Autor Thema: herbst  (Gelesen 1720 mal)

Emilie

herbst
« am: Oktober 27, 2020, 21:27:35 »
die wolken schlagen meine zeitung um
sie ziehen sowieso umher
der wald legt sich vor trauer krumm
denn sonnenstrahlen gibts nicht mehr.

selbst eine stunde fehlt dem armen tag
die straßen harren wie dement
so dass ich sie nicht sehen mag
der himmel trägt und mischt zement

fast schauderhaft in meine gegenwart.
ja nu, der herbst lässt sich nicht drängen.
der winter kommt mit eisenbart
an dem die alpenveilchen hängen. 

Erich Kykal

Re: herbst
« Antwort #1 am: Oktober 27, 2020, 23:04:53 »
Hi Emilie!

Schönes Gedicht! Interessante Struktur: Die Vierzeiler beginnen mit einem Fünfheber, gefolgt von drei Vierhebern. Experiment?

Die Alles-klein-Schreibung ohne Satzzeichen mag als lyrisches Stilmittel gelten, mir verleidet sie jedenfalls den Lesegenuss, macht sie den Text doch insgesamt unübersichtlicher und schwerer dechiffrierbar. Mag sein, es ist Gewohnheit, aber ich tu mir schwerer damit, einen Text so zu lesen denn mit normaler Rechtschreibung und Zeichensetzung.

Solche "Effekte" sind in meinen Augen Manierismen, die hauptsächlich jene nutzen, die ihre Lyrik ohne solche Kunstgriffe für zu wenig gewichtig halten, warum auch immer. Nötig hat es dieses Gedicht allerdings beileibe nicht, mittels solcher Bemühungen gestützt zu werden.  ;)

Sehr gern gelesen!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Emilie

Re: herbst
« Antwort #2 am: Oktober 28, 2020, 12:24:18 »
Hallo lieber Erich,

ja, der Herbst macht gleichgültig :)

Oft belasse ich meine Arbeiten nachdem schreiben so wie sie entstanden sind.

Danke für deinen Kommentar.  :)

Erich Kykal

Re: herbst
« Antwort #3 am: Oktober 28, 2020, 13:15:52 »
Hi Emilie!

Oft belasse ich meine Arbeiten nachdem schreiben so wie sie entstanden sind.

Warum? Möchtest du nichts dazulernen? Und bist du es einem guten Werk nicht schuldig, dein wirklich Bestes zu geben, um es so gut wie nur irgend möglich zu machen? Oder deiner späteren Reputation als Dichter? Okay, Letzteres spielt nur eine Rolle für jene, die zumindest einen Teil ihres Selbstwertgefühls darüber definieren, aber das Werk an sich, finde ich, hat jede Bemühung verdient, es zu optimieren.

Selbst heute überarbeite ich noch meine älteren Werke, wenn ich etwas bemerke, was mir damals, mit eingeschränkterem Zugang zu Materie und Sprachgefühl, noch nicht aufgefallen war. Viele dieser Altgedichte haben metrische Schnitzer, die ich damals gar nicht "spürte", und vieles über die Lyrik und ihre Regeln für bestimmte Formen kannte ich noch nicht. Aber ich habe über die letzten 15 Jahre kontinuierlich meinen Horizont erweitert, und ich kann nur jedem Poeten raten, desgleichen zu versuchen - ohne mich hier als elitär oder überlegen hinstellen zu wollen ... es entstehen mit größerem Wissen nach meinem Ermessen und meiner Ansicht eben nur bessere Gedichte im Gesamten, und sollte nicht genau DAS unser aller Ziel sein?  ;) :)

Hier spielt es keine große Rolle, es geht ja nur um einen Effekt (Weglassung von Zeichen und Großschreibung), und du kannst jederzeit sagen, dass du es so magst und dazu stehst, so zu dichten. Aber bedenke meine Worte hier, wenn es um wirkliche Schwächen geht, die dir jemand wohlwollend aufzeigt, damit du deinen Horizont erweitern und noch bessere Werke schaffen kannst.

LG, eKy

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Emilie

Re: herbst
« Antwort #4 am: Oktober 28, 2020, 14:29:40 »
Hallo lieber Erich,

ich schätze deine Mühe sehr. In meinen früheren Jahren dichtete ich sehr formstreng.
Wenn ich mehr Zeit habe, kann ich ältere Gedichte gern mal auskramen.

Nach einigen Jahren fand ich heraus, dass es mir am meisten Freude bereitet und meine Gedichte mir am meisten goutieren, wenn sie fließen.
Dann sind die Werke aber endgültig.
Andererseits entstehen vermehrt auch Arbeiten wie Sonette oder Stanzen, wo ich, ähnlich wie du es bist, eher den Zwängen nachgehe.
Alles in allem habe ich mich von einer festen und konkreten Vorstellung was Lyrik betrifft gelöst.
Am Ende ist es mir wichtig, dass die Gedichte mir gefallen.

Wenn man der Formstrenge nachgibt, entstehen dadurch oft qualitative Mängel. Man spickt die Werke mit unnötigen Füllwörtern oder Adjektiven, nur um die Form aufrecht zu erhalten.
Für mich persönlich sind das quasi unverzeihliche Sünden.

Emilie

Erich Kykal

Re: herbst
« Antwort #5 am: Oktober 28, 2020, 16:14:26 »
Hi Emilie!

So ausschließlich würde ich das nicht betrachten wollen. Ich opfere zwar - selten - auch das Metrum einem bestimmten Effekt, aber das von dir genannte Problem der Füllwörter entsteht nur, wenn man die falschen benutzt oder sich nicht genug Mühe gibt, sie so geschickt in den Satzverlauf und seine Melodie einzubauen, dass sie gar nicht erst als solche wahrgenmmen werden.

