Autor Thema: Die Geschichte vom liebestollen Franz G. aus Buer (Schüttelballade)  (Gelesen 1333 mal)

Friedhelm

Es schätzte einst in Buer der Franz Behagen,
man kann noch heut den Bruder Hans befragen.
Als Junggeselle war der Franz ein Schätzchen,
bis ihn becircte Hilde Schanz, ein Frätzchen.

Denn eines Tags, sagt Hans, packt Franz der Geier:
Er war bei dieser jungen Gans der Freier.
Was Kleidung anbetraf, war Franz ein Geckchen,
doch was sie trug, die junge Gans: ein Fräckchen.

Das passte gar nicht zu dem Franz: ein Gänschen,
doch ihm versprach, schimpft Hans, die Gans ein Fränzchen.
Schon trug sie um den Hals vom Franz ein Kettchen,
Wie herzig! Besser stünd der Gans ein Frettchen!

Beweist denn, lästert Hans, mein Franz, du Geist,
wenn fast mit sechzig, Franz, die Gans, du freist?
Abgöttisch liebe er, sagt Franz, die Hilde Schanz.
Sie führt gewiss auch nichts im Schilde, Hans.

Doch war das Gänschen nach dem Franz so gierig.
Denk ich, sagt Hans, an diese Gans, so frier ich.
Bald war durch Eheschwur der Franz verbunden,
doch plötzlich war aus Buer der Franz verschwunden.

Ein letztes Mahl hat noch der Franz gegessen.
Dann, munkelt man, hätt ihn die Gans gefressen.
Am Sonntag ratschten vor der Kanzel Frauen,
sie würde gar noch heut am Franzel kauen.

Zwei Jahre später kam’s im Aktenzeichen,
am Kegelclubhaus bei gezackten Eichen:
Zwei Kegler, die grad einen Kranz vergaben,
sie fanden Franz, den dort die Gans vergraben.

Ein Kriminaler, der in Vordermuhr
im Urlaub von dem dreisten Mord erfuhr,
entdeckte Hilde, sprach: Jetzt san's verhaftet!
Sie hätte fast noch Schwager Hans versaftet.
« Letzte Änderung: Juli 09, 2021, 17:22:57 von Friedhelm »

Sufnus

Lieber Friedhelm!
Das ist aber wirklich ganz (Gans) wunderbar, dass Du uns dieses schönen Schüttelwerkes teilhaftig werden lässt! Danke dafür! :)
Eine Ballade ist schon in normalem Formgewandt keine ganz so leichte Angelegenheit für den Lyriker, weil sie als erzählender Text eine zumindest minimale inhaltliche Stringenz erfordert und außerdem auch eine gewisse Länge einnimmt, so dass kurzatmigeren Lyrikadepten gerne mal narrativ und/oder Reimtechnisch zwischendurch die Luft ausgeht. Kaum eine Gedicht-Gattung hat konsequenterweise mehr unterirdischen Unsinn hervorgebracht. Wenn's aber gut geht, ist eine Ballade ein herrliches Stück Lyrik. :)
Du hast nun die formale Herausforderung noch einmal gehörig in die Höhe geschraubt, in dem Du die Form des Schüttelreims angewendet hast - kein Wunder bei Dir als altem Schüttel-Hexenmeister (Du siehst, ich bin voll im Balladenthema angekommen ;) ). Aus eigener Erfahrung musste ich lernen, dass selbst ein kurzer Vierzeiler im Schüttelformat schon eine knifflige Angelegenheit ist - in die Höhen eines ausgedehnteren erzählenden Werkes würde ich mich nicht zu begeben trauen.
Chapeau also für dieses Glanzstück!!! :)
... und eine inhaltliche Frage noch: Warum heißt der Franz mit Nachnamen G. und warum stammt er aus Buer? Übersehe ich (neben den Endschüttlern in jeder Zeile) noch weitere versteckte Schüttelreime, die sich des Buers bedienen? "Buer der" (Z1) und "Bruder" (Z2) sind zwar assonant und Eheschwur / Buer (Z19/20) bilden sogar noch ein veritables Reimpaar, aber ansonsten habe ich nichts gefunden, was eine Herkunft des armen Franz aus Buer bedingen würde. Oder stand hier gar eine reale historische Persönlichkeit Pate? :) Vielleicht bin ich aber auch gerade etwas betriebsblind... nachmittägliches Tief... ;)
LG!
S.

