Autor Thema: Im Sommerwind  (Gelesen 2386 mal)

Sufnus

Im Sommerwind
« am: August 02, 2018, 15:21:07 »
Im Sommerwind

Der Sommer senkt sich aufs Jahr
und brütet vergangene Zeit
aus Erinnerungen: Es war
zu schön für die Wirklichkeit.

Und notreif beugt sich das Korn.
Die Hoffnung aufs Frühjahr zerstiebt:
Wir finden kein Nochmal-von-vorn,
das Glück gleicht der Spreu und verfliegt.

Denn wir sind, was verrinnt
und was morgen beginnt,
ist heute noch lange nicht wahr.

Und der Wind geht durchs Feld,
den zur Welt nichts mehr hält,
so hell weht Dein goldenes Haar.
« Letzte Änderung: August 05, 2018, 18:24:12 von Sufnus »

Erich Kykal

Re: Im Sommerwind
« Antwort #1 am: August 02, 2018, 23:20:57 »
HI Suf!

Die Quartette haben unbetonten Auftakt, die Terzette betonten - aber über Auftakte usw. wollen wir hier kein Wort verlieren. Das Sonett ist unkonventionell und das ist okay so. Es liest sich sehr flüssig, der Duktus ist stark beschleunigt.

Einzig in S2Z1 und Z2 würde ich jeweils das "die" streichen. Das reduziert die Silbenanzahl der Zeilen, ohne den Inhalt zu verfälschen, und man muss die Lesegeschwindigkeit nicht erhöhen, um im Takt zu bleiben.
Als Alternative, um das "und" nicht wiederholen zu müssen, könnte man auch in Z1 das "und" streichen und den Satz mit "Die Hitze ..." beginnen.

Gern gelesen!

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Agneta

  • Gast
Re: Im Sommerwind
« Antwort #2 am: August 04, 2018, 12:49:10 »
schöne Bilder, Sufnus, wenn auch melancholisch- nachdenklich. Wir können immer nur nach vorn blicken. Das Schlussbild gefält mir gut.
Ansonsten schließe ich mich der formalen Kritik von Erich gerne an.
LG von Agneta

cyparis

Lieber Sufnus,
« Antwort #3 am: August 04, 2018, 13:31:28 »
sei herzlich willkommen auf der Wiese.
Wir sind ein kleines Klübchen engagierter und hin und wieder obsessiver Poeten.
Ich wage zu behaupten, daß kein anderes Dichterforum ein so hohes Niveau hat wie die Wiese!
Du wirst Dich wohlfühlen!

Dein Sonett ist sehr ansprechend und das "helle" Ende bezaubernd.
Ich selbst habe vor den und s am Versanfang keine Scheu, im Gegenteil.
Ich freue mich über den neuen Wiesenbewohner

und grüße Dich ganz herzlich!

Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Sufnus

Re: Im Sommerwind
« Antwort #4 am: August 05, 2018, 14:24:57 »
Lieber eKy, liebe Agneta (Dich kenne ich auch vom "Eiland", oder?), liebe Cyparis,

vielen lieben Dank für die freundlichen Kommentare und die Anmerkungen! :)

Interessant, Erich, dass Du die Terzette (zumindest Z1 & Z2) trochäisch liest - vollkommen stimmig, aber mir war das gar nicht aufgefallen, ich hatte die Z1 und Z2 der Terzette mit zwei unbetonten Silben, Anapäst-mäßig, aufgefasst. :) Wenn ich jetzt drüber nachdenke, kann man jeweils Z1 der Terzette sogar, wenn man je eine kleine Zäsur nach "Wind" und "sind" einbaut, mit Hebungsprall als Kretikus lesen... war allerdings nicht unbedingt so "konzipiert". :)

Ansonsten habe ich zwecks Versuch einer Lese-Verflüssigung, ungefähr an Erichs Anmerkungen mich entlanghangelnd, nochmal etwas nach(verschlimm?)gebessert:

Alte Version:
Und die Hitze beugt notreif das Korn,
und die Hoffnung aufs Frühjahr zerstiebt:

Neue Version:
Und notreif beugt sich das Korn.
Die Hoffnung aufs Frühjahr zerstiebt:

Was meint Ihr? Besser? Schlechter? Völlig egal?  :)
« Letzte Änderung: August 05, 2018, 18:24:23 von Sufnus »

cyparis

Re: Im Sommerwind
« Antwort #5 am: August 07, 2018, 11:18:49 »
Nur eine Anregung, lieber Sufnus -

und der Hitze beugt sich notgereift das Korn
,

aber wer bin ich, einen so versierten Dichter wie Dich anregen zu wollen.
Dein Beitrag auf Erichs Kommentar ließ mich Maulaffen feilhalten.
Vor Ehrfurcht.
Du bringst Begriffe und "Formalien", die ich mein Lebtag nicht gelernt habe.

