Autor Thema: Ich sah der Wiese hohe Pappel stehen  (Gelesen 1763 mal)

Grüngold

Ich sah der Wiese hohe Pappel stehen
« am: Dezember 13, 2020, 20:01:11 »
Und wieder ein Wiesen-Gedicht:

Ich sah der Wiese hohe Pappel stehen

Ich sah der Wiese hohe Pappel stehen.
Sie stand als wie ein Kirchturm, stark.
Da sprach ich staunend im Vorübergehen:
"Du bist fürwahr des Landes Mark!"

------------------------------------

Diese Pappel gibt es auch in der Realität.
Eine hohe schlanke Italienische Pappel oder Pyramiden-Pappel.
Und das englische "landmark" (Wahrzeichen)  habe ich hier nun mal zu "des Landes Mark" gemacht.
Ceterum censeo linguam Latinam non esse delendam.

Grüngold

Re: Ich sah der Wiese hohe Pappel stehen
« Antwort #1 am: Dezember 13, 2020, 20:57:44 »
Ich glaube, ich bin ein Feld-Wald-und-Wiesen-Dichter!  :)
Ceterum censeo linguam Latinam non esse delendam.

Erich Kykal

Re: Ich sah der Wiese hohe Pappel stehen
« Antwort #2 am: Dezember 13, 2020, 21:39:05 »
Hi GG!

Netter Vierzeiler. Allerdings stieß ich mich beim Lesen an zwei Details:

Z2 - "als wie" erscheint sprachlich ungelenk. Altern. zB: "Gleich einem Kirchturm stand sie stark."

Z4 - Das Wortspiel mit "landmark" ist interessant, allerdings wäre selbst ich als Englischlehrer ohne deinen Hinweis darunter nicht darauf gekommen, in einer Fremdsprache danach zu suchen. Vielmehr dachte ich an das Mark von Knochen, im Sinne von "Kern oder Innerstes des Landes", was mir allerdings sowohl als Wortwahl für die Beschreibung eines schlanken Baumes als auch von der Ausdrucksart des lyrischen Bildes her eher unpassend erschien (Knochen und Mark erinnern mich an Schlachthöfe ..).

Mein Vorschlag:

Ich sehe hoch die Pappel stehen,
fast wie ein Kirchturm wächst sie hier,
und nenne im Vorübergehen
sie andachtsvoll des Landes Zier.


LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Grüngold

Re: Ich sah der Wiese hohe Pappel stehen
« Antwort #3 am: Dezember 13, 2020, 22:03:29 »

Z2 - "als wie" erscheint sprachlich ungelenk. Altern. zB: "Gleich einem Kirchturm stand sie stark."


May I  contradict:

Gerade dieses "als wie" liegt mir am Herzen. Es hat für mich etwas Romantisch-Eichendorffisches. :)
Nicht ungelenk, sondern eher besonders gelenk.

Und auf meine  Formulierung: "des Landes Mark" bin ich sogar richtig stolz.
Es hat vielschichtige Bedeutungen, und ist in dieser Form ein Novum.
Eine Bereicherung der deutschen Sprache.
Und: Wer soll denn die  deutsche Sprache bereichern, wenn nicht wir Dichter? :)

Auch wenn ich dir nun also widerspreche, so danke ich dir dennoch für die gedanklichen Anregungen. :)


---------------------

EDIT: Bei "Mark" denke ich keineswegs an Schlachthöfe, sondern u. a. an eine gute Währung, an eine Grenzmark, und auch sehr an die Markgrafschaft Baden - und an noch einiges mehr.
« Letzte Änderung: Dezember 13, 2020, 22:07:36 von Grüngold »
Ceterum censeo linguam Latinam non esse delendam.

Sufnus

Re: Ich sah der Wiese hohe Pappel stehen
« Antwort #4 am: Dezember 14, 2020, 11:21:03 »
Hi GG! :)

Die Passage "als wie ein Kirchturm stark" ist mir auch aufgefallen.
Solche "als wie"-Formulierungen findet man einerseits im Dialekt und andererseits in altertümlichem Deutsch, wobei im Kontext der Zeilen der letztere Aspekt überwiegt - und wahrscheinlich war das auch der von Dir beabsichtigte Effekt, wenn Du Dich auf Eichendorff beziehst. Andere Wendungen, wie die Inversion des Genitivs in Z1, das "fürwahr" und das Signalwort "Mark" evozieren ebenfalls Altertümlichkeit.
Das ist für mich, ganz subjektiv, ein erlaubtes Stilmittel auch in heutiger Lyrik, aber es macht ein Gedicht nicht automatisch "besser", eher erzeugt es für mich eine gewisse Komik. Ich stelle mir gerade einen Kunden vor, der eine Bäckerei betritt und dem Angestellten verkündet: "Wohlan, guter Mann, es gelüstet mich gar sehr, von Eurem Backwerke zu kosten!"...  ;D

Und auf meine  Formulierung: "des Landes Mark" bin ich sogar richtig stolz.
Es hat vielschichtige Bedeutungen, und ist in dieser Form ein Novum.
Eine Bereicherung der deutschen Sprache.