Die einzig unverzeihliche lyrische Sünde ist das Füllwirt, das man eindeutig als solches erkennt.  ;)

Zudem: Ein wirklich guter Lyriker gestaltet seine Satzführung innerhalb des metrischen Rahmens bereits so, dass im Optimalfall gar keine Füllwörter nötig sind. Darum ist das persönliche Vokabular so wichtig: Je mehr Bausteine im Baukastensystem Sprache, desto mehr Ausdrucksmöglichkeiten hat man, um "im Rahmen" bleiben zu können. Die Herausforderung besteht darin, es dennoch nicht konstruiert oder gedrechselt wirken zu lassen, sondern am besten wie (fast) normale gehobene Sprache in perfekt ins schema passender Melodie.

Meine (persönliche und sicher subjektive) Ansicht: Zu sagen: "Ich empfinde den klassischen lyrischen Anspruch und seine Formen als Einengung und unterwerfe mich ihm nicht (mehr)", ist der leichte Weg.
Die wahre lyrische Kunst besteht darin, sich an die Form zu halten, es jedoch so machen zu können, dass es wirkt, als würde alles ganz natürlich darein passen, als würde sich alles mühe- und problemlos zu einem perfekten Ganzen fügen, das nicht konstruiert wirkt. DAS ist die wahre Kunst.

Aber das ist natürlich nur eine Meinung unter vielen ...

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: herbst
« Antwort #6 am: November 02, 2020, 23:40:13 »
Liebe Emilie,

ein originelles Herbstgedicht!

Sehr gern gelesen.

Grüße von gummibaum


p.s:

"Man spickt die Werke mit unnötigen Füllwörtern oder Adjektiven". Ich nicht.

Ich mache inzwischen aus den meisten Gedichten anderer, die diese Attribute aufweisen, formal korrekte, bereinigt um jedes überflüssiges Wort und jede Inversion und mit stärkerer Wirkung.
Trotzdem lieben manche ihre Version mit den Schwächen mehr. Andere bedanken sich, ändern die Texte, allerdings auf ihre Weise und immer noch suboptimal. Ich hake da nie nach, sondern respektiere ihr völliges oder teilweises Beharren. Ich war früher auch so.


     
« Letzte Änderung: November 02, 2020, 23:44:24 von gummibaum »

AlteLyrikerin

Re: herbst
« Antwort #7 am: November 03, 2020, 15:05:33 »
Hallo Emilie,
eine Herbststimmung, die man kaum goutieren kann, dafür ums so mehr Deine kreativen Metaphern.
Das gefällt mir wirklich sehr gut!
Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.

Emilie

Re: herbst
« Antwort #8 am: November 04, 2020, 10:31:49 »
Vielen Dank für die Kommentare @gummibaum und @AlteLyrikerin.

Deine Haltung, lieber gummibaum, ist sehr weise und gereift. Sehr vorbildlich. :)

Danke für das schöne Lob, liebe AlteLyrikerin.

Emilie

Erich Kykal

Re: herbst
« Antwort #9 am: November 04, 2020, 13:32:02 »
Hi Emilie!

Sehr diskret, dein kleiner Seitenhieb:

... ist sehr weise und gereift. Sehr vorbildlich. :)

Womit du indirekt natürlich mir unterstellst, ich wäre weder das eine noch das andere, weil ich ja insistierte und zu diskutieren versuchte.  ;)

Zum Glück trifft mich das nicht - ich war früher mal so ...  :)

Und ja - de gustibus non est disputandum usw.,

Ich habe (seit ich George gelesen habe) eben nur persönlich etwas gegen diese in meinen Augen bloß modernisieren wollend wirkenden optischen Effekte wie beispielsweise Kleinschreibung, Weglassung der Satzzeichen, oder jede Zeile groß beginnen zu müssen, bloß weil es Lyrik sei!
In meinen Augen sind das armselige Manierismen, die einem Werk "Bedeutung" verleihen sollen, so als fürchte der Autor bewusst oder unbewusst, seine Arbeit könnte ohne diese billige Effekthascherei zu wenig Aufmerksamkeit erregen - so als würde er sich oder seinem Werk anders nicht zutrauen, genügend Wirkung zu erzielen. Klar, eine persönliche Schlußfolgerung, die keinen Anspruch auf umfassende Bewahrheitung hat - aber rate mal, wie oft ich damit richtig liege!  ;)

Abgesehen davon machen diese Kinkerlitzchen den Text unübersichtlich, ungegliedert, schwieriger lesbar. Die Kleinschreibung (oder Großschreibung am Versbeginn) führen auch oft zu Missinterpretationen bestimmter Begriffe, die man als Substantiv oder auch als Verb, respektive Adjektiv auslegen kann, je nachdem, ob groß oder klein geschrieben, sodass der Leser verwirrt aus dem Takt geworfen wird und neu ansetzen muss.
Kurz - es ist unsäglich mühsamer, sich durch solch optisch deregulierte Texte zu quälen, zumindest ist dies mein - zugegeben subjektiver - Eindruck. Daher mag es sein, dass ich zuweilen etwas heftiger darauf reagiere als aus unvoreingenommener Sicht notwendig.

Ich bitte, mir das nachzusehen.  :-\

LG, eKy

« Letzte Änderung: November 04, 2020, 13:34:12 von Erich Kykal »
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Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Emilie

Re: herbst
« Antwort #10 am: November 05, 2020, 07:18:09 »
Hallo lieber Erich,

die Antwort an gummibaum war kein Seitenhieb gegen deine Person.
:)

Emilie

Erich Kykal

Re: herbst
« Antwort #11 am: November 05, 2020, 18:30:26 »
Kein Problem, so oder so.  8) :)

LG, eKy
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Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
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