Autor Thema: Der Student und das Mädchen  (Gelesen 1673 mal)

Seeräuber-Jenny

Der Student und das Mädchen
« am: Oktober 10, 2021, 00:45:08 »
Sie trafen sich auf einem Fest
und riefen: "Hoch die Tassen!"
Sie tanzten ausgelassen,
ein Glas Absinth gab ihr den Rest.

Er war ein hübscher junger Mann
mit schmalen blassen Händen.
Sie wollte sich verschwenden
und nahm ihn mit sich irgendwann.

Sie wurde wach in seinem Arm,
er sah auf sie hernieder.
Gleich liebten sie sich wieder.
Sein Körper war so weich und warm…

Er hatte Witz, er hatte Geist
und keinen Cent auf Tasche,
griff jeden Tag zur Flasche.
Doch sie verzieh es ihm zumeist.

Sie ging zur Arbeit früh um fünf,
er schlief noch wie ein Engel
und war doch nur ein Bengel.
Stumm stopfte sie ihm seine Strümpf.

Die Liebe, sie macht dumm und blind.
Sie stellte keine Fragen,
wollt alle Last ertragen.
Dann hieß es, sie bekäm ein Kind.

Da machte er sich flink hinweg
und kehrte niemals wieder.
Nachts sang sie Wiegenlieder
und kam sich vor wie ein Stück Dreck.

Der junge Mann ist beim Papa
dann flugs zu Kreuz gekrochen
und schon nach ein paar Wochen
war eine Braut mit Mitgift da.

Sie feierten ihr Hochzeitsfest
mit Pauken und Trompeten.
Er kam nicht mehr zum Beten,
sechs Schüsse gaben ihm den Rest.

Nun wiegt sie sacht ihr kleines Kind
in ihrer dunklen Zelle.
Ein Lied, vergnügt und helle,
trägt in die Nacht hinaus der Wind.
« Letzte Änderung: Oktober 11, 2021, 21:44:25 von Seeräuber-Jenny »
Ideale sind wie Sterne. Wir erreichen sie niemals, aber wie die
Seefahrer auf dem Meer richten wir unseren Kurs nach ihnen.
Carl Schurz

Erich Kykal

Re: Der Student und das Mädchen
« Antwort #1 am: Oktober 10, 2021, 13:22:21 »
Hi Jen!

Die Gretchenfrage - mal anders gelöst!

So biel ich für die Gleichberechtigung übrig habe - diese Lösung wäre mir denn aber doch allzu drastisch. Todersurteil, bloß wegen jugendlicher Verantwortungslosigkeit und mangelnder Empathiefähigkeit ... das ist mir zu drastisch. Das Mädel hätte sich mal rechtzeitig Gedanken machen können über den Charakter ihres Stechers, den sie sich freiwillig aufgeladen hat! Wo war da die Selbstverantwortlichkeit der "weiblichen Rolle"?

Und dann so eine "Rache"? Völlig überzogen! Flucht vor der Einsicht in die eigene soziale Unfähigkeit? Klar, der Typ war ein Ekel - aber sie ist es in meinen Augen nicht minder.

Gern gelesen!

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Der Student und das Mädchen
« Antwort #2 am: Oktober 10, 2021, 13:31:27 »
Liebe Jenny,

hier wurde endlich Faust und nicht das Baby und kaum das Gretchen geopfert. So ist es gerechter. Danke!

Amüsiert und freudig gelesen.
Grüße von gummibaum

Erich Kykal

Re: Der Student und das Mädchen
« Antwort #3 am: Oktober 10, 2021, 13:43:38 »
Hi Gum!

Um beim Faust zu bleiben: Was Gretchen in den Wahnsinn zwang, und das Baby in den Tod, war letztlich NICHT Faustens Gleichgültigkeit (oder vielmehr Unwissenheit dank Mephisto's Ränken), sondern das Gesellschaftsbild der damaligen Zeit, das alle jene, die nicht den engen, herzlosen religiösen Regeln und der gültigen Verhaltensdoktrin folgten, ausstieß, demütigte und brandmarkte.
Es war die geifernd zelebrierte Gerüchteküche der selbstgefälligen "Jungfern" und bitterbösen Weiber, die herablassende Grausamkeit der Priester und anderer Richtungsweiser, die einer unverheiratet Schwangeren das Leben zur Hölle machten, sie als Schlampe, als "lose Dirne" diskreditierten. Alle, die sich offen oder hinter erkennbar vorgehaltener Hand das Maul über sie zerrissen, lustvoll zelebrierend, dass es einen selbst nicht erwischt hatte! Von wegen Toleranz und Nächstenliebe!  ::)

Es war - wie immer - die Blindheit und Befangenheit des sozialen Systems, das eben leider NIE so sozial ist wie nötig wäre - auch heute nicht! Das verurteilt nach Oberfläche und Gerücht, nach starrem Regelkatalog und ohne Empathie für die Gezeichneten, das disst und shitstormt und zartere Seelen in den Selbstmord nötigt.

