Autor Thema: Zurechtgebogen  (Gelesen 861 mal)

hans beislschmidt

Zurechtgebogen
« am: Februar 22, 2021, 11:51:03 »
Zurechtgebogen

Wo sind nur diese schlauen Weisen?
Die Mahner alter Wertezunft?
Geschönte Zahlen, die beweisen
den Fleck globaler Unvernunft.

Ein Kunststück, dass die Wissenschaft,
wenn sie nur lang zurechtgebogen,
im Wirkungskreis von Sippenhaft,
hat unsre alte Welt belogen.

Wie schön, ich brauche keine Perlen,
behalt mein Stückchen Unvermögen,
als ein Relikt von echten Kerlen,
fress’ deshalb gern aus dunklen Trögen.

« Letzte Änderung: Februar 22, 2021, 12:03:20 von hans beislschmidt »
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

Rocco

Re: Zurechtgebogen
« Antwort #1 am: Februar 22, 2021, 13:35:32 »
Hallo Hans,

erst dachte ich, es kommt eine erneute Corona-Schelte, wie man sie in deinen letzten Kommentaren lesen konnte. Aber, davon steht in deinem Text nichts.

So, wie dein Text geschrieben ist, kritisiert er allenfalls ein politisches Verhalten, dass es seit jeher gab: Ergebnisse der Wissenschaft werden gefälscht, wenn sie nicht ins eigene Weltbild passen.

Mir fällt auf, dass in deinem Text nicht abgewogen wird (Pro und Contra). Man hat die Kritik zu schlucken. Damit kann ich Leben, zumal die Kritik so allgemein gehalten ist, dass sie auf viele Arten von Missbrauch anwendbar ist.

Sollte doch Corona gemeint sein, was ich vermute, müsste das klarer geschrieben werden.

Rocco
"Erst in Rage werde ich grob -
aber gelte als der Hitzkopf?!"

Yusuf Ben Goldstein, aus Rocco Mondrians Komödie: Yusuf Ben Goldstein, ein aufrechter Deutscher

hans beislschmidt

Re: Zurechtgebogen
« Antwort #2 am: Februar 22, 2021, 15:14:27 »
Lieber Rocco,
Wie so oft in den letzten Gedichten gibt es kein pro und contra, außer dem folgerichtigen Schluss in Vers drei, dass ich nichts mit dieser neuen Denke anfangen kann. Ein desillusioniertes Resümee also.
■ Diesmal hab ich auf die Nahaufnahme von Einzelpersonen und deren Schicksal verzichtet. Deshalb ist vom allgemeinen Zustand eines rückwärtigen Lebensgefühl und der traurigen Vergänglichkeit die Rede.
■ In Vers eins sind die Mahner als die vergangenen Tugenden, wie Fleiß, Beharrlichkeit, Verlässlichkeit und Vertrauen gemeint, die man den Wirtschaftswunderkindern gerne angedichtet hat. Man sucht sie heute vergebens, denn Cleverness und hierarchischer Teamgeist haben Eigeninitiative und Leidensfähigkeit verdrängt. Ich-denken ist das Schlagwort des Neoglobalismus und Umsatzzahlen sind kreditwürdiger als Ideen. Gewinnoptimierung, Kerngeschäft, Outsourcing und Morningbriefing sind der dunkle Fleck in unserem Tagewerk geworden und zieht die Preisgabe jeglicher Individualität mit sich.
■ Die Wissenschaft liefert die passgenauen Zahlen und Expertisen für das Spiel um Macht und Geld und wer andere Ergebnisse hat, der muss nachbessern oder scheidet aus. Und es ist egal, ob es sich dabei um die Thüringen Wahl handelt, die wiederholt werden musste, weil das Ergebnis nicht passte oder die Inzidenzwerte, die politisch gewollt zweiwöchentlich nach unten verschoben werden. So reüssieren ständig neue Zahlen, die mit politischem Kalkül verschoben werden und ob es sich dabei um CO2 Werte, Dieselabgase, Motorradlärmpegel, Ausländerkriminslität, Terrorismus, Unfalltote, Fettleibigkeit oder Mortalitätsraten handelt, ist unwichtig. Wichtig ist nur, dass sie dem Machterhalt der Regierung dienen und wenn dabei 99% der Menschen in Sippenhaft genommen wird ... sei's drum.
■ Im letzten Vers gebe ich lediglich zu ein hoffnungsloser Traditionalist und Gerechtigkeitsmensch zu sein, der sich nicht um die Perlen vor den Säuen kümmern möchte. Dem die Neuzeitumgangsformen fremd sind, der sich nicht verbiegen lässt und deshalb auch auf die Annehmlichkeiten der eingebetteten Schlafschafe verzichtet. Und, dass er deswegen zur Strafe nicht mit dem guten Silberbesteck bei Tafel ißt,  sondern aus dunklenTrögen frisst ... so what?
Danke für deinen Kommentar und sicher weißt du jetzt auch warum ein Wildschwein nicht mehr auf dem Eiland schreiben kann.
Gruß vom Hans
« Letzte Änderung: Februar 22, 2021, 15:41:24 von hans beislschmidt »
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