P.S.:
Und bei sanS würd ich eher einen Apostroph setzen, ggf. das "S" für "Sie" dabei auch klein schreiben (?): san's - bairoglotte Experten an die Front! :)
« Letzte Änderung: Juli 09, 2021, 16:35:27 von Sufnus »

Friedhelm

Vielen Dank, lieber Sufnus, für deine ausführlichen Zeilen. Die Anregung am Ende habe ich gerne umgesetzt. Buer hat für mich einen persönlichen Hintergrund, könnte aber problemlos durch einen einsilbigen Städtenamen ersetzt werden.

LG Friedhelm 

Erich Kykal

Hi Friedhelm!

Technisch gut gemacht. Mich stören halt ein paar Stellen, die doch recht zurechtgebogen und inhaltlich bemüht wirken, um noch die schüttlerische Kurve zu kriegen. Das lässt sich bei einem Werk dieser Länge und erzählerischen Stringenz wohl nicht vermeiden - aber es ist eben genau das, was mich letztlich doch ein wenig an dieser speziellen Art der Dichtkunst stört: Dass Inhalt und Sprachkonstrukt zuweilen leiden müssen, um dem vorgegebenen Regelrahmen des Schüttelns gerecht zu werden! Es gibt einfach nicht genug Möglichkeiten, alles geschüttelt auszudrücken, was man exakt sagen möchte, und so muss man eben drum herum lavieren, bemühte Bilder ersinnen, seltsame Symbole und Gleichnisse verarbeiten oder inhaltlich zuweilen recht abstruse Sinnzusammenhänge behaupten, damit der lyrische "Rahmen" korrekt durchgezogen werden kann.

Das ist auch der Grund, warum ich oft gewisse Sonettregeln ignoriere oder gar konterkariere - weil ich finde, dass sie die Sprachkunst zu sehr einengen, manches wirklich lyrisch auszudrücken sogar verunmöglichen, weil die Mittel durch zu viele Regularien allzu stark begrenzt werden, um noch sprachlich wie inhaltlich wirklich schön verwirklicht werden zu können. Ein zu enges Korsett kann atemlos machen ...  ;)

Aber natürlich hat diese Kunst - wie jede - ihre Berechtigung, findet man sich mit diesen gewissen Einschränkungen ab. Selten gelingen sogar innerhalb dieser engen Grenzen Werke, die mit einer so wortmagischen Leichtigkeit daherkommen, dass man ihnen den starren Rahmen, in dem sie bleiben mussten, gar nicht anmerkt! Da klingt nichts bemüht oder herbeigezogen, hinkonstruiert, schräg oder auf "lustig" gemacht, damit es noch funzt. Für diese paar Wundertaten der Sprache, für diese wenigen makellos gelungenen Werke haben sich jegliche Mühe und aller Aufwand gelohnt, wie ich finde!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Na eKy! :)

Wir sind ja hier alle unter uns und da darf ich vielleicht einen etwas ketzerischen Gedanken äußern, ohne dass mir Boshaftigkeit unterstellt wird: Könntes es vielleicht sein, dass die Schüttel-Lyrik Dir (von Ausnahmen abgesehen - Du weist ja sehr deutlich darauf hin) vielleicht im Allgemeinen ein bisschen fremder ist als die klassische Endreimlyrik, weil Dir ganz womöglich selbst das Verfassen von schüttelgereimten Gedichten nicht so recht gelingen will?

Bei der traditionellen Endreimlyrik bist Du ja unschlagbar, das werde ich hier und gerne bis in alle Ewigkeit (im Rahmen meiner Möglichkeiten) verkünden - da könnte man durchaus zu einem kleinen Defizit in anderen Bereichen nonchalant stehen. Immerhin habe ich noch kein einziges Schüttel-Poem aus Deiner Feder gesichtet. Nun gut, Du könntest sagen, dass Dir derlei nicht so behagt und daher der Neglect, so dass ich also jetzt Ursache und Wirkung perfide vertausche. Es war aber ein Gedanke, der mich so anwehte und den ich hiermit zur Diskussion stelle.

