Autor Thema: Erinnerung  (Gelesen 1800 mal)

Seeräuber-Jenny

Erinnerung
« am: August 19, 2021, 06:40:23 »
Mondschein leuchtet in der Nacht
Auf die dunkle Lockenpracht,
Rabenschwarz wie diese Nacht...
Immergrün ist ihr Gemüt,
Blume, die so schlicht erblüht.
Edel ist sie, hilfreich, gut,
Lauter, ehrlich, frohgemut.

Aktenordner in der Hand,
Lebensklug und wortgewandt
Offenbart sie mir Madríd.
Nur wer mit dem Herzen sieht,
Sieht den Himmel und die Höll.
Oh, du fehlst mir, Maribel.
« Letzte Änderung: August 19, 2021, 22:59:21 von Seeräuber-Jenny »
Ideale sind wie Sterne. Wir erreichen sie niemals, aber wie die
Seefahrer auf dem Meer richten wir unseren Kurs nach ihnen.
Carl Schurz

Erich Kykal

Re: Erinnerung
« Antwort #1 am: August 19, 2021, 12:06:43 »
Mondschein schimmert in der Nacht
Auf der langen Lockenpracht,
Rabenschwarz, so wie die Nacht.
Immergrün ist das Gemüt,
Bunt das Kleid, das sie anzieht.
Edel ist sie, hilfreich, gut.
Lebenslust liegt ihr im Blut.

Aktenordner in der Hand,
Lebensklug wortgewandt
Offenbart sie mir Madríd.
Nur wer mit dem Herzen sieht,
Sieht den Himmel und die Höll.
Oh, du fehlst mir, Maribel.


Hi Jen!

Da ich nicht weiß, wen du mit Maribel Alonso meinst, kann ich inhaltlich nicht mitreden. Eine verstorbene oder unerreichbare Freundin in Spanien? Aber wozu einen Aktenordner zur Stadtführung mitnehmen? Oder ist das eher gleichnishaft gemeint?

Deutlich hier leider manch metrische Unwucht. Das "anzieht" in S1Z5 zB muss völlig falsch auf Silbe 2 betont werden, will man im Takt bleiben! Das "ziept" gewaltig am lyrischen Organ!
In S2Z2 würde ein "und" zwischen den beiden Worten genügen, um das Metrum sauber zu halten. Vergessen?

Stilistisch: Etwas gewöhnungsbedürftig die Wortwiederholungen: "Nacht" als Reim in S1Z1/3, oder "sieht" in S2Z4/5 direkt aufeinander folgend.

Vorschläge:

Mondschein, der mir schimmernd lacht
Auf der langen Lockenpracht,
Rabenschwarz, so wie die Nacht.
Immergrün ist ihr Gemüt,
Bunt das Kleid, darin sie blüht.
Edel ist sie, hilfreich, gut.
Lebenslust liegt ihr im Blut.

Aktenordner in der Hand,
Lebensklug und wortgewandt
Offenbart sie mir Madríd.
Nur wer mit dem Herzen sieht,
Sieht den Himmel und die Höll.
Oh, du fehlst mir, Maribel.


Gern gelesen!  :)

LG, eKy


Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Seeräuber-Jenny

Re: Erinnerung
« Antwort #2 am: August 19, 2021, 22:47:11 »
Hi Erich,

danke für deinen Kommentar und deine Kritik. Habe das Gedicht daraufhin etwas umgeschrieben. Es war nicht so einfach, solch eine komplexe Persönlichkeit in ein paar Zeilen zu beschreiben, noch dazu in einem sich reimenden Akrostichon und nicht allzu platt. Nunmehr steht im Gedicht statt des bunten Kleides eine Aufzählung von Maribels Charaktereigenschaften.

"Metrische Unwucht", naja. Das "und" war mir zu vorgerückter Stunde verloren gegangen, "anzieht", war nicht schön und nicht metrisch, aber sonst?

Die "Nacht" erscheint zweimal, weil ich sie besonders betonen wollte. Was mein Anliegen war, wird glaube ich in der Überarbeitung deutlich. Jene Nacht des 10. August, als Maribels Tod bekannt wurde, war eine rabenschwarze Nacht, nicht nur für mich. Die Dichter, die politisch engagierte Madrider Gemeinde, ihre Freunde, ihre Tochter und Söhne trauern um sie.