Agneta

  • Gast
Re: Zurechtgebogen
« Antwort #3 am: Februar 22, 2021, 19:06:12 »
ich weiß, warum ein Wildschwein nicht... ;D ;D
Ich weiß nicht, ob Politik nicht immer so war, Hans. ich denke, wer sich politisch in einer Partei engagiert und reüssieren will, der muss sich beugen können. darum schrieie ich Satiren darüber und bin in keiner Partei.
ich verstehe dich gut, aber dunkel sind die Töpfe nicht, aus denen man dann "frisst". Vielleicht nicht aus Silber, sondern aus Ton...
Mir spricht dein Werk jedenfalls aus dem Herzen, auch wenn ich jetzt "ich richtiger Kerl" bin... GGG

LG von Agneta

Erich Kykal

Re: Zurechtgebogen
« Antwort #4 am: Februar 26, 2021, 11:40:59 »
Zurechtgebogen

Wo sind nur diese schlauen Weisen?
Die Mahner alter Wertezunft?
Geschönte Zahlen, die beweisen
den Fleck globaler Unvernunft.

Ein Kunststück, dass die Wissenschaft,
wenn sie nur lang zurechtgebogen,
im Wirkungskreis von Sippenhaft,
hat unsre alte Welt belogen.

Wie schön, ich brauche keine Perlen,
behalt mein Stückchen Unvermögen,
als ein Relikt von echten Kerlen,
fress’ deshalb gern aus dunklen Trögen.

Hi Hans!

Das klingt ja ganz gut und schmissig - bis auf das leider fehlende Zeitwort im ersten Satzteil von S2: "Ein Kunststück, dass die Wissenschaft, ... , im Wirkungskreis von Wissenschaft IST, oder BLEIBT, oder VEGETIERT - aber eben irgendwas! Gerade bei verschachtelten, längeren Sätzen wirkt sich das "lyrische" Verschlucken von Verben (normalerweise nur die Hilfszeitwörter, aber hier ist es das ganze Verb!) desaströs für das Leseverständnis aus.

Inhaltlich bleibt das Werk im Vagen, trotz oder vielleicht auch wegen des engagierten Furors, der voraussetzt, dass man als Leser eigentlich wissen muss, worauf angespielt wird. Ist leider nicht so. Sind die "Mahner alter Wertezunft" positiv oder negativ konnotiert? Und was bitte IST überhaupt eine "Wertezunft"? Werte können zünftig sein, es gab Zünfte, die Werte vertraten - aber eine Zunft nur für Werte wäre bald bankrott gegangen! Das ist hochgradig missverständlich formuliert.

