Autor Thema: Die Unbeschwerte  (Gelesen 982 mal)

Erich Kykal

Die Unbeschwerte
« am: Februar 28, 2021, 11:21:07 »
Die Nacht ist kühl, und kalt bleibt auch die Seite
des Bettes, die dein sanftes Atmen trug,
und deine Wärme, derer nie genug
ich fühlen durfte, wenn es draußen schneite.

Du gingst, so wie du kamst: Im Träumen
wahrhaftiger als in der wahren Welt.
Du hast dich weich in meinen Weg gestellt,
und wohntest wie ein Geist in meinen Räumen.

Ein Sanftes warst du, zärtlich und vollkommen,
ganz hingegeben an den Augenblick.
Du schenktest ihn und nahmst ihn nie zurück,
vom Innigsten erobert und benommen.

Wohin mag dich dein Ungesagtes treiben
in dieser Welt aus Aderlass und Schein?
Wir sollten nicht mehr miteinander sein,
und konnten doch nicht ohne Liebe bleiben.

Wer mag dich bergen heut in seinen Küssen,
bewohnt dein Sehnen wie ein lieber Gast,
und darf den Wünschen, die du an ihn hast,
der Anker sein, um den sie treiben müssen?

Wer es auch sei, du wirst auch ihn verlassen,
sobald dich eine neue Note streift
im Lied des Lebens, das dein Herz begreift,
und dem es folgen muss, um es zu fassen.
« Letzte Änderung: November 01, 2024, 11:41:14 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Rocco

Re: Die Unbeschwerte
« Antwort #1 am: Februar 28, 2021, 12:24:33 »
Hallo Erich,

vor allem die vierte Strophe erinnert mich an Der Raum in dir. Im Rückblick, scheint das eins deiner zentralen Gedichte zu sein. Wenn man arg vereinfacht, sind deine letzten Gedichte Varianten zu diesem Thema. Es geht immer um die Innen- und Außenwelt und um ein lyr. Ich und Du.

Ich könnte jetzt sagen, an was mich das erinnert, lasse es aber, weil ich gerne Schlüsse ziehe und mir so nur Sichtweisen verbaue. Ich glaube, dass, zum Beispiel, mein Hinweis auf Nietzsche nur oberflächlich gesehen richtig ist. Ich muss mir angewöhnen, gründlicher zu denken.

Eines fällt mir auf: In Deutschland gibt es die Phrase: Küsse sind die sanftesten Ruhekissen, wenn du also von Küssen sprichst, die bergen, ist das nah dran an den Ruhekissen. Und nein, das war jetzt keine Kritik, sondern ein neutraler Hinweis.

Einen schönen Tag

Rocco
« Letzte Änderung: Februar 28, 2021, 12:27:06 von Rocco »
"Erst in Rage werde ich grob -
aber gelte als der Hitzkopf?!"

Yusuf Ben Goldstein, aus Rocco Mondrians Komödie: Yusuf Ben Goldstein, ein aufrechter Deutscher

Erich Kykal

Re: Die Unbeschwerte
« Antwort #2 am: Februar 28, 2021, 17:21:11 »
Hi Rocco!

Ich schreibe einfach, kümmere mich aktiven Geistes dabei um Metrik und Reime und überlasse es tieferen Bewusstseinsschichten, die Thematik zu kristallisieren und zu verfolgen. Oft bin ich selbst überrascht, wo mich ein Gedicht, das ich meist mit einer Zeile oder Phrase beginne, die mir gerade so zufliegt, hingeführt hat, und die Conclusio eine ganz andere wurde als antizipiert.

An irgendwelche Philosophen denke ich dabei sowas von gar nie ...