Total verschüchtert:
Cyparis



Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Sufnus

Re: Im Sommerwind
« Antwort #6 am: August 07, 2018, 14:29:02 »
Hi Cyparis!
Lass Dich ja nicht von meinem Gelaber einschüchtern - ich hoffe, Du meintest das ein klein bisschen ironisch?  8) - mit meiner Theoretibusterei dokumentiere ich lediglich, dass ich kein lyrisches "Naturtalent" bin, sondern mir das Gedichteschreiben in hartnäckiger Auseinandersetzung mit den Grundlagen und Konzepten des Dichtens mühsam erarbeiten muss... also gibts überhaupt keinen Grund, sich davon beeindrucken zu lassen. :) Auf der anderen Seite glaube ich, dass ein kleiner Einblick in die Theoriegebäude auch einem natürlich lyrisch Begabten nicht gravierend schadet... man muss es ja nicht übertreiben.  :)
Und "notgereift" gefällt mir tatsächlich viel besser als "notreif"... da bastel ich gerne nochmal dran rum! Vielen Dank dafür! :)

cyparis

Hei, Sufnus -
« Antwort #7 am: August 09, 2018, 07:26:49 »
hab vielen Dank für Deine lieben Zeilen, die mir sagen, daß noch nicht alles verloren ist! ;)


Vielleicht kann ich mir ja irgndwann die Theorie aneignen?  Leider habe ich nicht mehr viel Zeit dazu.
Dennoch  freue ich mich immer, wenn dem Gedicht zumindest  e i n   lobendes Wort gilt.

Dem Guten nachjagende Grüße
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re: Im Sommerwind
« Antwort #8 am: August 10, 2021, 10:14:49 »
Im Sommerwind

Der Sommer senkt sich aufs Jahr
und brütet vergangene Zeit
aus Erinnerungen: Es war
zu schön für die Wirklichkeit.

Und notreif beugt sich das Korn.
Die Hoffnung aufs Frühjahr zerstiebt:
Wir finden kein Nochmal-von-vorn,
das Glück gleicht der Spreu und verfliegt.

Denn wir sind, was verrinnt
und was morgen beginnt,
ist heute noch lange nicht wahr.

Und der Wind geht durchs Feld,
den zur Welt nichts mehr hält,
so hell weht Dein goldenes Haar.

xXx_XxxX
xXxxXxxX
xxXx_XxxX
xXxxXx_X

xXx_XxxX
xXxxXxxX
xXxxXxxX
xXxxXxxX

xxXxxX
xxXxxX
xXxxXxxX

xxXxxX
xxXxxX
xXxxXxxX


Hi Suf!

Es lässt mir keine Ruhe - ich MUSS das einfach metrisch ein wenig glätten! So ein wunderschönes Gedicht hat in meinem Augen ein Gleichmaß verdient!

Der Sommer, er senkt sich aufs Jahr
und brütet Vergangenes aus -
Gedenken an uns. Sag, es war
zu schön für die Lehre daraus.

Und notreif verbeugt sich das Korn.
Die Hoffnung aufs Frühjahr zerstiebt:
Wir finden kein Nochmal-von-vorn,
das Glück gleicht der Spreu und verfliegt.

Denn wir sind, was verrinnt
und was morgen beginnt,
ist heute noch lange nicht wahr.

Und der Wind geht durchs Feld,
den zur Welt nichts mehr hält:
So hell weht Dein goldenes Haar.


xXxxXxxX
xXxxXxxX
xXxxXxxX
xXxxXxxX

xXxxXxxX
xXxxXxxX
xXxxXxxX
xXxxXxxX

xxXxxX
xxXxxX
xXxxXxxX

xxXxxX
xxXxxX
xXxxXxxX


So hätte das Werk einheitlichen Takt - bis auf die Terzette, aber das wird in beiden wiederholt und darf so als lyrisches Stilmittel gelten. Es gefällt mir auch sehr gut so - also von wegen, ich könnte mit Abweichungen gleich welcher Sorte nicht leben!

