Hi eKy!
Ein Wintergleichnis, bei dem ich aus naheliegenden Gründen vehement auf die Unterscheidung von Autor und Li dränge!
Formal hast Du hier ein ungewöhnliches (aber stimmiges
) metrisches Schema gewählt: Es wechseln sich sechs- und sieben-hebige Zeilen ab. Bei mehr als sechs Hebungen und einem nicht paargereimten Gedicht wird es für das Ohr des Hörers meist schwierig, die Reimendungen im Vortrag noch gut herauszuhören, zumindest, wenn die rhythmische Gestaltung nicht ohne Fehl und Tadel ist. Da Du Letzteres aber gewohnt souverän realisierst
, hält man auch die Überlänge der Zeilen durch, ohne dass der Text in einen Prosa-Klang kippt. Es hat schon Gründe, warum sich drei-, vier- und fünf-hebige Verse so allgemein durchgesetzt haben; bei kürzeren Zeilen ist es viel einfacher, einen überzeugenden Reimklang zu generieren - aber Du suchst ja gerne die technische Herausforderung!
Zwei kleine Stutz-Momente hatte ich, einer davon war mit leicht gefältelter Stirn verbunden, der andere mit einem erfreuten Lächeln:
- Z.10: Hier passt der Konjuktiv für persönlich mich nicht, da der ganze Duktus des Gedichts tatsächlich von einer Wertschätzung der Flocken kündet (wenn auch eine mitleidige Wertschätzung, da sie auf dem "gärenden" Schmutz der Erde enden). Der ganze rhetorische Aufwand, der den vergehenden Flocken gilt, wird doch entwertet, wenn sie in der Achtung des LI mit Staub und Schmutz auf einer Stufe stehen. Und ganz unabhängig davon, erscheint mir die artikellose Fügung "als Sommers Staub" irgendwie verstümmelt - zwar grammatisch nicht falsch, aber für mein Sprachempfinden eher unschön. Vorschlag daher: "Ich schätze sie wahrhaftig höher als den Sommerstaub,"
- Z. 12: Hier gesellte sich Erfreunis zur Überraschung: Das Wörtchen "Salat" ist in Gedichten, die den "hohen Ton" pflegen, unterrepräsentiert, denn (hier greift ein schwer bestimmbares psychologisches Momentum) es gibt tatsächlich unter den Wörtern der korrekten Hochsprache solche, die eine aristokratische Aura verströmen und solche, die von plebejischerer Natur sind. Am besten kann man das wohl wirklich im vegetabilen Feld nachvollziehen: Es gibt so manche Gedichte in erhabenem Gestus, in denen Lorbeer, Myrte, Wermut, Kalmus, Bambus, Efeu, Rosen, Astern, Reseden, Lilien, aber auch das bescheidene Veilchen oder das unauffällige Gras besungen werden. Hingegen lassen sich (abseits komischer Lyrik) kaum Beispiele finden, in denen meinethalben Petersilie, Rettich, Kürbis oder Mais zur Sprache gebracht werden. Auch der Schnittlauch wäre hier wohl zu nennen, weshalb Karl Krauss ihm als eine Art Verfremdungseffekt ein im Wortsinne todernstes Gedicht in erhabenster Sprache widmete. Oder man denke an Jan Wagners Sonett über den Giersch, das sich ebenfalls in den höchsten, der modernen Lyrik zur Verfügung stehenden Tönen, eines Outlaws unter den lyrischen Gewächsen annimmt.
Zu solcher Art gehört für mich auch der Salat. Schwer vorstellbar, dass ein Hölderlin oder Schiller den Salat zum Gegenstand ernster Lyrik machen würden oder Rilke ihm süchtige Zeilen widmete. Hier in Deinem schönen Gedicht aber taucht er auf und wird sogar zu einem Sinnbild menschlichen Schicksals. Mir hat das sehr gefallen, weil es zum Nachdenken anregt, über eingefahrene und inhaltlich nicht begründbare Lesegewohnheiten im Bereich der Lyrik.
Also eine anregende und sehr schöne Lektüre, die Du hier der geneigten Kenntnisnahme des Lesers anheim gestellt hast.
Dankeschön dafür!
S.