In dem Zusammenhang - um wirklich jeden Verdacht der Maliziosität auszuräumen - will ich gerne betonen, dass ich selbst auch nicht besonders gut darin bin, Schüttelgedichte zu verfassen. Auf zwei Versuche habe ich es in meinem Leben gebracht - beide sind auf der Wiese zu besichtigen. Sie waren vielleicht korrekt, aber mehr auch nicht. Und ich glaube nicht, dass ich je auch nur in die ungefähre Nähe von Friedhelms Genie auf diesem Gebiet kommen werde. Tja.

LG! :)

S.

Erich Kykal

Hi Suf!

Du meinst, ich hätte "saure Trauben" und würde sie am guten Friedhelm abreagieren wollen? Weit gefehlt! Ich schrieb ja, WAS genau mich stört: Dass Sprache sowie Aussage zuweilen recht unangenehm strapaziert werden müssen, damit der Schüttelrahmen funktioniert.
Ich bin eben sehr für harmonischen Sprachfluss und stringente, logische Inhaltsführung. Da aber die Auswahlmöglichkeiten für Schüttler doch vergleichsweise recht begrenzt sind, kommt es bei dieser Kunst fast zwangsläufig zu weit hergeholten Bildern, Vergleichen oder Aussagen und/oder etwas schräger Formulierkunst, damit noch passende Worte verwendet werden können.

Ich achte und respektiere Freidhelm sehr für seine Kompetenz in dieser Richtung - ich kenne niemanden sonst, der so lange und vergleichsweise so perfekte Werke dieser Art produzieren kann, aber selbst bei ihm habe ich über die Jahre nur eine Handvoll Schüttelgedichte gelesen, die wirklich von Beginn bis Ende in sich geschlossen, sauber und unbemüht wirkten - wo die Sprache oder Inhalt nicht irgendwie irgendwo hingebogen hatten werden müssen. Wo eben alles wirklich passt.
Das liegt leider in der Natur dieser Sache, und daran kann selbst das größte Talent nicht vorbei!

Dass ich selbst das nie so toll wie Friedhelm hinbekommen werde, ist mir schon lange klar, und es ficht mich keineswegs an. Ich würde mich aber auch nie wirklich ernsthaft darin versuchen, denn wie gesagt, mir sind die durch die Machart aufgezwungenen sprachlichen Grenzen zu eng. Es mag für manche eine Herausforderung sein, diese möglichst inexistent wirken zu lassen, die sie gerne annehmen - ich habe mich nie wirklich versucht gefühlt, dem nachzueifern.

Was mich vielleicht einzig ein wenig schmollen macht: Friedhelm hat zuweilen auch "normale" Gedichte geschrieben, die mich sehr angesprochen haben und die ich sehr gut fand. Ich habe mich immer bemüht, ihn zu ermutigen, diese Richtung zumindest parallel auch zu bedienen, aber leider hat er sich allzu begeistert aufs Schütteln geworfen. Sein gutes Recht, aber ich finde, der Welt sind dadurch viele gute Gedichte verloren gegangen, die er hätte schreiben können, wäre er nicht derart fixiert auf das Schütteln gewesen.

Aber ich möchte das nicht als Vorwurf interpretiert wissen. Ich finde es einfach nur ganz persönlich bedauernswert, weil ich großes Talent für Lyrik abseits der Schüttlerei sah, das leider nie im wie ich meine verdienten Maße kultiviert wurde. Aber wie gesagt, das war nie MEINE Entscheidung.


Nein, "maliziös" will ich wirklich nicht sein - aber ich trage eben mein Herz auf der Zunge und halte nicht hinterm Berg mit ehrlicher Meinung; der Angsprochene darf ja gern anderer Ansicht sein. Entmutigend oder böswillig will ich damit nicht sein! Um ehrlich zu sein, ich bin zuweilen überrascht, wieviel "Gewicht" manche Leser meinen Aussagen beimessen - so als würde ich als eine Art grauer Foreneminenz lyrische Dogmen konstatieren und nicht bloß eine individuelle Meinung zum Ausdruck bringen, die man aus meiner Sicht einfach nur annehmen kann oder auch nicht!