Sehr gern erneut gelesen und ein wenig dran gebastelt.  :)

LG, eKy
« Letzte Änderung: August 10, 2021, 10:39:11 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Im Sommerwind
« Antwort #9 am: August 10, 2021, 10:48:56 »
Hi eKy!
Lieben Dank fürs Ausgraben und die Glättungsarbeiten!
Ich muss aber sagen: Meine Version find ich eindeutig sprachschöner - solche Füllwörter wie das eingefügte "er" in der ersten Zeile sind für mich eher gruselig und das illustriert sehr genau, was ich andernorts schon schrieb: Der Versuch eines metrisch völlig gleichförmigen Schreibens kann einem Gedicht auf der sprachlichen Ebene sogar schaden und auch die Bildhaftigkeit des Ausdrucks vermag unter dem Metrumdiktat zu leiden.
Natürlich ist dem nicht zwangsläufig so - ganz wunderbar ist es, wenn Gleichmäßigkeit und Sprachschönheit in eins gehen! Sollte man aber die Qual der Wahl haben, dann empfehle ich dringend, dem schönen Ausdruck das Primat einzuräumen. :)
Und schließlich: Eine metrische Irregularität kann sogar belebend für einen Text wirken, genauso wie in der Musik ein rhythmischer "Ausreißer" für Spannung zu sorgen vermag.
Das ist eine verzwickte Sache mit der Ästhetik: Wann ist eine Abweichung ein Gewinn für das Ensemble und wann schadet sie dem Gesamteindruck? Eine einfache (aber unvollständige!) Erklärung kann anhand des Zahnlückenbeispiels erfolgen. Im Allgemeinen ist eine Zahnlücke ein "technischer" Makel; wenn die Lücke aber von einem Schmollmund und ansonsten gepflegten Zähnen umrahmt wird (Vanessa Paradis), dann wird daraus plötzlich eine Markenzeichen und etwas Positives. Eine "Macke" wirkt also wie eine Art Highlighter und wenn das Drumherum, auf welches der Blick dank dieses Highlighters fällt, zu gefallen weiß (Vanessas schöner Mund) dann geht die ästhetische Rechnung wunderbar auf. Allerdings erklärt diese Theorie noch nicht, warum manchmal auch etwas ästhetisch funktioniert, obwohl es aus lauter kaputten Einzelteilen zusammengebastelt ist. Um bei den Zähnen zu bleiben: Jürgen Vogel ist technisch betrachtet nicht gerade ein Adonis (no offence!), trotzdem hat er eine sympathische und gleichermaßen verletzliche wie starke Ausstrahlung, wirkt sensibel und zugleich verschmitzt-humorvoll. Ästhetik ist also wirklich eine verzwickte Angelegenheit - aber das sagte ich ja schon...
LG!
S.

« Letzte Änderung: August 10, 2021, 10:55:30 von Sufnus »

Erich Kykal

Re: Im Sommerwind
« Antwort #10 am: August 10, 2021, 11:01:39 »
Hi Suf!

Natürlich sind manche Stellen suboptimal hier, da eine metrische Korrektur, ohne den Textinhalt allzu sehr zu verschieben oder das Reimschema zu beschädigen, eben meist  Flickwerk bleiben muss! Die wahre Kunst ist es eben, schönen Ausdruck und perfektes Schema gleich von vornherein so zusammenzufügen, dass sie als Einheit wirken und einander verstärken können, anstatt sich womöglich zu behindern!
Es ist einfach, ein unrundes Werk zu schreiben und hinterher leichthin zu sagen, der schöne Ausdruck der Sprache habe für den Autor eben Vorrang vor exaktem Metrum. Ich kann mir nicht helfen - für meine Betrachtungsweise von Lyrik ist und bleibt das ein wenig wie Schummeln.  ;)

Natürlich ist mir klar, dass sich das aus deiner der lyrischen Moderne gewogeneren Sicht anders darstellt - aber ich will und kann da eben nicht folgen.  ::) Mein Fehler, schon klar ...

Jedenfalls hast du nun ein metrisch korrektes Beispiel - was immer das auch wert sein oder dir bringen mag. Für mich war es ein inneres Bedürfnis, das zu stillen ich sehr genossen habe.  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.