Autor Thema: Ich liebe meine Strickliesel  (Gelesen 874 mal)

hans beislschmidt

Ich liebe meine Strickliesel
« am: Dezember 06, 2020, 15:10:14 »
Ich liebe meine Strickliesel

Ganz oben ziehe ich die Wolle ein
und aus dem schlanken Leib aus Holz,
kommt unten raus ein Verselein,
drauf bin ich immer mächtig stolz.

So stricke ich tagaus tagein,
die Themen sind mir ganz egal,
ich reime mich so richtig rein
und Pausen sind für mich nur Qual.

Wenn's gar am Tage drei mal flutscht
mit meiner selbst gestrickten Doll,
der dicke Strang nach unten rutscht,
ist auch am End der Eimer voll.
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

Erich Kykal

Re: Ich liebe meine Strickliesel
« Antwort #1 am: Dezember 06, 2020, 16:48:48 »
Hi Hans!

Interessantes Gedicht. Ich weiß immer noch nicht, ob jetzt tatsächlich von gestrickter Wolle die Rede ist - oder von der Dichtkunst.  ;D Zwei Deutungsebenen, durch ein paar Mehrdeutigkeiten so dicht beieinander und miteinander verwoben, dass ein Abgrenzung in wörtlichen Inhalt und Metaebene schier unmöglich erscheint. Eins als Gleichnis zum anderen ...

Man kann nur hoffen, dass mit dem Eimer am Ende nicht der Mülleimer gemeint ist ...  ;) ;D

Zumindest dieses Gedicht wird dort nicht enden! Sehr gern gelesen!  :)

LG, eKy


PS: Zu deiner Signatur:

Wäre "Wir sollten mehr sein!" nicht ein adäquaterer Spruch als Hilfe für den Konjunktiv!?  ;D
« Letzte Änderung: Dezember 06, 2020, 16:51:16 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

hans beislschmidt

Re: Ich liebe meine Strickliesel
« Antwort #2 am: Dezember 06, 2020, 18:20:18 »
Hi Erich,
wie in der Bibel Wasser zu Wein wird, wird bei der Strickliesel Wolle zum Wort. Ob es hernach dem Wein nacheifert und zu etwas Besserem mutiert, beantwortet der Eimer zum Schluss. Gruß vom Hans
.
Richtig, der Konjunktiv war eine Römer-Parodie und der wandelt nicht mehr im Wiesengrund. Die Signatur wird geändert
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

Sufnus

Re: Ich liebe meine Strickliesel
« Antwort #3 am: Dezember 06, 2020, 19:16:00 »
Hi Hans! :)
Ich denke, mir ist einigermaßen klar, was sich da untenrum bei der Liesel abseilt und in welchem Eimer folglich das Erzeugnis landet... ;)
Gut gebrüllt, lieber Hans, da hast Du den "un-engagierten" Dichtern (zu denen ich mich im Großen und Ganzen auch zählen würde) ordentlich eingeschenkt! Das muss sich die Zunft der L'art pour l'art-isten dann wohl gefallen lassen. :)

Kleine Vorschläge zur Abrundung:

Ganz oben zieh ich Flusen ein
und aus dem schlanken Leib aus Holz,
quillt untenrum ein Verselein,
darauf bin ich ganz mächtig stolz.

So stricke ich tagaus tagein,
die Themen sind mir ganz egal,
ich reime mich so richtig rein
und falls sich's staut, dann leid ich Qual

und wenn's gar täglich drei mal flutscht
mit meiner selbst gestrickten Doll,
der dicke Strang nach unten rutscht,
ist auch am End der Eimer voll.


LG!

S.

gummibaum

Re: Ich liebe meine Strickliesel
« Antwort #4 am: Dezember 06, 2020, 20:06:25 »
Lieber Hans, lieber Erich, lieber Sufnus,

ich musste über das Gedicht und mehr noch über die Kommentare schallend lachen. Vielen Dank.

