Autor Thema: Toleranz? Wirklich?  (Gelesen 1142 mal)

Erich Kykal

Toleranz? Wirklich?
« am: April 17, 2021, 12:35:45 »
Wenn man aktuell in die Medien guckt oder die gängigen Gründe für Shitstorms im Netz verfolgt, könnte man denken: wir sind angekommen! Unsere Gesellschaft ist weltoffen, tolerant und gerecht! Ein Beispiel:
Niemand geht mehr Schwulenverdreschen am Wochenende, sie dürfen jetzt sogar offiziell heiraten und Kinder adoptieren. Und einige Bistümer widersetzen sich sogar dem Papst und segnen sie öffentlich!
Natürlich könnte man anmahnen, dass es in anderen Teilen der Welt noch bei weitem anders ist, dort werden die "Anderen" weiterhin verteufelt, verachtet, verprügelt, gefoltert, weggesperrt oder ermordet. Aber darum soll es hier nicht gehen. Hier soll die Frage gestellt sein: Hat diese Offenheit wirklich unsere Gesellschaft durchdrungen - oder schweigen die vielen Andersdenkenden hierzulande bloß im Moment, weil es opportun erscheint, und warten still und voller brodelndem Hass nur auf ihre Zeit, wenn sich erneut die Chance bietet, die Welt in Blut und Terror zu hüllen, um sie in ihren Augen zu "reinigen" und zu ordnen?

Auf "Ausländer" und deren "kulturelle Rückständigkeit, behauptete Barbarei oder gefährliche Kriminalität" wird geschimpft - darf geschimpft werden, denn man weiß weite Teile der Bevölkerung in dieser Frage mittlerweile hinter sich, heimlich grummelnd oder laut schimpfend. Aber deutsche Schwule? Die dürfen jetzt sogar hohe Politiker sein, ohne ihre Sexualität verschweigen zu müssen. Da ist man sich derzeit wohl nicht sicher, wie es ankäme, die alte Leier anzustimmen, wie die "alten" Nazis damals im Dritten Reich. Also hält man sich zurück - wie Hitler dazumals bei den olympischen Spielen.
Aber man sollte sich keinen Illusionen hingeben bezüglich der Dummheit, der Verbohrtheit der Menschen und der Zähigkeit althergebrachter Rollenverteilungen und Vorurteile: Sollte der Wind sich drehen, sollten die unreflektiert Hassenden oder die alttestamentarisch moralisch Indoktrinativen wieder ernsthaftes politisches Gewicht und moralische Stimme erlangen, wird die "moderne" Einstellung zur gleichgeschlechtlichen Liebe ganz schnell wieder verschwinden! Dann wird es für die Toleranten opportuner sein, zu schweigen und den Dingen ihren Lauf zu lassen. Den "gerechten" natürlich ...

Die ganze Welt kippt derzeit immer weiter ins rechte Lager, alte Nazibegriffe werden wieder salonfähig,kleingeistiger Nationalismus überwältigt Stück für Stück die liberalen, weltbürgerlichen Konzepte der Friedliebenden und Unvoreingenommenen, unterhöhlen teilweise viel zu unbemerkt deren "offizielle gesellschaftliche Schauseite" in aller Heimlichkeit. Die Gebildeten versäumen ihre Wachsamkeit nach innen, unterschätzen die Verführbarkeit der bildungsfernen Blöden, die mit simplen Feindbildern und noch simpleren Sehnsuchtsbildern von "sieg-heilen Welten" gefüttert werden - und sich gern füttern lassen, wenn sie sich vom abgehobenen, elitären, korrupten Staatswesen (so wie sie es empfinden und es ihnen auch gern suggeriert wird) der Demokratie vernachlässigt und zurückgelassen fühlen.

Die wenigsten begreifen, dass Europa seit Dekaden von der Ausbeutung von drei Vierteln der restlichen Welt lebt und so seinen Wohlstand finanziert hat: mit Billiglohnländern ohne restriktive Gesetzgebung, die man zu aller raubtierkapitalisischen Übervorteilung und Rohstoffraub auch noch mit dem ganzen Wohlstandsmüll beladen kann!
Die wenigsten verinnerlichen, dass diese restliche Welt nun langsam erwacht und ihr Stück vom Kuchen einfordert - und bei uns entsprechend nichts mehr so leicht finanzierbar ist wie früher. Natürlich kommen die Trägheit und die Unfähigkeit oder kriminelle Energie vieler gewählter Staatsorgane hinzu, um die Versäumnisse kumulieren zu lassen, bis irgendwann überhaupt nichts mehr geht außer leeren Versprechungen. Zusätzlich zu uneiniger Gesetzgebung, unsinniger Überregulierung aller Lebensbereiche und die damit verbundene schleichende Entmündigung der Konsumverpflichteten, die auch die Politik irgendwann völlig lähmt und ineffektiv macht.

Aber anstatt die Mängel anzugehen und innerhalb des Systems zu beseitigen, schreien immer mehr Unzufriedene nach der Beseitigung des gesamten Systems. Und was dann kommt, wissen sie im Grunde alle: Wieder fröhliches Schwulenjagen nach dem Saufengehen am Wochende, vor allem, wenn die Ausländer dann alle schon endgelöst sind ...
« Letzte Änderung: Januar 04, 2022, 00:23:48 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.