"Schlicht, intim, kritisch und kämpferisch, diese Eigenschaften spiegeln sich in ihrer sozialen Poesie wider." So charakterisierte ihr Verlag ihre Dichtung. Als schlicht empfinde ich ihre Gedichte jedoch ganz und nicht, vielmehr als tiefgründig, vielschichtig, poetisch, was ich euch gerne präsentieren würde, aber sie sind schwer zu übersetzen.

Kennen gelernt hatten wir uns auf der Cita de la Poesía in Berlin, als Maribel bei mir zu Gast war. Ich mochte ihre ruhige, besonnene Art, ihr umfassendes Wissen über die Geschichte Spaniens, ihre Haltung, auch ihre Wut, die ihrer Liebe zu den Menschen entsprang. Sie stammte aus der Extremadura. Die Härte, Ungerechtigkeiten und Entbehrungen, denen die Arbeiter in dieser kargen Gegend ausgesetzt waren, hatten sie geprägt und zur Kämpferin werden lassen.

Sie war immer unterwegs, zu einer Lesung oder zum nächsten Treffen, bepackt mit Aktenordnern, denn sie engagierte sich in zahlreichen kulturellen und politischen Projekten. Sie war u.a. aktives Mitglied im Ateneo von Madrid mit seiner großen Bibliothek, durch das sie mich voller Stolz führte. Auf unseren Streifzügen zeigte sie mir ein schönes Viertel, dessen Straßen nach den großen spanischen Dichtern benannt sind. Sie machte mich auch auf das Denkmal des Blutbades von Atocha 1977 aufmerksam, als fünf gewerkschaftlich organisierte Anwälte einem Attentat zum Opfer fielen und vier weitere schwer verletzt wurden. Im Cine Dore, dem ältesten Kino der Stadt, sahen wir einen berührenden Film über ein Transmädchen. Sie führte mich durch die Arbeiterviertel, lud mich in Cafes und Kulturhäuser ein, beschenkte mich mit Büchern, die sie geschrieben hatte, mit Ohrringen aus Keramik, die ihre Tochter kreiert hatte, mit einer köstlichen spanischen Mandeltorte und mit ihrer Gastfreundschaft.

Ab und zu telefonierten wir, aber sie sprach sehr schnell, so dass ich leider wenig verstand. Bei unseren persönlichen Begegnungen war es leichter. Gerne hätte ich sie nach der Pandemie noch einmal wiedergesehen, doch es war uns nicht vergönnt.

Lieben Gruß
Jenny

« Letzte Änderung: August 20, 2021, 00:17:14 von Seeräuber-Jenny »
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Carl Schurz

Erich Kykal

Re: Erinnerung
« Antwort #3 am: August 20, 2021, 08:07:46 »
Hi Jen!

Danke für die Info zu Maribel. Wenn ich je gewusst hatte, wer sie war, so war es mir wohl irgendwann entfallen. Woran starb sie? Altersbedingt oder gar Corona?

LG, eKy
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Seeräuber-Jenny

Re: Erinnerung
« Antwort #4 am: August 21, 2021, 02:06:42 »
Hi Erich,

du kanntest Maribel nicht und ich habe sie, glaube ich, auch im Forum nicht erwähnt. Sie war nicht online unterwegs, hatte weder PC noch Handy. Wir kamen auf diversen Dichtbegegnungen in Spanien und Berlin zusammen und freundeten uns an. Woran sie starb, weiß ich nicht, ich wollte ihre Tochter, mit der ich schriftlich verkehre, nicht gleich ausfragen. Aber ich nehme an, es war Krebs. Ich habe Fotos von ihrer letzten Lesung gesehen. Da war sie ganz dünn, nur noch ein Schatten ihrer selbst. So wie mein liebes Katerchen, das Krebs hatte.

Einen Eindruck von ihr bekommst du, wenn du dieses Video anschaust, das Antonio Ruiz Pascual zusammengestellt hat. Sein Gedicht ist zwar auf Spanisch, aber das macht nichts. Es lohnt sich schon wegen der Bilder.

https://www.youtube.com/watch?v=WS0IEOMNjGU&lc=z22ltvy4ewy2t1ussacdp430bel50bbm4mavuebnkmhw03c010c

Lieben Gruß
Jenny

« Letzte Änderung: August 21, 2021, 02:17:44 von Seeräuber-Jenny »
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Carl Schurz

Erich Kykal

Re: Erinnerung
« Antwort #5 am: August 21, 2021, 10:46:55 »
Hi Jen!

