Autor Thema: Liedelein inmitten der Leere  (Gelesen 740 mal)

Martin Römer

  • Gast
Liedelein inmitten der Leere
« am: Februar 15, 2020, 10:44:01 »
Gelüstet es Gehärmte, grauer Zeit zu fluchen? 
Ich kenne Schwaden wie das stille Bronnenmaul…     
Indessen muss ich wieder Rum und Pillen suchen.     
Die Ärzte waren auch im Süden nächtens faul……

Mit ihrem Tanz hat sie so manches ausgehaucht
und stand allein, wenn düsterliche Fluten kamen –
und wurde nicht verrückt und wurde nicht zerstaucht,
das schenkt mir Mut im Dasein wahrlich ohne Rahmen.

Wie ist das eigentlich mit einem schönen Kinde?
Was ziemte Zähneputzen sich für eine Leiche…
Was nicht vor meiner Menschlichkeit besteht, verschwinde.
Und sehe ich die narrenvollen Schicksalsstreiche…..

„Du solltest denken: Zahnweh ist das Joch allein“,
erzittert ein Gespenstchen plötzlich aus der Wand.       
„Wie selten sah ich dich in Wehrtracht und bei Wein!
Und nun trittst du nach tausendfacher Nacht ans Land.“




Erich Kykal

Re: Liedelein inmitten der Leere
« Antwort #1 am: Februar 15, 2020, 13:07:34 »
Hi Martin!

Wieder wunderschön zu lesen, aber sehr schwer zu verstehen. Ein Mensch, der - womit genau?- hadert? Dem Schicksal? Dem ewig Fehlerhaften des Menschseins? Der Zeit? Der Unmöglichkeit harmonischer Beziehungen? dem Altern? Dem Sich Ergeben?

S1 - Schon in Z2 kommen mir Fragezeichen: "Schwaden" sind gasförmige Ballungen - wie kann ein Brunnenrund so etwas sein? Und womit steht der "Süden" in Z4 in Verbindung? Welche Krankheit sollen die Ärzte behandeln? Sind es metaphorische Doktoren oder echte?

S2 - Pötzlich taucht aus dem Nichts eine "sie" auf, die dem LyrIch Mut macht, obschon sie selbst zu kämpfen hatte. Diese Frau wird leider nicht ordentlich eingeführt oder als Person erläutert. Eine Freundin? Schwester? Ehegespons? Therapeutin?

S3 - Hier wird es nun besonders kryptisch! Wird die "sie" aus S2 hier demontiert? Ist sie tot? Vegetiert sie dahin? Oder spielt die "Leiche vom Kinde" nur auf Geisteshaltung oder Körperzustand fortschreitenden Verfalls an? Wird sie in Z3 gar vom LyrIch verstoßen, das in Z4 über die Irrungen des Geschicks stoßseufzt?

S4 - Wer oder was soll das "Gespenstchen" sein? Gewissen? Vorsehung? Die Illusionen, die wir Menschen uns machen? Worauf spielt die "Wehrtracht bei Wein" an? Dass das LyrIch nur besoffen die Kraft hatte, sich Wahrheiten zu stellen? An welches "Land" - und aus welchem Ozean - wird nach "tausendfacher Nacht" getreten?


Wie gewohnt: Praktisch jede Zeile ist ein Bild, das für das eigentliche Bild steht, das der Autor möglicherweise meint. Das wird - so schön die Sprache sein mag - arg mühselig, wenn man sich ehrlich um Verständnis bemüht.
Statt einfach mal zu sagen: "Deine Schwächen ärgern mich, Geliebte!" steht da immer sowas wie: "Da hub die Mär vom Mädchen an, das ewig hold sei und erhaben, // wie töricht träumt das ungeschlachte Menschenkind!". In diesem Falle ohne direkten Bezug auf das LyrIch, das auch irgendein allgemeinen Mangel der Menschheit beschreiben könnte, und das "ungeschlachte Menschenkind" könnte das Mädchen meinen, aber auch das LyrIch. Und wenn eine solche Zeile auf die andere folgt, wie soll man da noch einen roten Faden halten?

Aber wie schon gesagt - vielleicht denke ich zu direkt und linear, sodass mir diese Art des konsequenten Verschlüsselns in lyrische Bilder einfach nicht eigehen will.
Dennoch gern gelesen, weil es einfach so schön klingt!  :) ;)

LG, eKy
« Letzte Änderung: Februar 15, 2020, 13:12:27 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Martin Römer

  • Gast
Re: Liedelein inmitten der Leere
« Antwort #2 am: Februar 15, 2020, 19:31:10 »
O je!
Was dir doch alles einfällt......

Da haben wir einfach noch nicht die gemeinsame Wellenlänge gefunden.
Ja, das Direkte, Lineare, Logische, Rationale.....
Da kann ich wie auch bei mancherlei fremdweltlich anmutenden Begriffen aus deinem Munde gern mal ins Grübeln kommen.....
Aber Verschlüsselung von falschem Zauber - glaube mir - kann nicht die rechte Schiene sein.

