Autor Thema: Capriccio  (Gelesen 850 mal)

Sufnus

Capriccio
« am: Juli 15, 2021, 15:40:59 »
Capriccio

Herz umschlichen, Herz umspürt,
wer als Letzter liebt, verliert.
Jetzt macht sich die Unschuld frei:
Hilfe! Hilfe! Polizei!

Einmal durch das Leben wuscheln,
K wie klaro, kannste Kuscheln.
Dann: Aufs Kuscheln folgt Humor.
Und dazwischen: Schweigt der Chor.









« Letzte Änderung: Juli 18, 2021, 17:27:53 von Sufnus »

Erich Kykal

Re: Cappricio
« Antwort #1 am: Juli 15, 2021, 19:12:15 »
Hi Suf!

Geradezu stakkatohaft umfassen deine Zeile hier ein gesamtes "Liebesleben" im tatsächlichen Wortsinne!  ;D

Meine Deutung:

S1 - die ersten beiden Zeilen beschreiben den jugendlichen Drang nach Zweisamkeit, die (verzweifelte) Partnersuche. Die beiden weiteren Zeilen vielleicht, wie man nach ersten Erfahrungen ungebremster Wollust vom Gewissen gedrängt ein wenig zurücksteckt.

S2 - Die beiden ersten Zeilen beschreiben die Lockerheit des arrivierten erfahrenen "Lovers", der tiefe Gefühle wohl ausreichend ausgekostet hat und res nun lockerer nimmt, und die beiden letzten Zeilen meinen vielleicht einen Alten, der auf sein (abgeschlossenes) Liebesleben mit Humor zurückblickt.

Welcher "Chor" allergings "dazwischen", also während des gesamten Liebeslebens "schweigt", ist nicht eindeutig deutbar. Höhere Mächte? Stimmen des Gewissens?
Oder meint "dazwischen" die letzte Phase zwischen alternder Abgeklärtheit und greiser Impotenz? Aber welche Stimmen sollten ausgerechnet dort singen - oder schweigen? Oder steht der Chor für die "anschwellende Erregung" an sich, also die Potenz selbst, die nun versiegt ist und demgemäß schweigt?

Hier ersuche ich um Erklärung.

Interessiert gelesen!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

hans beislschmidt

Re: Capriccio
« Antwort #2 am: Juli 20, 2021, 14:24:44 »
Lieber Suf,
Interessante Gedankensprünge. Ich bin gespannt auf deine Ausführungen.
Gruß vom Hans
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

Sufnus

Re: Capriccio
« Antwort #3 am: Juli 23, 2021, 13:57:36 »
Hi Ihr beiden! :)
Freut mich sehr, dass die Zeilen für Euch von Interessanz waren! :)
Die Interpretation von eKy finde ich sehr schön! :) Wie bei dieser Sichtweise das "dazwischen" aufzufassen ist, kann ich auch nicht ganz definitiv beantworten. Es ist dabei letztlich die Frage, was das Schweigen des Chores wohl auf der Subtext-Ebene ausdrücken soll, sprich: ist es wohl ein missbilligendes oder ein verschämtes oder ein ratloses oder ein desinteressiertes Schweigen? Ich scheue davor zurück, hier eine Festlegung vor dem Hintergrund von eKys Lesart zu treffen.
Weil ich jetzt aber dreisterdings zu eKys zweiter Frage gehüpft bin, rasch zurück zu seiner ersten: Was hat man sich unter "dem Chor" vorzustellen? Ohne auch hier etwas in Stein meißeln zu wollen, habe ich an eine etwas metaphysischere Variante des Chors im antiken griechischen Drama gedacht - eine kommentierende Instanz, nicht unbedingt etwas ganz greifbares, irgendwo zwischen Über-Ich, Common-Sense und kollektivem Unbewusstem angesiedelt. :)
Und ich persönlich habe bei den Zeilen übrigens nicht an ein Liebeslebenspanorama gedacht, sondern an die Entwicklung eines konkreten Zusammenfindens zweier Seelen: Erst die scheue Anbandelungsphase und dann wird es "ernst" (der Ruf nach der Polizei mag dann als spielerisches Element augefasst werden - bitte hier nichts zu Abgründiges hineinlesen... wobei... auch in diesem Fall will ich nicht des Lesers Vormund sein... aber wer hier einen polizeiwürdigen Straftatbestand herausliest, tut dies ausdrücklich gegen die Intention des Autors ;) ). Die zweite Strophe verdeutlicht hoffentlich, dass sich hier zwei Menschen herzlich zugewandt sind. :)
Und was ereignet sich nun in jenem stillen Moment, da der Chor so sittsam schweigt? Ach... ich will das Schweigen nicht stören...
LG!
S.