Autor Thema: Bis zur Neige  (Gelesen 843 mal)

AlteLyrikerin

Bis zur Neige
« am: Juni 20, 2020, 13:33:02 »
 Ich will ihn trinken
 bis zur Neige,
 den Becher des Lebens,
 den ich nicht gefüllt.

 Nicht in kleinen
 ängstlichen Schlucken
 und nicht in fühllos
 trunkener Gier.

 Im verborgenen Winkel
 des Geizes nicht
 und nicht in maßlos
 verschwendender Pracht. 

 Zu Zeiten einsam
 in Gemeinschaften oft,
 in Dankbarkeit stets
 und in Ehrfurcht.

Erich Kykal

Re: Bis zur Neige
« Antwort #1 am: Juni 20, 2020, 14:36:53 »
Hi AL!

Eine gute Haltung, und Ehrfurcht vor dem Leben ist immer ein Beweis demütiger Weisheit.

Ja, wir haben es uns nicht ausgesucht, geboren zu werden . Klar, wir waren ja zuvor nicht, und danach ist der Lebenswille jedem Geschöpf genetisch einprogrammiert. Man muss aber ehrlich sagen: Meistens ist es auch ein Genuss, leben zu dürfen, und die Dankbarkeit dafür ist der Ausdruck dessen.

Und ja, das richtige Maß zu halten ist wichtig. Nicht, dass das jedem und in jeder Hinsicht gelingt - ich zum Beispiel hatte immer ein Problem damit: Was ich begann, machte ich meist zu intensiv, warf mich hinein wie ein Trunkener, der sich vergessen will und betrieb es bis ins ungesunde Extrem. Mein Lohn: Schwere Adipositas, Fettleber, eingeschränkte Lungenfunktion, Rheuma und Gicht, hoher Blutdruck und Harnsäurewerte jenseits von Odumeingott, Krebs - und alles das schon mit Mitte Fünfzig.  ::)

Gern gelesen!  ;)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Eleonore

  • Gast
Re: Bis zur Neige
« Antwort #2 am: Juni 20, 2020, 19:44:05 »
Hallo Alte Lyrikerin

Du sprichst aus,
was ich die letzten Tage zunehmend mehr empfinde.

Ich halte an manchen Tagen dieses Nicht-aus-dem-Vollen-nehmen
nicht mehr aus.
Diese vielen Ecken und Kanten um die eine herumschippern muss -
Corona machts nicht leichter . Maske auf, Maske ab ...Maske vergessen ... Maske zwickt... Maske stört.
Andere nuscheln einen durch Masken an ... arggghhhh!!

Den Kelch nehmen und einfach trinken.... ,
wie er eingeschenkt ist.
Mich nicht immer um die Leute scheren .... --
diese waren in meinem Elternhaus die oberste Instanz:
"Was wohl die Leute denken!" .....

Den Krug leeren in Dankbarkeit, ja, das ist besonders wichtig und hilft mir,
meine innere Haltung sehr schnell ins Leichtere zu wenden.
Ehrfurcht - darüber muss ich nochmal nachdenken .... ,
ob ich auch Ehrfurcht empfinde vor dem Leben.
Dies ist ein Wort, das ich nicht verwende -- nie.
Vllt. stösst es mich erstmal weg, weil die "Furcht" mit drinnen ist.

Demut liegt mir da näher .... also das Erkennen meiner Kleinheit, meiner Unwichtigkeit.

Erich ich bin auch ziemlich übergewichtig --
Essen musste bei mir für ziemlich viel herhalten.....

Ich schätze mal, dass jegliche Lebensäußerung, die ich als Säugling und Kleinkind tat,
mit Futter erwidert wurde. Und ich dies mir ebenso angeeignet habe.

herzliche Grüße

Eleonore

AlteLyrikerin

Re: Bis zur Neige
« Antwort #3 am: Juni 20, 2020, 20:49:03 »
Lieber Erich,
mit diesem Satz
Zitat
Meistens ist es auch ein Genuss, leben zu dürfen, und die Dankbarkeit dafür ist der Ausdruck dessen.
beschreibst Du sehr gut die Kernaussage des Gedichtes. Deine schweren Erkrankungen gehen mir nahe. Aber ohne Dich genauer zu kennen, ist es schwer da etwas Passendes zu schreiben, damit Du es nicht als Mitleid empfindest. Viele Menschen mit schweren Erkrankungen, die ich kenne, reagieren allergisch auf sogenanntes "Mitleid".
Herzlichen Dank jedenfalls für Deinen Kommentar.


Liebe Eleonore,
es freut mich sehr, dass die Verse Dich ansprechen. Ja, über den Begriff Ehrfurcht lohnte es sich tiefer nachzudenken. Ich denke, es steckt darin (u.a.) die Idee, etwas Erhabenes, unvorstellbar den Menschen Überragendes zu ehren und dabei vor dem Geheimnis (z.B. der Entstehung menschlichen Lebens) einen riesigen Respekt zu haben. Für mich ist es semantisch  nicht deckungsgleich mit der Furcht vor einer konkreten Gefahr.
Ich freue mich, dass Du Dich befreien konntest von dem sozialen Überich ("was wohl die Leute denken"). Die eigene Haltung zu finden und zu behaupten scheint mir etwas Kostbares im Leben zu sein. Auch Dir herzlichen Dank für Deinen Kommentar.


AlteLyrikerin.

Agneta

  • Gast
Re: Bis zur Neige
« Antwort #4 am: Juni 24, 2020, 15:03:42 »
mutet fast an wie eine Sappho, liebe AL. Mag ich sehr. Schreibst du sapphische Oden?
LG von Agneta

AlteLyrikerin

Re: Bis zur Neige
« Antwort #5 am: Juni 24, 2020, 19:59:46 »
Liebe Agneta,
herzlichen Dank für Dein "mag ich sehr". Sapphische Oden schreibe ich nicht. Verse aus dem altgriechischen Kulturkreis haben oft eine exzellent ausgefeilte Metrik. Das bindet mich zu sehr. Außerdem mag ich keine übersetzte Lyrik. Wirklich angemessen wäre doch nur eine kongeniale Nachdichtung. Darum bleibe ich lieber in meiner Muttersprache, wo ich die semantischen Feinheiten und die kulturellen Kontexte verstehe.
Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.