Dann: Auf wessen geschönte Zahlen, und wesbezüglich, wird abgezielt? Welche Wissenschaft ist gemeint - da gibt es viele Sparten! WER biegt sie zurecht und wozu? Was ist ein Wirkungskreis von Sippenhaft? Es kann nur einen Wirkungskreis von Leuten geben, die (leider immer noch) an Sippenhaft glauben. Das ist etwas anderes.
Welche und wessen Perlen sind gemeint? Echte oder metaphorische? Was hat das Unvermögen des Autors - und Unvermögen in welcher Hinsicht - damit zu tun?
Ein Relikt von echten Kerlen - das wären mumifizierte Körperteile oder Waffen in Museen. Was du wohl meinst, ist ein Relikt aus der Welt von echten Kerlen. Leider wieder missverständlich formuliert. Und was exakt ist mit den dunklen Trögen gemeint? Das kann so vieles heißen ...

Lieber Hans - dass es gut und schmissig klingt, ist insgesamt leider nicht genug. Es muss auch für den Leser Sinn ergeben, der sich bei der Lektüre gerade nicht im gleichen Gedankenkreis wie du bewegt. Du kannst nicht voraussetzen, dass man dein Werk versteht, wenn du so vage und unlogisch formulierst. Die Sprache - gerade die unsere - ist ein sehr exaktes Ínstrument, und wenn du sie nicht genau führst, verfehlt sie das Ziel und vernebelt es eher.

Ich mutmaße mal - weil das seit geraumer Zeit dein Lieblingsthema ist - dass es um die aktuelle Politik in Deutschland bezüglich der Kulturschaffenden geht. Aber ich kann anhand deiner obigen Zeilen nicht mal sicher sein, ob ich da richtig liege, denn sie sagen - für mich zumindest, der ich die Tagespolitik schon lang nicht mehr verfolge, zu wenig aus, wer genau was darin darstellt, oder auf welche Vorkommnisse abgezielt wird.

Dennoch gern gelesen, denn gut und schmissig klingt es ja.  ;)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

hans beislschmidt

Re: Zurechtgebogen
« Antwort #5 am: Februar 27, 2021, 18:03:18 »
Lieber Erich,
Ich dachte, ich hätte ausführlich auf Roccos Kommentar geantwortet. Nun denn....
Wenn jemand Perlen vor die Säue wirft, meint das etwas Wertvolles, welches an Unwürdiges oder Ignorantes verschwendet wird, in der Annahme, diejenigen sollten eigentlich dankbar sein, dass sie in den Genuß von solch Ergötzlichem kommen.
Aber nein, der Hans, (als geübtes Wildschwein), verzichtet darauf, beharrt auf seinem Unvermögen und wälzt sich weiter im Schlamm. Es macht ihm auch nicht das geringste aus, wie bei Schweinen so üblich, aus einem Trog zu fressen. Im Gegenteil, ein Relikt, eine Hinterlassenschaft und Erkennungsmal von echten Kerlen ist es zu ihren Fehlern zu stehen, die sich aber viel später oft genug als wahr und richtig erwiesen haben.
Ich dachte, du kennst dieses Wortspiel auch in seiner Umkehrfunktion.
■ Bei dem von dir adressierten Attribut "schmissig" muss ich stets an die Burschenschaft Albia denken, wo ich mal zu einer Kennenlernversnstaltung und Wettsaufen eingeladen war. Ging eigentlich ganz gut und feucht fröhlich ab, bis zu dem gewissen Stelzhamer Lied (es steht ein Jud ...) das war der Punkt, wo ich sagte " Freibier hin oder her" ... jetzt musst du raus hier.
Insofern habe ich die Säbelschwinger mit ihren Schmissen in keiner guten Erinnerung und schmissig auch nicht.
■ Je nun, das Werk ist in keiner direkten Zuordnung gemacht aber wir kennen uns jetzt schon eine Weile und meistens tippst du schon richtig.
Schönes Wochenende, Danke und Gruß vom Hans
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)