Autor Thema: Kein Halt, nirgends  (Gelesen 1325 mal)

stephanus mall

Kein Halt, nirgends
« am: Juni 01, 2020, 18:18:38 »
Grelles Licht trifft auf schutzlose Körper
Steuerlos treibt das Boot auf uferlosem See
Fehlender Anker ... fiele ins Bodenlose

Agneta

  • Gast
Re: Kein Halt, nirgends
« Antwort #1 am: Juni 02, 2020, 19:03:06 »
ohne einen Ankerplatz, der genauso wichtig ist wie der Anker, lieber Stephan, sieht die Welt düster aus. Meistens lichten sich die Gefilde wieder. Und der Ankerplatz liegt am Horizont sichtbar. Ich wünsche es dem LI. LG von Agneta

stephanus mall

Re: Kein Halt, nirgends
« Antwort #2 am: Juni 05, 2020, 12:24:33 »
Ja liebe Agneta,
es ist eine Dystopie, die sicherlich der Situation geschuldet war und ist in der sich die
Welt befindet, auch ohne Corona. Aber Du hast natürlich recht, man darf, man soll die
Hoffnung nicht aus den Augen verlieren, ansonsten bewegt man sich in den Bereich
des Wahnsinns und dazu ist die verbleibende Lebenszeit zu schade. Aber dennoch ist
man nicht ganz frei immer mal wieder diesen und ähnlichen Gedanken zu verfallen.
Danke und Grüße
stm

Agneta

  • Gast
Re: Kein Halt, nirgends
« Antwort #3 am: Juni 05, 2020, 18:18:56 »
das stimmt, lieber Mall und letztlich umweht den Dichter doch immer ein Hauch Melancholie. Lächeln von Agneta

Sufnus

Re: Kein Halt, nirgends
« Antwort #4 am: Juni 10, 2020, 18:02:48 »
Lieber stm!
Ich liebe ganz kurze Gedichte. Bin ich ein fauler Mensch? ;D
Ganz widerlegen kann ich den Verdacht, mein Lesefleiß hielte sich in Grenzen, wohl nicht, aber es gibt auch noch ein hehreres Argument für kurze Gedichte: Sie lassen Spielraum, bieten Anknüpfungspunkte, ohne den Leser festzulegen.
Bei Deinem Gedicht macht mich nun nicht nur die Kürze an, sondern auch das lakonische Spiel mit doppelten Verneinungen. Bereits der Titel lebt davon, denn nirgendwo keinen Halt zu finden, heißt ja wörtlich genommen, überall Halt zu finden, was aber offenkundig nicht gemeint ist. Darüber hinaus haben wir natürlich das intertextuelle Momentum, dass auf Christa Wolfs Text "Kein Ort. Nirgends" verwiesen wird. In dieser Erzählung wird die fiktive Begegnung von Karoline von Günderrode und Heinrich von Kleist geschildert, zwei großen Außenseitern der deutsche Literaturlandschaft, die nie einen Platz für sich im Leben fanden.
Großartig die Paradoxie Deines nihilistischen Schlussbildes, lieber stm, vom fehlenden Anker, der ins Bodenlose fällt! Braucht es da aber wirklich den Konjunktiv? Der schwächt die Paradoxie ja wieder etwas ab. Auf alle Fälle korrespondiert dieses aquatische Bild durchaus mit Karoline und Heinrich, die ihrem Leben beide an Gewässern, dem Rhein bzw. dem kleinen Wannsee, ein Ende setzten.
Die erste Zeile des Gedichts passt m. E. übrigens nicht ganz so perfekt ins Bild. Man könnte natürlich an Scheinwerfer denken, die ein steuerloses Boot beleuchten, aber so ganz "rund" fühlt sich das für mich nicht an, auch ein Spiel mit der Verneinung fehlt hier und "das" Boot taucht dann in Zeile 2 recht unmotiviert auf.
Aber das ist mal wieder ein Kinkerlitzchen. :)
Ah... und was mir aber noch sehr gut gefällt, das sind die ...-Pünktchen nach dem Anker. Man könnte natürlich, mit Blick auf den "berühmtesten Gedankenstrich der deutschen Literatur" aus Kleists Marquise von O., auch ein Strichelchen setzen, aber mir gefallen tatsächlich die Pünktchen sehr gut, ich hab da untig noch etwas eskaliert! :)
Sehr sehr gerne gelesen! :)
S.

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Vorschlag:

Der Himmel ... türmt sich zur Windstille auf
Steuerlos treibt das Boot ... auf uferlosem See
Fehlender Anker ... fällt ins Bodenlose

stephanus mall

Re: Kein Halt, nirgends
« Antwort #5 am: Juni 11, 2020, 23:28:01 »
Lieber Sufnus,
Du hast dem Nagel wahscheinlich auf den Kopf getroffen,
ich hatte zwar ein ganz konkretes Bild vor Augen als ich die
erste Zeile verfasste, war aber nie so ganz glücklich damit.
Du hast mir eine schöne Brücke gebaut, ich würde es aber
noch krasser machen wollen, da muss ich aber erst mal drüber
nachdenken.
Ja, unsere gute Christa Wolf hat ein wenig Pate gestanden, zumindest
beim Titel, den Inhalt des Buches hatte ich da weniger im Hinterkopf,
aber es würde ja passen, wohl eher Zufall.
Die Pausen-Pünktchen liebe ich sehr und gehe da aber oftmals auch
zu sorglos mit um.
Die letzte Zeile war allerdings etwas anders gemeint und deshalb die
Pünktchen, im Sinne von, wenn der Anker da wäre, dann fiele er ...
Er ist aber nicht da. Also ein Bild, welches raumgreifend Hoffnungslosigkeit
ausstrahlen soll, in jeder Richtung des Koordinatensystems.
Lieber Sufnus, ich danke Dir sehr, dass Du Dir mit meinen Zeilen soviel
Mühe gemacht und mir vor allem aufgezeigt hast, wo das Defizit liegt.
War sehr schön von Dir zu hören.
Beste Grüße
stm