Autor Thema: Träume und Taten  (Gelesen 2578 mal)

Seeräuber-Jenny

Träume und Taten
« am: Januar 20, 2010, 22:02:42 »
Ein Sturm ergriff ihn schon in jungen Jahren,
ein wilder Wind im Wipfel jenes Baumes,
der Schatten bot zum Träumen eines Traumes,
dass alle einmal Gotteskinder waren.

Frei war er und bedurfte keines Zaumes,
am Ort, wo all die süßen, wunderbaren
Erkenntnisäpfel nah zum Greifen waren,
im Garten Eden, jenseits dieses Raumes.

Da hörte er die Stimmen der Dämonen:
Du kannst das Los der Gotteskinder wenden.
Für Gottes Wort zu töten wird sich lohnen!

Das Blut von Kindern klebt an seinen Händen.
Unter den kalten Blicken der Ikonen
singt er sein Klagelied den kahlen Wänden.

Ursprüngliche Fassung:

Träume und Taten

Ein Sturm erfasste ihn in jungen Jahren,
ein wilder Wind im Wipfel jenes Baumes,
der Schatten bot zum Träumen eines Traumes,
dass alle Menschen frei geboren waren.

Frei war er und bedurfte keines Zaumes,
dort, wo die süßen, roten, wunderbaren
Erkenntnisäpfel nah zum Greifen waren,
im Garten Eden, jenseits dieses Raumes.

Den Kopf verborgen in beschmutzten Händen,
mit Schuld befleckt bis in die Fingerspitzen,
singt er sein Klagelied den weißen Wänden.

Wie konnte sich sein Blut nur so erhitzen?
Wie konnte er sein Ideal so schänden?
Nun wird er ewig in der Hölle schwitzen.
« Letzte Änderung: Januar 24, 2010, 23:51:52 von Seeräuber-Jenny »
Ideale sind wie Sterne. Wir erreichen sie niemals, aber wie die
Seefahrer auf dem Meer richten wir unseren Kurs nach ihnen.
Carl Schurz

cyparis

Re:Träume und Taten
« Antwort #1 am: Januar 21, 2010, 12:20:30 »
Liebe Seeräuber-Jenny -


d a s  istja ein tolles Ding!
Da sehe ich, daß man Sonette auch wild schreiben kann und nicht nur die gedrechselte Form im Vordergrund steht.

Lediglich  e i n Wort würde ich ändern:

statt schwitzen  "sitzen". Das Schwitzen ist ja implizit, oder?

Gelungen!


Gleichzeitig neidvolle und neidlose Grüße
von
cyparis



Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re:Träume und Taten
« Antwort #2 am: Januar 21, 2010, 13:36:49 »
Hi, Jenny!

Sehr gelungen, vor allem die Satzkonstruktion der 1. Strophe!
Stilistisch gehoben und stilsicher, gute Sprache, klarer Duktus!

Allein das allerletzte Wort! Das stört, klingt eher verharmlosend, passt nicht ins elegisch-lyrische Sprachbild!
Auch cypi's Vorschlag "sitzen" klingt eher nach "absitzen" oder "nachsitzen", ist nicht wuchtig, nicht klar genug.

Ich würde einen ganz anderen Reim suchen, eher mit "dunklen" Vokalen, die ins Düstere spielen (a,u,o).

ZB: "mit Schuld befleckt an allen Seelensträngen"...
"und alle Bilder schwarz, die im Gedächtnis hängen"...
"Er hängt der eignen Hölle ewig in den Fängen"...

So in der Art oder so...(statt Fingerspitzen/erhitzen/schwitzen) Die kurzen "i"s stören schon sehr das Klangbild, und die implizierten geistigen Bilder sind ebenso kurzatmig. Nur als Vorschlag zur Güte.

Insgesamt eine sehr reife Leistung und ohne Fehl und Tadel! Sehr gern gelesen!

LG, eKy

Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Seeräuber-Jenny

Re:Träume und Taten
« Antwort #3 am: Januar 21, 2010, 20:43:29 »
Hallo cypi und eKy,

ich habe das Gedicht umgeschrieben und danke euch für eure Denkanstöße!

Die Terzette habe ich stark verändert.

Aus dem jungen Mann, der schuldig wurde, weil er für die Freiheit über Leichen ging, wurde ein religiös motivierter Attentäter.