Jemanden in seinen Armen zu bergen, erschien mir als Phrase schon etwas zu oft bemüht und abgegriffen - warum nicht also mal in Küssen. Und bergen im Sinne von retten und/oder beschützen, oder im Sinne von ver-bergen (vor Feinden oder der harten Welt), mit Ruhekissen hat das nichts zu tun.
Zudem verleihen die Küsse dem Ganzen eine zusätzliche - und nie zu unterschätzende - erotische Komponente.

Vielen Dank für deine Gedanken!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

hans beislschmidt

Re: Die Unbeschwerte
« Antwort #3 am: M?RZ 01, 2021, 10:43:38 »
Lieber Erich,
Das Narrativ (geiles Modewort hehe) deines Gedichts fällt recht üppig aus mit 5 Hebungen und sechs Versen, fast schon eine Ballade.

Wer ist sie, die ständig Getriebene, die neuen Reizen verfällt und Veränderungen braucht? Eine Ausnahme, auf jeden Fall, im Gegensatz zu ihren zahlreichen nestbauenden Schwestern und doch geistert sie in den Köpfen der Männer herum, die mit Erstaunen feststellen, dass bei ihr die vorgeformten Zukunftsperspektiven an der Vorgartenidylle scheitern. Die Rastlosigkeit und Erfahrungslust plätschern nach einer Zeit aber nur noch dahin und wir lächeln oftmals ob der Bescheidenheit derer, die sie als letzte "bergen" und den "Jetset" mit langweiliger Normalität beenden. Das nur zum Trost.

Zitat
Erinnert mich an an Peter Sarstedts Song von 1969
But where do you go to, my lovely
When you're alone in your bed?
Tell me the thoughts that surround you
I want to look inside your head, yes, I do
.
https://youtu.be/L8XQZYIiNgo

Ich hätte da einiges zu berichten.
Gern gelesen.  Gruß vom Hans
« Letzte Änderung: M?RZ 01, 2021, 11:53:30 von hans beislschmidt »
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

Erich Kykal

Re: Die Unbeschwerte
« Antwort #4 am: M?RZ 01, 2021, 19:07:31 »
Hi Hans!

Weniger getrieben als vielmehr treibend, sich treiben lassend. Eine "leichte" Seele, die sich selig verschenkt - auf Zeit. Die die Welt bereist, immer Neues und neue Menschen kennenlernen und auskosten will. Eine ungebundene Lebensnomadin - immer freudvoll, freundlich, lebensfroh, aber nicht besitztauglich.

Fest und für immer gibt es für solche Menschen nicht. Mancher nennt sie leichtfertig oder verantwortungslos, aber das wird ihrer nicht gerecht. So eine Lebensführung ist eben nicht schlechter, bloß anders. sie hat andere Prämissen und Grundätze, das muss nicht unmoralisch sein.

Starre Menschen können das nicht verstehen oder tolerieren. Vor allem solche, die besitzen wollen, eifersüchtig Kontrolle ausüben müssen.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Agneta

  • Gast
Re: Die Unbeschwerte
« Antwort #5 am: M?RZ 02, 2021, 20:36:49 »
das sind wunderschöne Zeilen, Erich. Beschrieben wird eine Frau, die voller Gefühl gibt, aber doch nicht bleibt. Vielleicht auch eine Lebensphase in der Jugend. Vers 3 gefällt mir besonders gut.
Sehr gerne gelesen mit lG von Agneta

AlteLyrikerin

Re: Die Unbeschwerte
« Antwort #6 am: M?RZ 03, 2021, 11:31:51 »
Hallo Erich,

gern schließe ich mich den Vorrednern an. Ein sehr berührendes Gedicht, über eine Liebe, die, warum auch immer, nicht bleiben kann. Dennoch wird sie hier, erinnernd, wertgeschätzt ohne den bitteren Beigeschmack einer eifersüchtigen Verurteilung. Ja, es wäre zu kurz gegriffen, eine solche, unstete Lebensweise zu verurteilen. Die wenigsten können das, so wie das LyrIch es hier in zarten Bildern beschreibt, annehmen und auch wieder aufgeben ohne Häme.
Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.