Ein Novum ist es nun gerade nicht, eher das genaue Gegenteil, denn diese Formulierung begegnet uns wiederholt in den Werken der Alten, wobei Mark(e) mal im Sinne von Grenzmark, mal im Sinne von innerer Kern und mal im Sinn von Erkennungszeichen/Markierung gebraucht wird.
Auch muss das Wort Landmark(e) nicht ins Deutsche eingeführt werden, bereits in einem der ersten gedruckten deutschen Wörterbücher überhaupt, Josua Maalers Werk "Die Teütsch spraach" von 1561, kommt der Ausdruck "die Landtmarchen" für Landesgrenzen vor.

Ein paar Beispiele aus Gedichten:

Friedrich Hölderlin:

[...]
Wo des geschändeten Römers Kehle

Die schweißerrungne Habe des Pflügers stiehlt,
Wo tolle Lust in güldnen Pokalen schäumt,
Und ha! des Gräuels! an getürmten
Silbergefäßen des Landes Mark klebt.


Jevgeni Abramovitsch Baratynskij (übers. H. Stammler):

Wo blieb der Mensch? Er sank in Gruft und Sarg.
Wie alte Türme an des Landes Mark
verfallen unaufhaltsam die Geschlechter,
und durch die Trümmerstädte fegt der Staub.


August Wilhelm Schlegel:

Der pflegt sich üppig mit des Landes Marke,
Der muß im Wetter nackt und hungrig liegen:
Doch alle gleich, gewiegt in gleichen Wiegen
Der großen Mutter, Schwache so wie Starke.


Johann Christoph Gottsched:

Kein Schwelgen, Spiel, kein Jagen und Stolzieren,
In Kleidung und Gefolg, erschöpft des Landes Mark.
Sein schöner Dom kann Aug und Herzen rühren,
Und ist an alter Baukunst stark.


Heinrich Zeise:

Sie haben nur des Volkes Schweiß,
Des Landes Mark begehrt, —
Nur einen Heiland kennen wir,
Der Heiland ist das Schwert!


Clara Müller:

Des Landes Mark, der Großstadt Kraft und Glut
verschlingt des Elends uferlose Flut.


Also das mit dem Novum haut von daher nicht so richtig hin... ;)

LG!

S.

Grüngold

Re: Ich sah der Wiese hohe Pappel stehen
« Antwort #5 am: Dezember 14, 2020, 11:38:07 »
@ des Landes  Mark

Wie ich nun sehe, hatte ich in Sachen "des Landes Mark" schon einige Vorgänger.
Doch in der Bedeutung des englischen "landmark" ist diese Wendung sicher noch nicht gebraucht worden.
In diesem Sinne ist es wohl doch ein Novum. :)
Ceterum censeo linguam Latinam non esse delendam.

Sufnus

Re: Ich sah der Wiese hohe Pappel stehen
« Antwort #6 am: Dezember 14, 2020, 13:14:52 »
Naja... für den englischen Begriff im engeren Sinne (als optischer Orientierungspunkt) sagt man im Deutschen halt auch Landmarke, warum sollte man das zu "des Landes Mark" umformen? Ähnlich wie eKy bin ich da eher bei Knochenmark und finde es sprachlich einfach nicht so schön. Da erscheint mir eKys Vorschlag "des Landes Zier" um einiges erfreulicher. ;)
LG!
S.

Grüngold

Re: Ich sah der Wiese hohe Pappel stehen
« Antwort #7 am: Dezember 14, 2020, 14:09:29 »

warum sollte man das zu "des Landes Mark" umformen?


Kurze Antwort: "Warum nicht?"  :)
Mir hat es so besser gefallen.

Und "Landmarke" ist nicht in meinem aktiven Sprachschatz, das englische "landmark" aber wohl :)
Ceterum censeo linguam Latinam non esse delendam.

Grüngold

Re: Ich sah der Wiese hohe Pappel stehen
« Antwort #8 am: September 01, 2022, 16:35:19 »
Heute habe ich meine Pappel wieder einmal gesehen.
Und sie  ist zu 100 Prozent grün und hat kein einziges gelbes Blatt.
Spontan habe ich dann gedichtet:

Ich sah der Wiese hohe Pappel stehen.
Sie war als wie gemalt, in sattem Grün.
Da sprach ich freudig im Vorübergehen:
"Sie trotzt des Sommers Hitze, stolz und kühn!"
« Letzte Änderung: September 01, 2022, 16:37:59 von Grüngold »
Ceterum censeo linguam Latinam non esse delendam.

Grüngold

Re: Ich sah der Wiese hohe Pappel stehen
« Antwort #9 am: September 03, 2022, 23:10:58 »
470
Ceterum censeo linguam Latinam non esse delendam.