Liebe Grüße
Seeräuber-Jenny
« Letzte Änderung: Januar 21, 2010, 21:22:54 von Seeräuber-Jenny »
Ideale sind wie Sterne. Wir erreichen sie niemals, aber wie die
Seefahrer auf dem Meer richten wir unseren Kurs nach ihnen.
Carl Schurz

Erich Kykal

Re:Träume und Taten
« Antwort #4 am: Januar 22, 2010, 09:41:41 »
Hi, Jenny!

Hast du bewußt christliche und orthodoxe Elemente dabei verwendet, um bei Islamisten nicht anzuecken, oder, weil du darauf hinweisen wolltest, dass nicht Moslems allein Anspruch auf diese Art des Wahnsinns und der Arroganz haben?
Ist ja bei und auch noch nicht so lange her: Hexenwahn, Inquisition, Missionierung und Ausbeutung der Kolonien, kurz: Die Arroganz zu glauben, im Auftrag "höherer Mächte und Moral" das Recht zu haben, andere zu unterdrücken, zu "bekehren" und nötigenfalls auch zu ermorden - und bei alledem auch noch auf sie herabzublicken, als wäre man automatisch etwas Besseres, nur weil man nachhaltiger in der Lage ist, den gesunden Menschenverstand und alle Anwandlungen von Toleranz oder Gnade rückhaltlos auszublenden!

Können solche Täter wirklich die Größe aufbringen, zu bereuen? Müssen sie nicht noch tiefer in ihren Wahn flüchten, um ihr Tun vor sich, der Welt und ihrer "Gottheit" zu rechtfertigen? Realitätsverlust zu erkennen und einzugestehen scheint mir nicht der Weg zu sein, den innerlich schwache Menschen - und nur solche eignen sich zu Eiferern - zu gehen in der Lage sind, wenn sie sich erst einmal unumkehrbar schuldig gemacht haben. Sie werden eher nur noch fanatischer und rücksichtsloser, sich beständig einredend, dass sie - und nur sie - im absoluten Recht sein müssen, sonst hätte ihr "weiser Gott" das alles ja gar nicht zugelassen...! (Soviel zur Logik solcher Leute!)

Dein Gedicht fasst den Irrsinn jedenfalls in fast schon zu schöne Worte! Wunderbarer Sprachfluss!

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Seeräuber-Jenny

Re:Träume und Taten
« Antwort #5 am: Januar 25, 2010, 00:46:54 »
Lieber eKy,

genau. Zur Zeit liegt ja unser Hauptaugenmerk auf den islamistisch motivierten Gewalttaten.

Priester und Ideologen erklären ihre Weltanschauung zur allein selig machenden. Da ist für Andersdenkende kein Platz. Die heiligen Schriften werden missverstanden, missachtet und missbraucht.
Betrachtet man z. B. das Evangelium, das uns Menschlichkeit lehrt, so ist unbegreiflich, wie Christen all dieser Greueltaten fähig waren und sich an Kriegen und Ausbeutung beteiligen konnten.
Ebenso hat der Kommunismus, der eine gerechte Welt schaffen will, viel Leid über Andersdenkende gebracht, denkt man nur an Stalin und die Massaker der Kommunisten an den spanischen Anarchisten.

Ich denke schon, dass manche dieser Täter ihre Taten bereuen, ebenso wie es ja auch ehemalige Neonazis gibt, die erkannt haben, dass sie den falschen Weg gegangen sind.
Doch werden wohl die meisten Fanatiker ihre Taten rechtfertigen. In den Nürnberger Prozessen z. B. war nur ein einziger Angeklagter zur Reue fähig. Alle Anderen blieben bis zum Schluss in ihre Wahnsinnsidee verbohrt.

Schöne Worte für schöne Ideen, die es nur auf gewaltfreiem Weg zu verwirklichen gilt!

Der Sprachfluss wird durch die Form des Sonetts begünstigt.

Danke und lieben Gruß,
Seeräuber-Jenny

« Letzte Änderung: Januar 25, 2010, 00:50:53 von Seeräuber-Jenny »
Ideale sind wie Sterne. Wir erreichen sie niemals, aber wie die
Seefahrer auf dem Meer richten wir unseren Kurs nach ihnen.
Carl Schurz