Hallo Leute,
wenn ihr erlaubt, zwei Vorbemerkungen:
ein Gedicht ist ein Gedicht.
Auch Haikus sind Gedichte, aber mit Besonderheiten.
Deine Beispiele, Sufnus, erzeugen alle Nachhall, weil man über sie nach- und weiter denken kann. Genau das sollen Gedichte. Vor diesem Hintergrund ist die Haikufrage zweitrangig. Gedichte sind Gedichte.
Was macht ein Haiku aus? Ehrliche Antwort: Selbst ein Japaner könnte dir nur sagen, was ein gutes Haiku für ihn selbst ausmacht.
In Japan gibt es verschiedene Haiku-Schulen, die alle etwas anderes sagen.
Wahr ist auch, dass es vier große Klassiker gibt, an die sich die Mehrheit orientiert, aber eben nur orientiert.
Die Bedeutung der großen Klassiker besteht darin, dass sie das Haiku erneuert haben, jeder auf seine Weise. Wobei jeder Klassiker, für sich in Anspruch nahm, ganz genau zu wissen, was ein gutes Haiku von einem schlechten unterscheidet.
Ok, was sind Merkmale eines guten Haiku?
Ich behaupte (und nicht: man sagt!), ein gutes Haiku versucht dem Geist eines Haiku nahe zu kommen.
Keine Bange, jetzt wird es nicht esoterisch!
Der Geist besagt, dass man sinnlich schreiben soll. Japaner sind konkret und dann erst abstrakt. Wir Europäer sind gern abstrakt und dann erst konkret. Will sagen: Ein Japaner schreibt erst etwas über verblüte Rosen, bevor er einer verflossenen Liebe nachtrauert. Wir Europäer schließen, umgekehrt, von der verflossenen Liebe auf die welken Rosen.
Ein Haiku sagt nicht mehr als nötig. Wir Europäer glauben, die Japaner seien Erbsenzähler. Warum? Bei uns gibt es die Vorgabe, ein Haiku habe aus 17 Silben zu bestehen. Erstens zählen Japaner keine Silben, sondern, wenn überhaupt, Moren. Und zweitens hat japanisch viele kurze Wörter. Heißt, ein Japaner, wenn er spricht, kann, ohne darauf zu achten, mühelos in Haikus reden. Wunder der Sprache!
Japaner haben Listen mit Signalwörtern. Spricht ein Japaner von Amseln, meint er nicht allein Vögel, sondern auch die symbolische Bedeutung. Beispiel: Im Deutschen verwenden wir die Aster. Das ist eine Herbstblume, die auch Vergänglichkeit meint. Solche Listen bräuchten wir auch.
Haiku, ursprünglich, behandelte nicht die Natur, sondern Themen aus der Natur. Eine, in Japan, noch heute andauernde Diskussion. (Soll man ursprünglich dichten, oder modern.)
Ein Haiku soll authentisch sein. Heißt, er soll berühren. Bei uns würde man sagen: Herzschmerz. Ist aber zu stark verkürzt. Daher: der Haiku soll eine Einladung an den Leser sein, sich mit den Gedicht zu identifizieren.
Daraus folgt: Das Haiku lehnt alles Künstliche, Posenhafte, Affektierte ab. Es muss alles authentisch sein. (Echt, wahr, natürlich.)
Das ist meine Einschätzung. Ein Japaner würde noch den religiösen Aspekt hervorheben. Und sicher noch anderes.
Was will ich sagen: Ein Haiku ist ein Gedicht. Hat man ein Gedicht verfasst, ist das gut. Berücksichtigt man noch den Haiku-Geist, ist das besser.
Ich hoffe, ich konnte für reichlich Verwirrung sorgen!
Einen schönen Abend
Rocco