Autor Thema: Geisttötend  (Gelesen 529 mal)

Erich Kykal

Geisttötend
« am: Juli 26, 2021, 11:29:29 »
Gott

Ich sehe Kinder artig ihre Häupter neigen,
bereits betäubt von der Gewissheit des Gewussten
in ihrer Fantasie und ihrem Halbbewussten,
um Heiligen an Unterwürfigkeit zu zeigen,

die sie für die Legende angebracht empfinden,
an die sie glauben ohne jedes Hinterfragen.
So mancher tut nur so, doch möchte er nichts sagen,
als könnten andrer Blicke über ihn befinden,

die willentlich sich dem Gemeinschaftsgeiste fügen,
dass man zu glauben habe, um ein Mensch zu werden,
und anders nichts erhoffen dürfe hier auf Erden,
und müsste man dafür sogar sich selbst belügen!

Allah

Ich sehe Kinder geistlos hin und wider wanken,
wenn stundenlang sie täglich ihre Suren singen,
als könne wahrhaft echter Glaube nur gelingen
durch die Ermordung aller wacheren Gedanken.

Dahinter steht ein Bärtiger mit seinem Stecken,
der alle prügelt, die nicht fehlerlos erlernten,
was einzig nur zu gelten habe den entkernten
Gemütern, die an ihrer „Seligkeit“ verrecken,

verordnet von Versteinerten in ihrem Denken,
die nichts mehr gelten lassen können als das Ihre,
als wären alle anderen nicht mehr als Tiere,
und tun, als dürfe nur ihr Gott die Welt beschenken!

Jahwe

Ich sehe Kinder, schwarz behütet und mit Locken,
die luftig links und rechts vor ihren Ohren baumeln,
so ernst, als brächte jedes Lächeln sie ins Taumeln
und müsse sie zu loser Sündigkeit verlocken,

für die ihr Herr sie tadeln würde und bestrafen,
im Wissen, dass ein Gläubiger sich nur vergeude
mit Sehnsucht nach Erheiterung und Lebensfreude,
und den Entscheidungen, die ohne Gott sie trafen.

So folgen sie dem Geiste ihrer stummen Väter,
Geschlagene an Willen und auch oft am Leibe,
auf dass ein Fremdes ihre Lebensbücher schreibe
und willig füge in den Murmelkreis der Täter.
« Letzte Änderung: M?RZ 02, 2022, 22:39:53 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Agneta

  • Gast
Re: Geisttötend
« Antwort #1 am: Juli 28, 2021, 18:36:31 »
ein fantastisches Sonett-Trio, lieber Erich, das die Institutionen des Glaubens kritisch beleuchtet. Interessant für den Leser ist die Erkenntnis, dass die anerkannten Weltreligionen, die du benennst und die ja derselben Wurzel , dem Talmut , entspringen, alle drei dieselbe Machtstrukturen in ihren Institutionen aufgebaut haben. Dies war im Gegensatz zu Sekten nur deshalb möglich ( wir sprachen oft darüber), weil diese drei eben gesellschaftlich anerkannt waren und sind.
So wird der Glaube seiner eigenen Religion entfremdet und widerspricht sich im Grunde in Lehre und Tat selbst. Kein Wunder ( Vorsicht Wortspiel >:D), dass viele den Atheismus vorziehen.
Ich selbst habe, wie auch bekannt ist, meinen eigenen Weg gefunden, im Glauben zu leben, ohne mich einer Institution unterwerfen zu müssen. Mein Verhältnis zu Gott ist nicht das Schlechteste, auch wenn ich seinen Institution ablehne.  ;D
Auch, wenn ich deine Gedanken schon lange kenne, so finde ich doch die Abrechnung in einem Trio als Sonette höchst gelungen.
LG von Agneta

Erich Kykal

Re: Geisttötend
« Antwort #2 am: Juli 28, 2021, 21:17:50 »
Hi Agneta!

