Autor Thema: Morgengruss in die Runde  (Gelesen 2520 mal)

Rocco

Morgengruss in die Runde
« am: November 23, 2020, 09:45:44 »
Liebe Wiesen-Dichter,

nun bin auch ich angekommen und geselle mich zu euch ins Grüne.

Ausser für Wälder und Wiesen interessiere ich mich für Literatur. In den letzten Jahren überwiegend Gedichte: Rolf Dieter Brinkmann, den ich für unterschätzt halte. Leider wird er kaum gelesen, obwohl er sich bemühte, nicht über Sachen zu dichten, sondern so zu schreiben, dass man empfindet, was er meint.

Meine Lieblingsautorin: Hilde Domin, die ich noch selbst, auf einer Lesung, erleben habe. Kurze Zeit später ist sie vertorben.

Daneben könnte ich weitere Autoren und Autorinnen nennen, die mir etwas bedeuten: Erich Kästner, Rose Ausländer usw. Ich habe lange gebraucht, bis ich Gedichte lesen und lieben gelernt habe. Das lag vor allem an der Schule, wo unser Lehrer mehr auf die Erfüllung des Lehrplans geachtet hat, als darauf, ob wir Schüler auch verstehen. Entsprechend waren meine Noten und mein Hass auf alle Lyrik.

Der Hass ist verraucht, geblieben ist die Einsicht, dass Gedichte Dialoge zwischen Autor und Leser sind, oder, wie Hilde Domin sagen würde: Gedichte sind eine Pause, in der Leser zu sich selbst finden können.

Eine, wie ich finde, hoffnungsvolle Aussage darüber, was Poesie ausmachen kann.

In diesem Sinne: Mögen der Lyrikwiese viele Gedichte blühen!

Euer Rocco

"Erst in Rage werde ich grob -
aber gelte als der Hitzkopf?!"

Yusuf Ben Goldstein, aus Rocco Mondrians Komödie: Yusuf Ben Goldstein, ein aufrechter Deutscher

Erich Kykal

Re: Morgengruss in die Runde
« Antwort #1 am: November 23, 2020, 10:11:45 »
Hallo Rocco!

Willkommen auf der Wiese der Poeten! Deinen Ärger mit den Lehrern kann ich nachempfinden - ich bin selber einer ...  ;) ;D
Ich wünsche dir guten Aufenthalt und jede Menge Inspiration. Ich selbst bin ein melancholischer Dichter und eiserner Vertreter der "klassischen" Seite der Lyrik, also mit Struktur und Reimen usw.. Ich hoffe, du kannst auch dem etwas abgewinnen. Aber ich hoffe, du verzeihst es mir, wenn ich deine modernen Gedichte aus dem genannten Grund eher selten kommentiere - ist einfach nicht meine Baustelle. Zum Glück haben wir aber einige User, die durchaus von derlei begeistert sein können und sicher gern in die Bresche springen.

Mit besten Wünschen,

eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Rocco

Re: Morgengruss in die Runde
« Antwort #2 am: November 23, 2020, 10:41:05 »
Danke Eky für deine offene Antwort.

Jeder schreibt und kommentiert, was ihm liegt, warum sollte ich damit ein Problem haben? Ich selbst dichte keine Sonette, lese aber welche, wenn sie im Forum veröffentlicht werden. Warum? Aus Neugier, Spaß an der Lyrik und auch, weil ich lernen will. (Wie man formuliert, welche Gedanken sich eignen usw.)

Ich glaube, wenn sich ein Autor Gedanken gemacht hat, ist das, was er schreibt, interessant, ob nun klassisch oder modern. Generell: Inhalt und Form sollten einander ergänzen, insofern sollte man alles können (klassisch und modern).

Mir ist klar, dass ich eben großspurig klinge, denn ein Sonett bekäme ich nicht hin - nur hin! (Entschuldigung für den Kalauer, aber er lag zu nah!)

