Hi Erich,
danke für deinen Kommentar und deine Kritik. Habe das Gedicht daraufhin etwas umgeschrieben. Es war nicht so einfach, solch eine komplexe Persönlichkeit in ein paar Zeilen zu beschreiben, noch dazu in einem sich reimenden Akrostichon und nicht allzu platt. Nunmehr steht im Gedicht statt des bunten Kleides eine Aufzählung von Maribels Charaktereigenschaften.
"Metrische Unwucht", naja. Das "und" war mir zu vorgerückter Stunde verloren gegangen, "anzieht", war nicht schön und nicht metrisch, aber sonst?
Die "Nacht" erscheint zweimal, weil ich sie besonders betonen wollte. Was mein Anliegen war, wird glaube ich in der Überarbeitung deutlich. Jene Nacht des 10. August, als Maribels Tod bekannt wurde, war eine rabenschwarze Nacht, nicht nur für mich. Die Dichter, die politisch engagierte Madrider Gemeinde, ihre Freunde, ihre Tochter und Söhne trauern um sie.
"Schlicht, intim, kritisch und kämpferisch, diese Eigenschaften spiegeln sich in ihrer sozialen Poesie wider." So charakterisierte ihr Verlag ihre Dichtung. Als schlicht empfinde ich ihre Gedichte jedoch ganz und nicht, vielmehr als tiefgründig, vielschichtig, poetisch, was ich euch gerne präsentieren würde, aber sie sind schwer zu übersetzen.
Kennen gelernt hatten wir uns auf der Cita de la Poesía in Berlin, als Maribel bei mir zu Gast war. Ich mochte ihre ruhige, besonnene Art, ihr umfassendes Wissen über die Geschichte Spaniens, ihre Haltung, auch ihre Wut, die ihrer Liebe zu den Menschen entsprang. Sie stammte aus der Extremadura. Die Härte, Ungerechtigkeiten und Entbehrungen, denen die Arbeiter in dieser kargen Gegend ausgesetzt waren, hatten sie geprägt und zur Kämpferin werden lassen.
Sie war immer unterwegs, zu einer Lesung oder zum nächsten Treffen, bepackt mit Aktenordnern, denn sie engagierte sich in zahlreichen kulturellen und politischen Projekten. Sie war u.a. aktives Mitglied im Ateneo von Madrid mit seiner großen Bibliothek, durch das sie mich voller Stolz führte. Auf unseren Streifzügen zeigte sie mir ein schönes Viertel, dessen Straßen nach den großen spanischen Dichtern benannt sind. Sie machte mich auch auf das Denkmal des Blutbades von Atocha 1977 aufmerksam, als fünf gewerkschaftlich organisierte Anwälte einem Attentat zum Opfer fielen und vier weitere schwer verletzt wurden. Im Cine Dore, dem ältesten Kino der Stadt, sahen wir einen berührenden Film über ein Transmädchen. Sie führte mich durch die Arbeiterviertel, lud mich in Cafes und Kulturhäuser ein, beschenkte mich mit Büchern, die sie geschrieben hatte, mit Ohrringen aus Keramik, die ihre Tochter kreiert hatte, mit einer köstlichen spanischen Mandeltorte und mit ihrer Gastfreundschaft.
Ab und zu telefonierten wir, aber sie sprach sehr schnell, so dass ich leider wenig verstand. Bei unseren persönlichen Begegnungen war es leichter. Gerne hätte ich sie nach der Pandemie noch einmal wiedergesehen, doch es war uns nicht vergönnt.
Lieben Gruß
Jenny