Zuerst mal - es sind keine Sonette, sondern normale Dreistropher, Quartette mit umarmenden Reimen.

Und inhaltlich? Religionen sind IMMER als Machtinstrumente missbraucht worden, als Mittel zu Indoktrinierung, Unterdrückung und Kontrolle. Da konnte die eigentlichen Botschaften noch so altruistisch und nächstenliebend sein!

Priester derselben Religion, die auf unterschiedlichen politischen Seiten im Namen desselben Gottes die Waffen segnen und um Sieg bitten, oder Kriege, die gleich um "den rechten Glauben" geführt wurden, bis hin zum Genozid. Nur die Menschen sind willens und fähig, einander für bloße Gedankenkonstrukte und Fantasievorstellungen mit Inbrunst gegenseitig zu bekriegen, zu foltern oder mitsamt den Kindern der Unbekehrbaren auszulöschen!

Und ein Gott, der das zulässt, weil der "freie Wille" so wichtig ist? Wie würden wir einen Vater bezeichnen, der seine Kinder mit Messern ausstattet, sie als Kleinkinder auf einer einsamen Insel aussetzt, sodass sie ihn nie sehen oder hören, und wenn sie sich irgendwann gegenseitig verletzen und töten, mit den Schultern zuckt und meint: Sie hätten es ja lassen können! ? Tolles Erziehungskonzept! Wer will so einen Vater?

Aber das sind Gedankenspiele. Soweit es mich betrifft, gibt es keinen Gott. Und wenn es einen gäbe, wäre er in meinen Augen alles andere als anbetungswürdig. Punkt.
Das ist der Punkt, an dem die Gläubigen sich gern entrüsten und mir vorwerfen, wie ich mich erdreisten könne, als kleines, minderes und begrenztes Wesen die Motive Gottes verstehen zu wollen. Darauf antworte ich dann: Klein, minder und begrenzt wäre dieser Gott dann auch, hat er uns doch "nach seinem Bilde" erschaffen ...  ;D >:D

Ach, immer wieder lustig, wozu sich Bildungsmangel und fehlende intellektuelle Durchdringung multipler Komponenten der Realität versteigen!  ;)

Was mich wirklich ärgert (egal, ob es einen Gott gibt oder nicht, oder ob er wirklich auf stundenlange Gebete oder fünfmal täglichen Teppichfall steht), ist die Neigung so vieler Menschen, sich kritiklos zu unterwerfen, ja sich ihrem jeweiligen Gott geradezu anzubiedern. Hört man manche christlichen Gebete, ist man nur erschüttert über so viel speichelleckende Schleimerei für einen Platz im eingebildeten Paradies! Ich sage nur: Wenn es ein Paradies gibt und es tatsächlich voll mit genau solchen Typen und Typinnen ist - dann ist mir persönlich die Hölle schon mal lieber!  ::) >:(
Und ich denke mal, in anderen Religionen wird es nicht viel anders sein, was "Demut, Hingabe und Gottesfurcht" aus dem freien Willen von Menschen machen!

Spätestens alle zweitausend Jahre eine neue "ultimative Wahrheit" von Weltgeltung über den Sinn des Universums und aller Existenz, und keiner der "Durchglühten" kommt auf die Idee, dass man diesmal WIEDER falsch liegen könnte! Idioten!
Aber um Wahrheit im objektiven Sinne geht es bei Glaubenssachen ohnehin nicht, sonst gäben all die logischen Widersprüche in den heiligen Büchern den Menschen mehr zu denken - aber genau das, das Denken, ist ja verboten, wenn man "dazugehören" will, oder?