Mit lieben Grüßen
gummibaum

 

hans beislschmidt

Re: Ich liebe meine Strickliesel
« Antwort #5 am: Dezember 06, 2020, 21:25:31 »
Mein lieber Sufnus,
ich gebe ehrlich zu, dass ich eine Inspiration zum Dichten brauche. Ärger, Trauer, Liebe, was auch immer und dadurch ergeben sich gröbere Akzente, die einer aufgeladenen Emotion Tribut zollen und scharfkantiger erscheinen als ein wohl temperierter Tropfen aus dem erlesenen Keller. Aber ohne diese treibende Kraft, entwickelt sich kein Funke und schon gar keine Allegorie, die aber für mich unerlässlich ist. Es gibt ja herrliche "Strickmuster" aber das ist nicht mein Ding, schon gar nicht beim Dichten.

Die Strickliesel, jenes hölzerne Ding, ist meist dazu da um Wollreste von Pullovern und Socken zu verarbeiten - ein Resteverwerter für Topflappen also. Der Begriff Doll ist deiner Aumerksamkeit entgangen, was mich wundert, denn ich hatte als Anspielung darauf auch eine Art von Fetisch im Sinn, wobei danach die Begriffe Strang und Eimer auch anders gedeutet werden könnten. Aber das hast du wohl eingangs angedeutet.

Ich erinnere mich an das Thema Lyrik im Abreißkalenderformat mit wohlfeilen Sprüchen bekannter Denker. Solche sinnstiftende Anspielungen sind es, die nur einen kurzen Lichtpunkt setzen aber nicht tatsächlich leuchten. Das führt zu einem nicht enden wollenden Streueffekt und erinnert mich an Eugen Roth, von dem vier dicke Bände bei mir im Regal stehen. Nachdem ich mich durch "Ein Mensch" gequält hatte, musste ich aufgeben, auch wenn er diese Gedichte als Auftragskolumnen für Zeitungen verfasst hatte, war in allen das Beliebigkeitsmodul eingebaut, welches mit Reimroutine jede Thematik von der Wiege bis zum Totenbett abdeckte. Das ist irgendwann gähnend langweilig, weil der Funke, der Esprit fehlt. Zudem habe ich den Zeitaufwand der paar tausend Werke grob hochgerechnet und mich gefragt- "was hat der Mann eigentlich im Leben sonst noch gemacht?" Ein Konsalikverdächtiger Vieldichter, so kommt es mir heute vor.

In dieser Gedankenwelt ist die Strick/Dichtliesel  entstanden und einerseits bin ich unzufrieden, dass mir diese Fülle nicht aus der Feder fließt,  andererseits bin ich mir nicht sicher ob mir ein solches Reimstakkato schlußendlich gefallen würde, weil zwanghaftes Handeln mir schon immer zuwider war.
Vielen Dank für deine Version aber in diesem Falle möchte ich es bei klarer Kante belassen.
Schönen Sonntag. Gruß vom Hans
.
Lieber Gummibaum,
freut mich sehr für Erheiterung gesorgt zu haben.
Gruß vom Hans
« Letzte Änderung: Dezember 06, 2020, 21:31:13 von hans beislschmidt »
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

Sufnus

Re: Ich liebe meine Strickliesel
« Antwort #6 am: Dezember 07, 2020, 17:32:16 »
Hi Hans!
Also Eugen Roth ist sicher ein verhältnismäßig "seichter" Lyriker, der eher dem angehört, was man im Deutschen Unterhaltungsliteratur nennt (um den unschönen Ausdruck der Trivialliteratur mal zu vermeiden).
Ich muss dabei allerdings einwerfen, dass ich für die Dichtung vom Herrn Roth trotzdem gewisse Sympathien habe, weil mir u. a. der Kontakt mit seinen Gedichten als Kind das Handwerk der Lyrik näher gebracht hat. Eugen Roth war ja auch in Rhythmus, Klang und Reim schon ein sehr solider Schreiber - insofern habe ich viel von ihm lernen können.
Letztlich waren es drei "Werke", die in mir als kleines Kind die Liebe zur Lyrik geweckt haben: Eugen Roth, die Salamanderhefte und... der Osterspaziergang von Goethe. Also eine ganz ausgewogene Mischung. :)
LG,
S.

Agneta

  • Gast
Re: Ich liebe meine Strickliesel
« Antwort #7 am: Dezember 07, 2020, 20:04:26 »
da ist scheinbar von Tief Gang die Rede... ;D ;D ;D