Ich lasse Dich nicht

[Sufnus]

Ich lasse Dich nicht

Blaue Zone in der Brust:
No man's land im Grabenschlachten
zwischen Lüsten und Verlust,
einverleibten, ausgedachten

Neigungen, im Trommelfeuer
knochenmühlenfein zerstäubt,
und der Geist steigt ungeheuer,
windgeborgen, mohnbetäubt.

Blaue Zone im Geblüt:
Für den fünften Akt verdorben,
ob es edler im Gemüt...
Lethe lecken, schaumverstorben -

die Moral am Ende? Plunder,
Lux eterna, Abendrot,
Kara, Herzensferne: Wunder
widers stygische Gebot.

[Erich Kykal]

Hi Suf!

Ein wahres Trommelfeuer von lyrischen Bildern, wortgewaltigen Phrasierungen und Anspielungen (zB Hamlet).

Manche der Zitate sind mir leider nicht geläufig, zB die "blaue Zone", "Lethe lecken, schaumverstorben" oder "stygisches Gebot". Und von welcher Art "Trommelfeuer" ist die Rede? Wer oder was ist "Kara"?

Daher tu ich mir, zu faul, um das alles zu googeln, schwer mit einer endgültigen Deutung.

Nichtsdestottrotz verbeuge ich mich vor der lyrischen Gewalt deiner metrisch tadellosen Zeilen, sowohl in Klang wie auch in Sprachschöpfung.

Sehr gern gelesen! 

LG, eKy

[a.c.larin]

hi sufnus,
das gedicht scheint wohl eine art lyrischer hymnus auf allerlei liebesbegierden zu sein - aber eigentlich versteh ich auch nicht ganz , worum es geht. 

kryptischer text.
etwas verwirrt zurückgeblieben,
larin

[Sufnus]

Hi, Ihr Lieben!
Danke für die Kommentare! Dir, eKy, auch ganz besonders für den Hinweis auf Hamlet!
Dieses Gedicht gehört sicher zu meinen etwas hermetischeren Hervorbringungen, etwa auf der Linie von "In memoriam" oder "Nocturne"; eine vollständige Entschlüsselung ist hier tatsächlich nicht möglich. Das muss man mögen (bzw. man muss es eben genau nicht mögen )...
Bei der blauen Zone klingt aber die traditionelle Symbolik von blau als Farbe von Sehnsucht, Trauer und Freiheit an. Lethe und Styx ("stygisch") sind in der griechischen Mythologie Flüsse der Unterwelt, und schaumverstorben ist eine Umkehrung von schaumgeboren, dem Attribut der Aphrodite (áphrós meint den Meeresschaum). Die "liebesbegierlichen" Signalwörter ("Lüste" oder "lecken") hat Larin klar erkannt. Daneben schwingen zahlreiche Kriegs- und Todessymbole sowie christliche und biblische Anspielungen mit. Aber wie gesagt: Eine vollumfänglich entsiegelte, gänzlich eineindeutige (kein Verschreiber) Aufdröselung ist hier nicht vorgesehen.
LG!
S.

[gummibaum]

Lieber Sufnus,

ein besonderes Gedicht, das seiner Bilder aus disparaten Bereichen schöpft (seelische Befindlichkeit als Langlebigkeitszone im Grabenkrieg). Ich muss es nochmals lesen, um hinter alle Finessen zu kommen.

Liebe Grüße von gummibaum

[Sufnus]

Ganz lieben Dank, bester gum, besonders für Deinen Verweis auf die Langlebigkeitsanspielung!
Ich geb es zu, die war primär nicht von mir bedacht und fiel mir erst auf, als das "blaue Zone" dann dastand. 
In der Ur-Ur-Ur-Version hatte ich noch "blauer Streifen" (Streifen = Grenzstreifen) geschrieben, aber das klang zu blöd und ich suchte dann einfach ein anderes zweisilbiges Wörtchen, was zur Zone führte... da ich ein alter Sardinienfan bin, gefiel mir dann die blaue Zone auch unter dem von Dir angedeuteten Aspekt ganz gut, aber ich hätte nicht gedacht, dass da jemand anderes draufkommt...
Erfreute Grüße!
S.

[Agneta]

Lieber Sufnus,
ich lese es als eine schwierige Beziehung, die einerseits von Lust und Begierde, andrerseits von Grabenkriegen geprägt ist. kalt und stygisch , im Sinne von schauerlich, kalt- blau als Farbe des Kalten.
Die beiden Positionen werden durch starke Bilder unterlegt. Solch eine Beziehung muss in Verlust enden, ihrer selbst , manchmal sogar der Menschen, die sich in ihr verlieren oder zerreißen.

Starke Zeilen, die für mich nicht hermetisch sind, nur schwer verständlich durch die mythologischen Bilder.
LG von Agneta

[Sufnus]

Hi Agneta!
Mir gefällt Deine Deutung sehr Agneta! Es ist nicht unbedingt das, woran ich so dachte, aber durchaus schlüssig! Total spannend find ich, dass Du und Larin den Aspekt der "Begierden" stark wahrgenommen habt, was (so ist mein Eindruck) gum und eKy weniger ins Auge gesprungen ist. Ich mag es sehr, wenn Gedichte unterschiedliche Lesarten ermöglichen. Poetischer Pluralismus.
Dankeschön & LG!
S.