Alle Weltreligionen haben per definitionem als Sekten angefangen, wo sich ein kleiner Klüngel eingebildeter Prophetenfußküsser im elitären Bewusstsein suhlen konnte, besser und edler zu sein als all die Ungläubigen außerhalb - und nur der Zufall der Geschichte oder der Fanatismus der Jünger entschieden über Erfolg oder Vergessen.
Ab einer gewissen Größe solcher Glaubensgemeinschaften tendieren simple Gemüter gern dazu zu denken, dass allein diese unglaubliche Masse an Gläubigen einfach nicht irren könne - der soziale Sog solcher Konstrukte wird immer zwingender.

Und irgendwann dürfen sie darüber bestimmen, was Wahrheit ist und sein muss ...

Wie viele Jahr(zehn)tausende muss es wohl noch dauern, bis die Menschheit dank weiterer geistiger Evolution endlich als Gesamtheit keine Weihnachtsmänner für Erwachsene mehr nötig hat?


Seufzende Grüße. eKy
« Letzte Änderung: M?RZ 02, 2022, 22:46:25 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Agneta

  • Gast
Re: Geisttötend
« Antwort #3 am: Juli 31, 2021, 18:34:26 »
also, ich mag die aber aus Schokolade mit Nuss,,, >:D
hast schon recht irgendwie. Aber ich will es nicht so extrem sehen.
LG von Agneta

Erich Kykal

Re: Geisttötend
« Antwort #4 am: Juli 31, 2021, 18:41:52 »
Hi Agneta!

Extrem aus welcher Sichtweise?  ;)

Es ist das aufgeräumte Universum aus rein naturwissenschaftlicher Sicht, dem ich folge. Mag sein, wir haben noch lang nicht alles erforscht, aber je mehr ich lerne, desto unwahrscheinlicher erscheint mir das Wirken einer bewusst handelnden höheren Macht im gesamten Universum.

Und im Gegensatz zu vielen anderen Menshen kann ich gut damit leben.  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Geisttötend
« Antwort #5 am: August 19, 2021, 11:00:13 »
Die monotheistischen Religionen haben etwas besonders Unduldsames und entziehen ihren Gott durch Absolutsetzung der Hinterfragbarkeit (in seinem Namen ist daher alles möglich). Schön, dass du sie gemeinsam behandelst und ihre gleichen Wirkungsmechanismen zeigst, lieber Erich.

Der Umgang mit der Angst, einer kreatürlichen Grundlage, kann sehr wohl ohne Glaube bewältigt, zur Anerkennung einer gewissen Gleichheit der Lebewesen und zu ihrer Unterstützung statt Ausrottung genutzt werden.

Grüße von gummibaum

     

 

Erich Kykal

Re: Geisttötend
« Antwort #6 am: August 19, 2021, 12:23:03 »
Hi Gum!

Wahre Worte - vielen Dank dafür!  :)

Das Prinzip der Verunmöglichung von Hinterfragbarkeit ist ein Grundmoment aller Religion - das "gemeinsam Gewusste" ist ein wesentlicher sozialer Kitt der Gemeinschaft, und wer das öffentlich anzweifelt, bedroht den Zusammenhalt der ganzen Gemeinschaft - da kennt man kaum Gnade!
Vergleicht man so eine Gemeinschaft mit einem Lebewesen, käme der Versuch der Aufklärung einer versuchten Häutung bei lebendigem Leibe gleich. Natürlich schlägt die Kreatur um sich mit allem, was sie hat!
Lieber dumm oder unmündig bleiben, aber geborgen in der Gemeinschaft, als klar zu denken - und womöglich allein zu sein.

Beinahe-Autisten wie ich kennen es kaum anders und kommen gut damit zurecht, verglichen mit den Gemeinschaftshörigen - vielleicht fällt es uns deshalb leichter, die erkennbaren Wahrscheinlichkeiten objektiver zu gewichten: wir brauchen auf niemandes Empfindlichkeit Rücksicht zu nehmen, um gemeinschaftstauglich zu bleiben - um jeden Preis!

LG, eKy
« Letzte Änderung: April 19, 2024, 14:09:51 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
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