Im Lichte dieser Erkenntnis wage ich zumindest nicht, auch nur von "gerechter" zu sprechen ...

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Der Student und das Mädchen
« Antwort #4 am: Oktober 10, 2021, 14:21:14 »
Schon richtig, Erich. Das war nicht sehr differenziert, eher etwas gegen Goethe ausgeholt. Denn der hat seine Figur in Faust II ganz rehabilitiert und quasi geschwiegen, als er eine zum Tod verurteilte Kindsmörderin, vom Herzog um eine Stellungnahme gebeten, vielleicht hätte retten können.

Grüße von gummibaum

 

 

Curd Belesos

Re: Der Student und das Mädchen
« Antwort #5 am: Oktober 10, 2021, 20:31:30 »
Moin Erich.
hi gummibaum,
sehr interessant , eure Einlassungen zu dem Gedicht,
doch junges heißes Blut, dass wild in Maiennächten wallt,
glaubt gern, was Mann vor dem Orgasmus lallt,
auch wenn Frau weiß, dass er nur Unsinn spricht.
 ::)
 >:D
LG
Curd aus der Versenkung  O0
Nur wenn du frei bist " IF " ....dann bist du ein Mensch

Seeräuber-Jenny

Re: Der Student und das Mädchen
« Antwort #6 am: Oktober 11, 2021, 12:39:27 »
Hi Erich,

die Verzweiflungstat einer Frau. OK, die Motive könnten vielleicht plakativer herausgearbeitet sein.

In der Regel wurde eine Frau, die ihren (Ex-)Partner umbringt, vorher selbst zum Opfer, musste häusliche Gewalt erleiden, wie Ruth Ellis, die letzte Frau, die im Jahr 1955 in GB hingerichtet wurde. Die nicht einmal, wie meine Protagonistin, ihr Kind bekommen konnte, weil der Erzeuger es aus der Schwangeren herausgeprügelt hat. Oder die Frau gerät an einen Taugenichts, der auf ihre Kosten ein Schmarotzerleben führt, zuerst lieb und nett ist, sich dann gehen lässt und sie schlecht behandelt. Und sie sitzen lässt, sobald es „Probleme“ gibt und sich eine bessere Gelegenheit bietet. Dann ist die Geduld am Ende, und manchmal nimmt es ein böses Ende.

Es stimmt, das Schicksal der Protagonistin ist kein individuelles Schicksal. Dahinter steht eine Gesellschaft, die immer noch der Frau die Rolle der Dulderin zuweist. Sicher, der Kampf der Frauen um ihre Emanzipation hat bereits Früchte getragen. Schritt für Schritt geht es voran. Doch sind es immer noch vor allem privilegierte Frauen, die in den Genuss dieser Errungenschaften kommen. Es gibt noch viel zu tun. Weltweit.

Lieben Gruß
Jenny

***

Lieber gummibaum,

ja, dieses Mädchen hat für Gerechtigkeit gesorgt und frohen Mutes das Urteil ertragen. Weil keiner ihr hätte helfen können, verübte sie Selbstjustiz.

Lieben Gruß
Jenny
Ideale sind wie Sterne. Wir erreichen sie niemals, aber wie die
Seefahrer auf dem Meer richten wir unseren Kurs nach ihnen.
Carl Schurz

Agneta

  • Gast
Re: Der Student und das Mädchen
« Antwort #7 am: Oktober 11, 2021, 18:54:28 »
eine Ballade, die berührt, liebe Petra. Tragisch.
das Ende ist ein selbstzerstörerisches und noch traurigeres. Aber was Menschen in ihrer Verzweiflung tun, kann man nie wissen.
Schön, dass das Forum wieder läuft. Danke dafür! ;D
LG von Agneta

Seeräuber-Jenny

Re: Der Student und das Mädchen
« Antwort #8 am: Oktober 11, 2021, 21:00:01 »
Liebe Agneta,

ja, in der Verzweiflung sind Menschen zu vielem fähig. Ich hätte auch schon mal jemanden am liebsten ermordet. Hätte es natürlich nicht getan, aber der Gedanke war zumindest da.

Lieben Gruß
Jenny

« Letzte Änderung: Oktober 11, 2021, 21:03:15 von Seeräuber-Jenny »
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Carl Schurz