnsucht hatten.

Die Menschen eilen immerfort von dannen,
als wären sie in Künftigem befangen,
gefesselt von der Zeit, die sie gewannen,
und von dem Ziel, an das sie nie gelangen.

Die Stunden fallen wie verwundete Gefährten,
die Kameraden unerklärter Schlachten.
Sie alle dachten, dass sie ewig währten
im Augenblick, da sie Geschichte machten.

Vergessen sind sie schon am nächsten Morgen,
verlebt und unerinnert vor dem Strahlen
des ewig Neuen und erneuter Sorgen,
der frischen Lust und ihren alten Qualen.
« Letzte Änderung: Oktober 31, 2021, 08:36:21 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Noch eine Herbstimpression
« Antwort #1 am: Oktober 30, 2021, 14:09:32 »
Lieber Erich,

ein Gedicht, das über Farben und Entblättern eine unübliche Parallele zieht und mir wegen der Verschränkung verschiedener Zeit- und Raumausschnitte (Sommer-Herbst-Winter/Tag-Abend-Nacht//Natur/Bett/Seele) sehr gefällt. Auch weitet der Übergang von den fallenden und fortgewehten Blättern auf die vom Wind der Zeit Getriebenen, auf die in Schlachten gefallenen und ins schnelle Vergessen gesunkenen Soldaten den Blick.

Mit großer Freude gelesen.

Chapeau von gummibaum

Erich Kykal

Re: Noch eine Herbstimpression
« Antwort #2 am: Oktober 31, 2021, 08:46:01 »
Hi Gum!

Diese Gedichte "passieren" mir einfach. Als ich begann, stand mir nur der Blick aus meinem Fenster vor Augen, das schütter gewordene Laub, noch ausreichend, die Äste im Wind zu bewegen, aber die Bäume schon mehr entkleidet zeigend, fast wie exotische Tänzerinnen mitten im Stripteasetanz ...
Irgendwie wie von selbst gerann der 2. Teil dann zu dieser philosophischen Betrachtung: Das Laub und der Mensch - Leben und Vergessen ... - und jedes Jahr eine neue Generation, nach dem Licht strebend, doch hilflos gefangen im und gebunden an den Kreislauf, den ihre Wurzeln fordern und diktieren. Milliarden unterschiedliche Lebensbäume - und doch immer das gleiche Lied vom Werden und Vergehen ...

Vielen Dank für den freundlich gewogenen Zuspruch!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.