Winter in Niederbayern (1969/ 70)
Diese eisigkalten Wintermorgen. Sie glitzerten voller Verheißung, damals. Unsere Skiausrüstung war bittereinfach - womöglich noch annähernd handgeschnitzt oder aus dem Erzgebirge. Skischuhe mit steifgefrorenen Bändern und Zwölflochbindung. Skibindung himmelschreiend primitiv - fast nur Draht über die Hacken gelegt.
Keine Beine gebrochen, aber mit viel Hallodrio die Berge hinunter. Vielleicht zweimeterfuffzig hoch. In der gefürchteten und vereisten Kurve, wo manche Kinder waghalsig mit zwei bis drei Schlitten aneinander gebunden hinunter bretterten gab die Abfahrt gut und gerne fünfzehn Meter her.
Das wurlte, wimmelte, schrie und weinte ... . Und das glitzerte vor allem. Vor allem glitzerte es.
Manchmal waren die Ohren so kalt geworden, dass man weinen musste auf dem Heimweg und die Fäustlinge an die Finger fast hingefroren. Aber keine Macht der Welt hätte mich davon abgehalten, am nächsten Tag wieder hinauszustapfen. Der Winter war meine Heimat. Der Winter und seine Verzauberung und sein hartgefrorenes Baumaterial.
Klar musste ich auch ab und an einen auf "chic" machen. Im Katalog von der Quelle durfte ich mir selber ne Jacke aussuchen - die war türkis und mit Borten rechts und links vom Reißverschluß und mit Fell am Kragen. Drunter der fast verfilzte grüne Pullover von meiner strickenden Oma aus Niedersachsen. Solche Pullover trennten wir damals noch auf, wenn sie zu klein wurden. Gaben noch genug her für Socken. Mindestens.
Nachdem Ohren und Hände und Nasenspitzen wieder auf Zimmertemperatur gebracht waren - manchmal unter fließend Kaltwasser - wurde Proviant gefasst. Dann gings eventuell nochmal auf die Piste. Diesmal aufs Fünfzehner-Bergerl. Das hieß nicht ohne Grund so. War fünfzehn, wenn nicht mehr Meter hoch und gefürchtet ob seiner Herausforderungen. Bei guten Schneeverhältnissen musste eine am Ende der Abfahrt einen Stop hinlegen. Manche ließen sich einfach hinplumpsen. Die Geübteren machten die einschlägigen Wendemanöver, manche mit viel Bravour.
Aber diese Herausforderungen hielten uns nicht davon ab, auch noch Sprungschanzen in den halsbrecherischen Verlauf einzubauen. Genau erinner ich mich nicht mehr, aber es könnte sein, wir flogen annähernd so weit, wie die bei der Vierschanzentournee. War Pflichtlektüre am Fernseher damals und beeindruckte uns schwer.
Wenn man oben stand und unten wurlte es noch vor Kindern und man war ungeduldig, weil man ins Tal wollte, dann gab es einen Warnspruch, der ging so: "Aus der Bahn, Zuckerzahn. Wer stehen bleibt, den fahrn wir zam." Klare und eindeutige Ansagen waren das.
Irgendwann dann kam Tauwetter und die Grasnabe schaute immer penetranter hervor. Dann wurden die Skier eingemottet. Spätestens am Gymnasium und mit den ersten Skikursen, die teilweise desaströse Situationen hervorriefen, geriet das, was einer meiner Lebensquellen war, zur Pflichtübung. Da wurden dann die Tausender befahren und nicht die Zweimeterfuffzig. Konnte man angeben damit - mein Herz allerdings hat die Ski in der Mottenkiste gelassen.
Was übrigens absolut unglaublich ist: Keine einzige Mutter war in diesem Gewurle anwesend; höchstens wenn ein Kleinkind mal für ne halbe Stunde auf Besuch kam, war es wohl behütet. Den Rest managten wir in völliger Eigenregie und gut!