Struktur mag ich auch. Wo bitte hast du gehört, dass moderne Lyrik keine Struktur hätte? Das hast du wahrscheinlich nicht gemeint, du meinst eher, dass sie weniger streng ist. Freie Rhythmen, Assonanzen statt Reime, Kleinschreibung und Verzicht auf Grammatik. Ja, da stimme ich zu. Aber Willkür ist kein Argument. Ich selbst akzeptiere das nicht und lasse es auch bei anderen nicht gelten. Tut mir leid, wenn Inhalt und Form sich so verhalten wie Feuer und Wasser, dann hat der Autor nichts verstanden. Man muss schon begründen können, ob in der Schule oder im Leben oder als Autor eines Forums.

Apropos Schule. Du bist Lehrer? Dieser Fakt ist, erst einmal, weder gut noch schlimm. Was für ein Lehrer bist du? Bringst du ihnen etwas bei oder drillst du sie?

Dir ebenfalls gute Wünsche

Rocco

« Letzte Änderung: November 23, 2020, 10:43:52 von Rocco »
"Erst in Rage werde ich grob -
aber gelte als der Hitzkopf?!"

Yusuf Ben Goldstein, aus Rocco Mondrians Komödie: Yusuf Ben Goldstein, ein aufrechter Deutscher

Erich Kykal

Re: Morgengruss in die Runde
« Antwort #3 am: November 23, 2020, 11:05:15 »
Hi Roc!

Bin eindeutig auf der eher anarchischen Seite, und da ich seit vielen Jahren ausschließlich Werken unterrichte (die ganze Schule), kann ich mir das auch leisten. Lass mir allerdings nicht ans Bein pinkeln von jenen, die freundliche Toleranz und Lockerheit mit Schwäche verwechseln und diese auszunutzen gedenken. Da kann ich durchaus auch anders, wenn auch nicht gern. Gelernt habe ich die Fächer Englisch und Zeichnen.

Bin Freizeitkünstler in den Bereichen Grafik, Malerei, Plastisches Gestalten und Poesie. Bin allerdings seit Jahren nur noch in letzterem tätig.
____________________

Und nein, großspurig klingst du nicht - auch ich hatte "damals", als ich in die Foren ging, keine Ahnung von Sonetten, war reiner Bauchgefühlsdichter nach Sprachtakt und Klang, mit entsprechend vielen metrischen Schnitzern, die mir damals gar nicht auffielen oder nicht wichtig waren. Auch ich habe gelernt, über mittlerweile fast 2 Dekaden hinweg.

Was die Begründung für meine Aversion gegen moderne Lyrik angeht: Ich mag sie einfach nur nicht. Allein schon der Mangel an Reimen disqualifiziert sie in meinen Augen als Lyrik. Und ja, ich weiß, selbst ein Rilke schrieb zuzeiten so, zB "Duineser Elegien", und meine Ansicht ist enggeistig und rigide. Ist und bleibt aber so. Mir gefallen eben nur gereimte Werke, Gleichklang ist für mich ein wesensimmanenter Bestandteil dessen, was ich als Gedicht bezeichne. Alles andere darf mir bestenfalls als "strukturiert optisch gestaffelte Prosa" gelten.
Noch schlimmer empfinde ich - für mich - billige Effekte wie das Weglassen von Satzzeichen oder Großschreibung, als würde dies die Qualität an sich veredeln. Nur Lyrik mit inhärentem Minderwertigkeitskomplex hat derlei das Lesen erschwerende Manierismen nötig, so meine Ansicht.