Erich Kykal

Re: Die Unbeschwerte
« Antwort #7 am: M?RZ 03, 2021, 18:26:05 »
Hi Agneta, AL!

Es gibt solche Menschen, die sich verschenken, sich ohne Hintergedanken hingeben - aber niemals binden oder sich binden lassen. Sie gehören niemandem - und der ganzen Welt. Man genießt die Zeit mit ihnen, aber man spürt, ahnt, weiß irgendwann, dass sie wieder weiterziehen werden, früher oder später.
Wer das annehmen und akzeptieren kann, vermag ihre Gegenwart wie ein Geschenk des Schicksals zu genießen. Der Besitzergreifende hingegen wird ihrer fluchen, sie oberfächlich, frivol, lasterhaft, promiskuitiv oder sonstwas nennen, weil es für solche Leute ja stets die Schuld des anderen sein muss, wenn sie nicht bekommen, was sie wollen.  ;)

Vielen Dank für eure wohlwollenden Zeilen!  :)

LG, eKy

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Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Die Unbeschwerte
« Antwort #8 am: M?RZ 15, 2021, 11:07:40 »
Hi eKy!

Kein Wort des Lobes meiner Vorredner ist zuviel angesichts dieser seelenvollen und sprachschönen Zeilen! :)

Beim Lesen der ersten Strophen dachte ich ja, es sei hier Deine Katze besungen... erst beim Weiterlesen habe ich den Gesang dann als Liebeslyrik an einen kurzzeitig die Freuden der Liebe mit dem LI teilenden Mitmenschen eingeordnet.

Etwas Katzenhaftes mag der besungenen Person vielleicht tatsächlich anhaften, der feline Freiheitsdrang gepaart mit der Fähigkeit, Wärme und Gesellschaft zu spenden. Letzteres unter den heute geltenden Bedingungen bürgerlicher Liebe aber nur auf Zeit. Vielleicht wäre die angesprochene Person im 68er-Zeitalter freier Liebe länger an der Seite des LI geblieben?

Das einzigste ;) was mich etwas stört, ist, dass mir das Gedicht beim Lesen inhaltlich "etwas zu eng sitzt" - in S5 wird determiniert, dass die Besungene Person offenbar jetzt mit einer anderen Person Leben und Lager teilt und in S6 wird dann festgezurrt, dass auch diese Beziehung und alle Folgenden niemals von Dauer sein werden. Das mag durchaus realistisch sein, aber ich hätte das als Leser lieber selbst entschieden (oder auch nicht entschieden), wie es wohl mit der Person weiter geht oder weiter gegangen ist. Von daher hätte ich wohl knallhart nach der wunderbaren S4 (meine Lieblingsstrophe des Gedichts) den Schlusspunkt gemacht.

Dieser Einwand von mir ist natürlich nichts Neues und ich bin hier nicht im Recht und Du bist hier nicht im Unrecht - es ist einfach eine Frage der Vorliebe: Ich schätze es, wenn mir als Leser Deutungsspielraum zugesprochen wird und Du schätzt die inhaltliche Klarheit höher, weshalb Du das Feld sozusagen gerne einigermaßen abgesteckt weißt - das hat für Dich auch etwas mit Zugewandtheit gegenüber dem Leser zu tun, ist also wahrlich nichts Schlechtes. Geschmackssache eben. :)

LG!

S.


Erich Kykal

Re: Die Unbeschwerte
« Antwort #9 am: M?RZ 15, 2021, 18:33:09 »
Hi Suf!

Ich pflichte bei. Ich gebe dem Leser eben gern etwas eher Handfestes in die metaphorischen Hände - zum dran Festhalten bei der Gehirnakrobatik, die nötig ist, um meiner lyrischen Sprache zu folgen.  ;)

Vielen Dank für die "vertiefenden" Lobesworte!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
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