Hi Friedhelm!

Entschuldige, sollte ich meinen Kommi oben so formuliert haben, dass er als Unwilligkeit meinerseits oder als deine Kunst herabwürdigend ausgelegt werden kann. Ich respektiere dein Können sehr, aber ich sehe eben auch die lyrischen Nachteile, die mit dem Schütteln zwangsläufig einhergehen, und ich scheue mich nicht, derlei anzusprechen. Demütigen oder kleinreden will ich damit aber niemanden! Rechne es einfach meiner Ungelenkheit in sozialen Dingen zu, dass ich sowas offenbar nicht verbindlicher formulieren kann. Ich hoffe, du bist mir nicht gram.


LG, eKy
« Letzte Änderung: Juli 10, 2021, 09:44:23 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Hi eKy! :)
Ob Du nun gerade Schüttelreime häufig als sprachschwurbelig empfindest und  Dich deshalb nicht darum bemühst, selbst schöne Schüttler zu komponieren oder ob Du umgekehrt nicht so ein glückliches Händchen beim Schütteln hast und folglich dieser Lyrikgattung mit besonders kritischem Blick begegnest, ist so eine Henne-Ei-Diskussion, die letzten Endes wohl müßig ist (aber warum nicht ab und an dem Müßigen frönen? ;) ).
Ich bin jedenfalls gegenüber dieser Sparte der Sprachkunst sehr aufgeschlossen (als passiver Genießer) und wenn ich Dir auch zustimme, eKy, dass es herrliche ungeschüttelte Werke von Friedhelm gibt, so bin ich doch dankbar, dass er uns mit geschüttelten Versen so reichlich beschenkt! :)
Übrigens will mir scheinen, dass die Schüttelkunst zu den wenigen Lyrikbereichen gehört, in der deutschsprachige Werke im intersprachlichen Vergleich besonders herausragen (ohne nun in artistisches Lattenmessen verfallen zu wollen ;) )... ist die deutsche Sprachstruktur womöglich besonders schüttelbar? :)
LG!
S.

Friedhelm

Hi!
   
Sufnus, zunächst zu deiner Frage, ob die deutsche Sprache sich besonders gut schütteln lässt. Ja, dies ist in meiner Wahrnehmung durchaus auch mein Eindruck. Das zeigt sich z.B. bei den sog. Quadrupel-Schüttelreimen. Normal kann man ja durch den Austausch von Konsonanten nur einmal schütteln. Gar nicht so selten ist es auch möglich, durch den zusätzlichen Austausch der Vokale eine weitere Schüttelung zu gewinnen:
   
   Es liest mein Nachbar Walter BILD,
   vom Lesen wird schon bald er wild.
   Die Faust er wild und wilder ballt.
   So irrt er durch den BILDerwald.
   
Was nun meine Schüttelballade betrifft, so kann ich an den Schüttelreimen nichts Erzwungenes finden. Die Moritat fand in Kreisen meiner Schüttelreim-Kollegen höchste Anerkennung. Das sind allerdings Leute, die um die Schwierigkeit der Gedichtform wissen und einen anderen Blick darauf haben als Erich. Schade, dass cypi nicht mehr lebt, ihr hätte die Geschichte sicher gefallen.
   
Gleichwohl bin ich dir, Erich, nicht gram. Ich bin jetzt mit meinen 82 Lenzen auf der Zielgerade meines Lebens. Da nehme ich nicht mehr alles so ernst.

   Man sollte jenen Weisen gleichen,
   die niemals aus den Gleisen weichen,
   das Leben nehmen weise, leicht,
   und lächeln, wenn es leise weicht.

LG Friedhelm

Agneta

  • Gast
das ist Oberspitze, Friedhelm, inhaltlich gekonnt, witzig, wortakrobatisch und perfekt geschüttelt. das muss man erst mal hinbekommen. ;D
Begeisterte grüße von Agneta

Friedhelm

Freut mich, das von dir zu hören, Agneta. Vielen Dank dafür. Jürgen war auch sehr angetan davon und von einigen anderen Werken, die ich ihm gemailt habe.

Gruß Friedhelm