Aber das ist wie gesagt nur meine subjektive Meinung ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Geschmackssache eben ...
Wenn du auch klassische Werke publizierst, werde ich gern kommentieren und beraten, falls erwünscht.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

AlteLyrikerin

Re: Morgengruss in die Runde
« Antwort #4 am: November 23, 2020, 11:34:32 »
Hallo Rocco,

herzlich willkommen hier; als große Verehrerin der Dichterin Hilde Domin freue ich mich über einen weiteren Freund der modernen Lyrik.
Hilde Domins Gedichte habe ich auf eine sehr seltsame Art und Weise kennengelernt. Vor ca. 20 Jahren versuchte ich einmal in einem Lyrikforum mitzumachen. Als Rückmeldungen bekam ich die Empfehlung doch mit dem altmodischen Kram aufzuhören, weil ich Gereimtes veröffentlicht hatte.
Ich konterte bei der Kommentierung einiger "Gedichte", dass Zeilenumbrüche doch wohl keine Gedichte machten. Ich wurde aus dem Forum ausgeschlossen und bekam den Hinweis ich solle mal Hilde Domin lesen, dann würde mir die Dummheit meiner Kommentare klar werden.

Es war das falsche Forum für mich, aber ich bin den federführenden Mitgliedern des Forums heute noch dankbar für den Hinweis auf Hilde Domin.

Ich wünsche Dir viel Freude auf der Wiese, die genug Platz bietet für das Blühen vieler unterschiedlicher Pflanzen, von denen keine als Unkraut aussortiert wird.

Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.

Sufnus

Re: Morgengruss in die Runde
« Antwort #5 am: November 23, 2020, 17:17:50 »
Hi Rocco!
Auch von mir ein liebes Willkommen auf der Wiese! :)
Mit Brinkmann und Domin spannst Du einen hochinteressanten lyrischen Schirm auf, unterm dem auch Kästner und Ausländer spielend Platz finden. Aufgemerkt habe ich bei Deiner (so hörte ich es heraus) Ablehnung von "Gedichten über Sachen". Das klingt spannend! :) Was meinst Du damit genau?
Auch Dein Einstandsgedicht hier (und das auf dem "Eiland") gefallen mir - ich lasse mir aber noch ein bisschen Zeit mit dem Kommentieren. Kommt aber noch. :)
Und wenn Dir "drüben" Rum gespendet wird, dann hier zum Ausgleich etwas Flüssigdünger zwecks Hervorbringung weiteren Wiesenschmucks!
LG,
S.

Rocco

Re: Morgengruss in die Runde
« Antwort #6 am: November 23, 2020, 21:11:04 »
Hallo Eky,

habe mal, vor Jahren, Nietzsche gelesen, er sah es als erstrebenswert an, eine "künstlerische Existenz" zu führen. Lese ich, was du kannst (Grafik, Malerei, Plastisches Gestalten und Poesie), bist du nahe an Nietzsches Ideal dran.

Ich selbst habe weniger Talent, wenn, dann nur zum dichten, und selbst das muss ich (mir) noch erst beweisen. Mag sein, dass mir - hin und wieder - ein passables Werk gelingt, für mich beweist das (noch) nichts. Ab wann ich mich als Dichter bezeichnen würde? Gute Frage. Wenn ich das Gefühl hätte: Ja, jetzt kann ich es, jetzt habe ich kapiert, wie der poetische Hase hoppelt. Bis dahin...

Ich finde deine Einschätzung, bezüglich moderner Literatur interessant, vielleicht muss man so denken, wenn man fortgeschrittener Poet ist. Ich weiß dass nicht, glaube es aber, wenn es ein erfahrener Dichter sagt.

Wie gesagt, ich habe keine Einwände gegen Reim und Versmaß und lasse mich gerne über diese Möglichkeiten aufklären.

Wenn es, zwischen uns beiden, einen eklatanten Unterschied gibt, dann den, dass ich klassische und moderne Gedichte als Möglichkeiten begreife. Und Möglichkeiten nutzt man. (Meine Philosophie.)

Über Kommentare freue ich mich immer, ich selbst werde deine Gedichte kommentieren. Du scheinst ein interessanter Mensch zu sein. Meiner Erfahrung nach dichten interessante Menschen interessante Gedichte.

Lieber Erich, wir lesen uns.



Liebe Lyrikerin,

ich bin sprachlos. Du meldest dich in einem Forum an, dessen Sinn es ist, sich über Gedichte und Dichtung auszutauschen, also wie die Lyrik-Wiese,und die schließen dich aus, weil du mit deiner Meinung aneckst. Warum tauscht man sich aus?