Danke für den Einblick. Da sie spanisch schrieb, war sie mir verständlicherweise nicht geläufig - nicht, dass sie es gewesen wäre, hätte sie deutsch geschrieben. Du weißt, ich lebe sehr zurückgezogen, und abgesehen vom Forum hier fern aller Welt. In eine Literaturszene war ich nie involviert - wenn überhaupt, habe ich sie mir selbst gemacht: Unsere Dichtertreffen.

Mein Beileid für deinen Verlust.

LG, eKy
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Seeräuber-Jenny

Re: Erinnerung
« Antwort #6 am: August 23, 2021, 02:26:03 »
Hi Erich,

vielen Dank. Ich vermisse Maribel, die so fröhlich und gütig war, von der ich viel lernen konnte und die ich bewunderte. Gern hätte ich sie noch besser kennen gelernt, so wie unsere liebe Cyparis.

Hier in Deutschland ist die Dichterin Maribel Alonso nicht sehr bekannt, abgesehen von unserer Cita de la Poesía, die einmal im Jahr in Berlin stattfindet, und von den Anthologien, die dazu erscheinen. In Madrid ist sie in der linken Kulturszene unterwegs. Madrid wurde nach Franco wieder ein Zentrum europäischer Kultur. Es gibt viele Künstler aus aller Welt, viele schöne Veranstaltungsorte und ein sehr interessiertes Publikum.

Ja, unsere Dichtertreffen bei dir und bei Cypi, die vermisse ich. Manchmal sehe ich mir die Fotos an und schwelge in Erinnerungen.

Lieben Gruß
Jenny
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Carl Schurz

Erich Kykal

Re: Erinnerung
« Antwort #7 am: August 23, 2021, 11:58:47 »
Hi Jen!

Ja, das waren gute Zeiten! Der guten Cypi hätte ich noch viele Jahre bei Gesundheit vergönnt, auch wenn sie ihre Ecken und Kanten hatte und nicht jeder mit ihr konnte - aber das trifft auf mich ja genauso zu (oder fast jeden, möchte ich meinen ...).
Unsere "Kernmannschaft" , die sich bald herauskristallisiert hatte, hat sich immer gut vertragen, mit den wechselnden Extragästen hatten wir zuweilen weniger Glück ... - da hat oft irgendetwas dann doch nicht so recht gepasst. Aber wir hatten doch bis zuletzt Zuwachs - oder hätten ihn gehabt, wenn ich alle Anfragen "unter vier Augen" positiv bescheidet hätte. Aber ich wollte es immer überschaubar halten, quasi eine Freundesrunde an nur einem Tisch.

Als feststand, dass Cypi nie wieder würde kommen können, und als mir das Ganze ohnehin zu "groß" zu werden drohte, und mir ohnehin die Ausflugsziele in der Umgebung auszugehen begannen, habe ich die Serie beeendet. Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist ...

LG, eKy



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Seeräuber-Jenny

Re: Erinnerung
« Antwort #8 am: Oktober 06, 2021, 03:56:18 »
Hi Erich,

ach, waren das herrliche Zeiten! Danke, dass du unser Gastgeber warst und uns deine schöne Heimat gezeigt hast. Wie schön waren auch die gemütlichen Abende, als wir uns am Tisch unsere Gedichte vorlasen, draußen unterm Sternenhimmel saßen und den Glühwürmchen zusahen.

Doch ohne cyparis macht alles halb so viel Spaß. Nie mehr werde ich sie nachts in ihrem Zimmer besuchen, um mit ihr heimlich zu trinken und zu rauchen und stundenlang über Gott und die Welt zu reden.

Lieben Gruß
Jenny
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Carl Schurz

Erich Kykal

Re: Erinnerung
« Antwort #9 am: Oktober 06, 2021, 11:31:58 »
Hi Jen!

Echt? Hab ich gar nicht mitgekriegt, dabei war ihr Zimmer gleich neben meinem! Na, ich hätte es euch ohnehin gegönnt, respektive hätte gar nicht das Recht gehabt, erwachsenen Gästen vorzuschreiben, wann sie zu Bett zu gehen haben. Was auch immer ...

Ja, es war schön, auch wenn manche Gäste nur einmal da waren, aus welchen Gründen auch immer. Auch wenn es mit manchen im Nachhinein Streit gab und man sich entzweite.
Auch ich habe diese Tage genossen. Wenn nur die Entfernungen nicht so groß wären, man würde sich wohl öfter noch und leichter treffen. Ich werde jedenfalls nirgendwohin mehr verreisen, schon aus gesundheitlichen Gründen.

LG, eKy
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