Es war mir gestern schlichtweg elend zumut und leichte Zahnschmerzen holten mich aus dem Totenreiche......

Die großen Nebel wie auch die große Stille - wenig "Leichtes" hab ich zur Hand,
aber ich wollte die öde und wehe Stunde trotzdem fortlabern.

Da stiegen natürlich wieder Sätze auf wie: kein Zahnarzt weit und breit hat Notdienst.
Diese Stille, mit der Lady Anneliese ihre Klagen ausrief...!
Keine Sorge --- es war nur eben unangenehm, 100 mal ans Spülbecken zu laufen.....
Aber die Verfaulung ist sichtbar - mal schauen, wie das weitergeht....

Jedenfalls erschien mir in so einer schnellen Nummer der "Süden" ausreichend zu sein.
Sieh, es kann nicht Seite für Seite überall der Name vorkommen.
Sehr oft Grüße aus Süden, Südwest, südlichen Gruß etc.

Die vielen Dinge samt der Geliebten, klar, wenn man auf dem falschen Dampfer ist......
Eine schöne Frau ist wahrscheinlich nicht erlabt davon.
Aber ich habe auch kein Verlangen nach einem bürgerlichen Miststück.
Letztendlich lass ich mich überraschen, ob mir jemals eine Herzensdame zuteil werden wird, seltsamerweise steht das in Harmonie mit dem teils närrischen Geschickeslauf.
Das sind ja eigentlich ganz simple Gedanken.

An welches Land getreten werden wird?
Tja ja ja!
Wie ich einmal den alten Joachim Kaiser vom "transzendentalen jenseitigen Charakter" schwätzen gehört habe, das wird mir immer unvergesslich bleiben.
Sagen wirs mal so: ich weiß nicht wirklich, wo demnächst mein Ziel ist und ob ich es lebend erreiche.
Aber bei meinem "100fach" an Hintergründen (==der Ozean!) macht sich langsam so ein seltsamer Geist breit: "lass dich von den Sphären wiegen".......

Erquicklich ist dein Kompliment dem armen Geschöpf.
Aber was hab ich wieder angerichtet?
Mit einem einfachen "selbst im milden Drogenrausch schreibst du reifer als Ilka-Maria jederzeit" hättest du hier Genüge getan.

Also: ich will mich noch ein wenig bemühen, dann wirst du womöglich nicht mehr über mehr Ecken herum denken, als gar nötig ist.


Herzliche Abendgrüße
M
 


Sufnus

Re: Liedelein inmitten der Leere
« Antwort #3 am: Februar 21, 2020, 12:55:45 »
Ich liebe Deine Bann- und Lockgesänge, lieber Martin! Ganz wunderbar finde ich bei Deinem "Liedelein inmitten der Leere" die erste Zeile der dritten Strophe! Diese unvermittelte Frage an den Leser ragt wie ein Nagel aus der (vierten) Wand. Und die letzte Strophe liefert dann sowohl die Wand als auch ein tröstliches Bild zum Dranhängen! :)
Sehr sehr gerne gelesen!
S.

Martin Römer

  • Gast
Re: Liedelein inmitten der Leere
« Antwort #4 am: Februar 21, 2020, 16:14:39 »
Daaaaas wird sich erst noch herausstellen, ob dir der Singsang immerzu ein Genuß sein wird.
Auf meinen Spaziergängen scheint mir die Gangart des Geistleins gemächlich aggressiver zu werden.
Je nun, ich schau seit Langem nicht mehr auf mich selbst zurück ...
Umzingelt von Kranken und mit dem möglichen Tod vor Augen lebt es sich elendig.

Mich dünkt, du fantasiertest hier zu viel.
"Schönes Kind" war ein ganz normaler Ausdruck für ein Frauenzimmer,
ehe mit dem zweiten Weltkrieg der evolutionäre Rückschritt aufdämmerte.

Wie ist es mit den Liebchen?
Unerquicklich, dass die Hübschen zumeist die Plüschtiere wollen
und nicht die Ehrwürdigen, die selbstständig denken und gegen den Strom schwimmen.
Erschwerend kommt natürlich hinzu, dass abendliches Zähneputzen und Rammelei unter einem Drecksdach nie meine Welt sein wird.

Was bliebe noch zu sagen?
Wenn ich gewissen Worten Glauben schenke, fallen die vollständige Entschwindung von Psychopathen und der Verlust aller Zähne ungefähr zusammen.....

Der "chimärischen" Wand mag man eine Doppelbödigkeit zusprechen, aber wohl eher vom Aspekt, sich getragen zu fühlen in allen Bitternissen, anstatt vom
anderen Geschwätz.


Grüße in die Kuchenzeit
M