Ich stimme dir zu: Zeilenbrüche allein machen aus einem Text kein Gedicht. Rolf Dieter Brinkmann hat viel mit Zeilenbrüchen gearbeitet, bei ihm war der Zeilenbruch aber nur Mittel zum Zweck der Aussage. So verstanden sind Zeilenbrüche sinnvoll. Es kommt immer auf den Gesamteindruck des Gedichts an. Stimmst du mir zu?

Auch dir: danke. Wir lesen uns.



Hallo Sufnus,

mit "Sachen" meinte ich nicht unbedingt Rilke und seine Ding-Gedichte, das wäre ihm gegenüber arrogant und ungerecht.

Mit Bezug auf Brinkmann habe ich gemeint, dass er, Brinkmann, weniger über etwas, als vielmehr davon gedichtet hat. Das ist etwa so, als würde ich über eure Köpfe hinweg reden, anstatt mit euch/ zu euch. Ich rede gerade kompliziert. Ist es aber trotzdem deutlich, was ich meine?

Ja, keine Eile mit Kommentaren. Ich werde auch, damit ihr seht, dass ich kein Dogmatiker bin, Triolette einstellen, die sind meine ersten Gehversuche auf dem Gebiet der Klassik. Eky kann mir dann sagen, was ich alles falsch gemacht habe. Ich bin aber guter Hoffnung, dass ich seine Kritik überleben werde. (Mit einem Augenzwinkern geschrieben.)

Auch dir: danke. Wir lesen uns.

Euch allen einen schönen Abend

Rocco
"Erst in Rage werde ich grob -
aber gelte als der Hitzkopf?!"

Yusuf Ben Goldstein, aus Rocco Mondrians Komödie: Yusuf Ben Goldstein, ein aufrechter Deutscher

Sufnus

Re: Morgengruss in die Runde
« Antwort #7 am: November 24, 2020, 13:02:25 »
Hi Rocco,
lieben Dank für die Erläuterung - das hat mir weiter geholfen! :)
Und ein Dichter, der um die Gattung des "Dinggedichts" weiß, Tankas verfasst hat und die doch einigermaßen apokryphe Form des Trioletts beherrscht... da kann man wohl von einem Poeta doctus reden, jedenfalls von einem wohlinformierten Kenner der Materie. :)
Könnte es wohl vor diesem Hintergrund vielleicht sein, dass Du bei Deinem Hinweis auf Nichtkenntnis von Jambus & Co. womöglich ein ganz kleines bisschen Koketterie hast spielen lassen? ;)
Egal! :) Ich freue mich auf viele weitere Roccowerke! :)
LG!
S.

Rocco

Re: Morgengruss in die Runde
« Antwort #8 am: November 27, 2020, 05:03:13 »
Hallo Sufnus,

danke für dein Vertrauen!

Der Unterschied zwischen uns ist der, dass ich sehe, wo ich Baustellen habe und du kannst das, noch, nicht sehen.

Über Versmaße habe ich mir lange Zeit nicht den Kopf zerbrochen, weil ich mal eine Diskussion mit einem Vertreter der Klassik hatte und er behauptete, es gäbe "lyrische" Wörter. Meine Entgegnung: Wenn ich bestimmte Wörter nicht verwenden kann, weil sie "unlyrisch" sind, dann brauche ich keine Klassik und kein Versmaß.

Erst jetzt bemühe ich mich darum.

Jetzt weiß ich, dass es den Jambus gibt und den Anapäst, sowie den Trochäus und den Daktylus.

Hätte ich das vorher wissen können? Ja, hätte ich, habe es aber nicht. Zudem: Wissen und Können sind zweierlei.

Einen schönen Abend

Rocco
"Erst in Rage werde ich grob -
aber gelte als der Hitzkopf?!"

Yusuf Ben Goldstein, aus Rocco Mondrians Komödie: Yusuf Ben Goldstein, ein aufrechter Deutscher