Autor Thema: Der Ast  (Gelesen 1002 mal)

Agneta

  • Gast
Der Ast
« am: M?RZ 11, 2020, 09:43:05 »
Der Ast

Sie war ein lebensbejahender Mensch, eine Optimistin. Stark und verantwortungsbewusst für die, die ihr anvertraut waren. Und für die, die sich ihr anvertrauen wollten, weil sie irgendwie immer abzurutschen drohten auf der schmalen Klippe des Daseins. Ja, sie war eine Kämpferin. Ihr Leben lang schon. Eigentlich.
Immer öfter aber ertappte sie sich neuerdings dabei, wie sie in die nackten Winterbäume schaute, wenn sie auf dem Balkon saß. Wie sich eine seltsame Traurigkeit anschlich im Grau des Morgens, das sich über den Tag ergoss. Sie beobachtete die Elstern, die hoch oben in der Pappel ein Nest bauten. Sie wusste, sie durfte sie nicht nisten lassen, diese Traurigkeit.
Die laublosen, dürren Zweige der Bäume wedelten sacht im Wind. Wie entblößt standen sie da, die alten Riesen. Verletzlich. Sie bogen sich mit dem Wind, sie hatten gelernt, dass sonst die Zweige schmerzhaft brechen. Hatte sie selbst auch gelernt?
Der letzte Sturm hatte dennoch einen kräftigen Ast zertrümmert. Einen von den Starken. Hilflos hing er noch wie am seidenen Faden am Stamm. Sein helles, rindenloses Holzfleisch schrie lautlos. Wie gerne hätte sie den Ast abgerissen und erlöst, aber er hing zu hoch. Sie schaute auf die große Wunde und fühlte mit. Er kann nicht loslassen und kann doch nicht bleiben, dachte sie.
Letztens noch hatte ein kluger Freund gesagt: Dein Leid entsteht dadurch, dass du am Leben teilnimmst und meines dadurch, dass ich mich davon zurückgezogen habe. Mögen wir beide daran wachsen.


« Letzte Änderung: M?RZ 11, 2020, 13:35:20 von Agneta »

Eisenvorhang

  • Gast
Re: Der Ast
« Antwort #1 am: M?RZ 11, 2020, 10:21:51 »
Hi Agneta,

ach wie schön das geschrieben ist - mir fiel damals schon auf, wie wunderschön du schreiben kannst.
In dem Text werden einige Dinge thematisiert, wie ein sich entgegengesetztes Wachstum und übertragene Brüche und Verletzungen aber auch Erlösung ...

Nur Minigedanken von mir:

Kann ein Ast zertrümmern? Es gibt Spiraltrümmerbrüche im Knochen. Knochen hingegen besitzen keine fasrige Struktur wie beispielsweise der Baum. Die Frage ist, was ein Ast alles kann.
Brechen, die Fasern können reißen - aber vielleicht hast du das Zertrümmern auch im übertragenen Sinn gemeint.

Und hier fehlt, wie mir scheint, ein Wort. (Außer ich bin saublöde und check was nicht  ;D)

"Zum ersten Sie schaute auf die große Wunde und fühlte mit. "

vlg

EV

Agneta

  • Gast
Re: Der Ast
« Antwort #2 am: M?RZ 11, 2020, 20:14:58 »
ja, habe ich schon gesehen, lieber EV. Zum ersten ist der Rest von einem gestrichenen Satz, den ich (pc-doof) nicht komplett gelöscht hatte. Hab es schon korrigiert.
Zertrümmern fand ich hier angebracht, weil der Ast ja dick ist und mehrfach gebrochen. Außerdem sollte es das Bild dafür sein, dass man auch mit viel Gewalt etwas Starkes zerstören kann. Trümmerbruch fiele mir dazu ein.
Dein Lob freut mich, denn auf großen Foren kann man ernsthafte Werke eigentlich nicht mehr einstellen. Die Kommentare sind nur flappsig.die Leute lesen nu roberflächlich und kaspern rum.  Drum habe ich es hier versucht. Danke fürs Mitgehen mit dem Text.
LG von Agneta

Erich Kykal

Re: Der Ast
« Antwort #3 am: M?RZ 21, 2020, 20:20:41 »
Hi Agneta!

Tata - komische kluge Freunde hast du ...  ;) ;D 8)

Gern gelesen!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Agneta

  • Gast
Re: Der Ast
« Antwort #4 am: M?RZ 22, 2020, 11:38:11 »
ja, manchmal fällt einem was zu.... Ob er ein Freund ist, weiß ich nicht genau, aber klug ist er auf jeden Fall...Smilie, was ich wieder nicht machen  kann. LG von Agneta

Erich Kykal

Re: Der Ast
« Antwort #5 am: M?RZ 22, 2020, 12:49:38 »
Freund im weitesten Sinne, würde ich sagen - so weit es seine isolative charakterliche Disposition und die engen kommunikativen Grenzen dieses Mediums eben zulassen.  ;)

Wie es die gute Cypi mal so wahr zu treffen wusste, indem sie mir zum Besuch zu meinem Dichtertreffen mal einen hübsch gefassten Spruch mitbrachte: "Du kannst den Staub berühren, aber bitte schreibe nichts hinein."
Er steht noch heute nahe meiner Eingangstür zu lesen ...

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Der Ast
« Antwort #6 am: M?RZ 22, 2020, 23:03:13 »
Dein Text gefällt mir sehr gut, liebe Agneta. Ein passendes Bild für den Schaden an der einst kräftigen Seele.

LG gummibaum
« Letzte Änderung: M?RZ 22, 2020, 23:08:31 von gummibaum »

Agneta

  • Gast
Re: Der Ast
« Antwort #7 am: M?RZ 23, 2020, 09:28:37 »
lieben Dank, lieber Gum. LG von Agneta